Uni Halle entzieht Leipzigs Jugendamtschef den Doktorgrad
Vor einem Jahr gab es die ersten Vorwürfe gegen Siegfried Haller. Es folgten monatelange Untersuchungen an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Am Mittwoch nun die folgenreiche Entscheidung: dem Leipziger Jugendamtschef wird der 2003 verliehene Doktorgrad entzogen.
Burkhard Schnepel, Dekan der Philosophischen Fakultät I, kam frisch aus der Sitzung des Fakultätsrates. Einstimmig bestätigte der Rat, Haller gemäß Paragraph 20 des Hochschulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt, den Doktorgrad wegen “Vorliegens einer Täuschung” zu entziehen. Weder für die Uni noch für die Fakultät sei dies ein schöner Tag. Alle Beteiligten haben sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Laut Schnepel seien umfangreiche Untersuchungen vorausgegangen. Es sei der erste derartige Fall in Mitteldeutschland, deshalb habe man sich auch Hilfe von Juristen geholt. Unvoreingenommen, fair, transparent und mit der gebotenen Sorgfalt habe man das Verfahren geführt. Schnepel sprach von einer unangenehmen Sache, “das hat uns alles keinen Spaß gemacht.”
An mehreren Stellen des Verfahrens sei der betroffene Siegfried Haller informiert und angehört worden, um selbst Stellung zu nehmen. Vor wenigen Minuten sei dem Anwalt die Entscheidung per Fax mitgeteilt worden, teilte Schnepel in einer Pressekonferenz mit.
Bei den beanstandeten Passagen der Arbeit handele es sich nicht, wie von Haller behauptet, um handwerkliche Fehler. Nach fester Überzeugung des Promotionsausschusses liege ein grober Verstoß gegen Regeln wissenschaftlichen Zitierens vor. “Die Gutachter haben keine handwerklichen Schwächen gesehen”, so Schnepel. Mehrfach werde aus anderen Werken zitiert, ohne dies deutlich zu machen. Zwar gebe es teilweise Fußnoten, doch mit nur vagen Informationen. Schnepel sprach von seitenlangen wortwörtlichen Übernahmen. Der Doktortitel sei “durch Irreführung und Täuschung” erworben worden. Abgeschrieben haben soll der Leipziger Jugendamtschef unter anderem aus Publikationen des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung sowie des Landes Brandenburg.
Man wolle Haller keine bewusste Täuschung unterstellen. Doch durch die unkorrekte und gegen alle Regeln verstoßende Zitierung komme man zu dem Ergebnis, eine Täuschung sei zumindest billigend in Kauf genommen worden.
Jetzt werde laut Schnepel ein Bescheid erstellt, auf den Haller innerhalb von vier Wochen Widerspruch einlegen kann. Später könne Haller vor Gericht ziehen, “seine Aussagen vor der Presse deuten an, dass er das machen wird.” Die letzte Entscheidung werde das Gericht dann treffen, im letzten Schritt muss Haller seine Urkunde zurückgeben.
Am 29. Mai 2011 sei eine anonyme E-Mail mit den Vorwürfen gegen Haller geschickt worden, drei Tage später habe das Rektorat darüber beraten, so Schnepel. Auch Haller sei informiert worden, dass man den Vorwürfen nachgehe. Schnepel sagte, mehrfach habe er versucht, den Namen des anonymen Schreibers herauszufinden. Zunächst habe man überlegt, den anonymen Anschuldigungen nachzugehen, weil die Fakten recht deutlich waren. Im Sommer 2011 gab es einen Hinweis, dass die Arbeit Hallers im Portal Vroniplag eingestellt worden sei. Haller sei zwischenzeitlich konkret über die weiteren Vorwürfe und Feststellungen informiert. Am 30. Januar habe er sich mit einem Anwalt einer Anhörung der Uni Halle gestellt. Danach sei eine Anhörung der Gutachter erfolgt und letztendlich der Beschluss zum Entziehen des Doktortitels gefasst worden.
Uni-Rektor Udo Sträter sprach sich in diesem Zusammenhang gegen einen Generalverdacht aus. Beim Promotionsgeschehen handele es sich um eine wissenschaftliche Tätigkeit, die von Vertrauen geprägt sei. Pro Jahr gebe es 330 Promotionen, so Sträter. Allerdings habe sich auch viel geändert. Immer öfter werde in Arbeitsgemeinschaften mit strukturierten Programmen promoviert. Alle Arbeiten durch ein Plagiatsprogramm zu ziehen, davon hält Sträter nichts. In der Regel würden diese Programme nur bei einem entsprechenden Verdacht genutzt.
Sträter verwies auf die ethischen Standards wissenschaftichen Arbeitens. Durch solche Fälle wie Haller werde man sensibilisiert, ein schärferes Auge darauf zu haben.
Seit 2005 habe es 344 Dissertationen an seiner Fakultät geben, erklärte Dekan Schnepel. Pro Professor gebe es damit ein bis anderthalb Doktoranten im Jahr, um diese Studenten zu betreuen. “Das wird sehr sehr ernst genommen.” Bevor heutzutage jemand seine Doktorarbeit abgibt, müsse sich der Doktorant anmelden. Dies sei noch 2003 nicht so gewesen. Alle externen Promovenden kommen per sofort in den Promotionsausschuss. Bei Hallers Promotion habe es noch nicht die Sensibilität gegeben die es heute nach dem Guttenberg-Fall gebe.
Von Plagiat redet die Uni übrigens nicht, sondern von Täuschung, unkorrekt und billigend in Kauf genommen. “Plagiat ist kein juristischer Begriff”, so Schnepel. “Es wurde hier fremdes textgut unkorrekt und gegen Regeln verstoßend übernommen.” Selbst Grafiken. Die Seite 12 bis 21 seien fast vollständig aus einer Veröffentlichung des Bundesamtes für Bauwesen übernommen worden. Die Seiten 21 bis 31 stammen wortwörtlich aus einer Broschüre des Landes Brandenburg. Ob die Arbeit juristische Konsequenzen auch in Bezug auf Urheberrechtsverletzungen hat, wollte die Uni nicht kommentieren.
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