Unternehmer fordern Verkehrskonzept und wollen keine Umweltzone

von 31. Oktober 2010

Wie soll es aus verkehrlicher Sicht in den kommenden Jahren in Halle (Saale) weitergehen? Die IHK Halle-Dessau hat dazu eine Verkehrskonferenz mit dem Thema “Anforderungen an die mittelfristige Verkehrsplanung” durchgeführt und dafür eine Reihe von Fachvorträgen organisiert. So sprach der Beigeordnete für Planung und Bauen Dr. Thomas Pohlack über „Schwerpunkte der Verkehrspolitik der nächsten Jahre aus der Sicht der Stadtverwaltung“, der Geschäftsführer der IHK Halle-Dessau Dr. Thomas Brockmeier über „Thesen zur strategischen Ausrichtung des Verkehrskonzeptes der Stadt Halle“, Arndt Rotzen, Speditionsleiter der Firma Finsterwalder Transport und Logistik GmbH Halle zum Thema „Anforderungen an den Stadtverkehr aus Sicht der verladenden und der Transportwirtschaft“, Wolfgang Schmidt Geschäftsführer der Galerie Kaufhof und Vorsitzender des Vorstandes der City-Gemeinschaft Halle e.V. zum Thema „ Anforderungen an den Stadtverkehr aus Sicht des Innenstadthandels“ , ferner Christine Rettig Pressesprecherin des ADAC Niedersachsen/Sachsen-Anhalt zum Thema “Autoverkehr in einer modernen Stadt” sowie Jürgen Richter Geschäftsfeld Innovation und Umwelt, IHK Berlin über „Erfahrungen mit der Umweltzone in Berlin“.

Im Ergebnis der Konferenz wurde deutlich, dass zur Erarbeitung des von der Stadtverwaltung in den nächsten zwei Jahren geplanten Verkehrskonzeptes mit Gültigkeit bis 2025 die Mitarbeit von Vertretern der Transport- und Logistik-Unternehmen, des Innenstadthandels, des ADAC, der IHK sowie eine öffentliche Diskussion in der Bevölkerung unverzichtbar ist.

Die IHK drängte in ihren vorgelegten Thesen darauf, obwohl die Stadt Halle gemäß einer aktuellen IHK-Umfrage zur Standortzufriedenheit von Unternehmen eine gute Verkehrsanbindung aufweist, dass mit Blick auf notwendige Engpassbeseitigungen im Straßennetz die nachstehenden Neu- und Ausbauvorhaben sowie Instandhaltungsmaßnahmen höchste Priorität besitzen müssen. Dazu gehören die Vollendung der A 143, Weiterbau der HES Halle-Ost (Osttangente) bis zur B 100, Ausbau des Gimritzer Damms zur Verbesserung der Anbindung des Weinberg-Campus, Bau einer Direktverbindung zwischen dem Gewerbegebiet Halle-Neustadt und der A 143, Umbau des Knotenpunktes Steintor, Ausbau / Sanierung des Böllberger Weg, Erhalt einer leistungsfähigen Ost-West-Verbindung in der Stadt Halle.

Aus Sicht der IHK muss in den nächsten Jahren dem Substanzerhalt der vorhandenen Straßen höchste Priorität zuteil werden, denn von den insgesamt 650 km des öffentlichen Straßennetzes der Stadt Halle wurden in den zurückliegenden Jahren etwa nur 80 km saniert. Für fast die Hälfte der verbleibenden 570 km besteht akuter Handlungsbedarf. Unter Berücksichtigung der Schäden des vergangenen Winters müssten für notwendige Instandsetzungen etwa 140 Mio. € bereitgestellt werden. Da mit einem bisherigen durchschnittlichen Jahreshaushalt von 2,4 Mio. € für Instandsetzungen diese Aufgabe, wofür jährlich ca. 5 Mio. € erforderlich gewesen wären, nicht erfüllt werden konnte, hat sich vor dem Hintergrund einer unzureichenden Finanzausstattung ein „Substanzverzehr“ bei der Verkehrsinfrastruktur angestaut und die IHK fordert daher, die städtischen Ausgaben für die Straßenunterhaltung auf das für den Substanzerhalt notwendige Maß zu erhöhen und zu verstetigen.

Die Verkehrsorganisation wird immer mehr zum entscheidenden Faktor für die Funktionsfähigkeit der Stadt Halle als Oberzentrum
Neben der Aufwertung der Innenstadt müsse der eingeschlagene Weg der Erreichbarkeitsverbesserung der Innenstadt als Handels- und Gewerbestandort konsequent weiter bestritten werden, so der Tenor. Dynamische und „mitdenkende“ Verkehrssteuerungssysteme könnten Staus vermeiden helfen, den Verkehrsfluss verstetigen, die Abgasbelastung reduzieren und das Straßennetz durch Verringerung ständiger Brems- und Beschleunigungsvorgänge schonen. Durch die Mitarbeit der Stadt Halle an dem länderübergreifenden Forschungs- und Modellprojekt „Mosaique“ sind erste Ergebnisse wie die intelligente Ampelsteuerung in der Kröllwitzer Straße erzielt worden. Ferner ist die Mitwirkung am daran anknüpfenden Landesprojekt „Galileo-Testfeld Sachsen-Anhalt“ zur Generierung aktueller Verkehrsdaten in Echtzeit zu erwähnen.
Beim Thema „Parken“ ist durch den Bau zahlreicher Parkhäuser die Stellplatzsituation in der Stadt stark verbessert worden, hieß es. Defizite bestünden noch am nördliche Innenstadtring im Bereich des Friedemann-Bach-Platzes. Hier wäre die Errichtung eines weiteren Parkhauses zu prüfen, weil damit auch der Entwicklung der großen Ullrichstraße als Handelsstandort ein weiterer positiver Impuls verliehen werden könnte. Der Vorschlag der Firma Finsterwalder zur Ausweisung von Stellplätzen für Transportfahrzeuge bis 7,5 to sowie von Kurzzeitstellplätzen für den Anlieferverkehr in der Innenstadt zur Minimierung der Fahrzeugbewegungen und Umweltbelastung wird in Abstimmung mit der Stadt in die Verkehrskonzeption aufgenommen. Zur Bewältigung der touristischen Verkehre benötigt die Stadt erst einmal ein Gesamtkonzept, das den unterschiedlichen Anreisemöglichkeiten Rechnung trägt und die Versorgung der Touristen mit wichtigen Stadtinformationen am jeweiligen Ankunftsort sicherstellt. Neben einer Konzeption für Reisebusse gehört die Einbindung des Taxenverkehrs und des ÖPNV genauso dazu wie entsprechende Anpassungen des Parkleitsystems.

Entwicklung des ÖPNV
Die Stadt als Auftraggeber steht hier in der Pflicht, eine weitere positive Entwicklung durch Nahverkehrspläne mit Augenmaß und eine ausreichende investive Verwendung der ÖPNV-Landesmittel zu ermöglichen. Hier wäre ein Betrag von 20% für Investitionen vorzusehen.

Ein klares NEIN zu einer Umweltzone
Die positive Wirkungen der in den letzten 20 Jahren verbesserten Verkehrsinfrastruktur drohen durch die Einführung einer Umweltzone konterkariert zu werden, da waren sich die Beteiligten einig. So seien die Verkehrsströme auf gut erschlossenen Hauptachsen gelenkt worden, um die Wohngebiete durch die Einführung vom Tempo-30-Zonen zu entlasten. Nun werde aber gerade an diesen Hauptachsen wie in der Paracelsusstraße an einer “in Nacht und Nebelaktion eingerichteten zweiten Verkehrsmessstation die Luftqualität gemessen”. Deshalb verwundere es nicht, dass hier Überschreitungen der zulässigen EU-Grenzwerte zu verzeichnen sind, während an den übrigen vier stationären Messstationen bisher keine Überschreitungen auftraten.

Es zeichnet sich in der Stadt Halle ab, dass die vor Jahren akute Feinstaubproblematik heute nur noch eine untergeordnete hauptsächlich durch meteorologische Verhältnisse beeinflusste Rolle spielt und das Hauptproblem die deutlich überschrittenen Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) sind. Obwohl die EU, wie aus dem Vortrag zur Umweltzone in Berlin zu erfahren war, keine Umweltzone vorschreibt und diese nur eine von 16 Maßnahmen des Luftreinhalteplanes von Berlin darstellt, erachtet das Umweltministerium in Magdeburg die Einrichtung einer großflächigen Umweltzone als einzige Möglichkeit, um die Einhaltung der geforderten Grenzwerte zu erfüllen. Praktisch würden somit in der Endstufe der Umweltzone (Zufahrt nur noch mit grüner Feinstaubplakette!!) mehr als die Hälfte der leichten Nutzfahrzeuge und rund zwei Drittel der schweren Nutzfahrzeuge mit einem Einfahrverbot belegt werden. Dies wäre eine unzumutbare Belastung des Wirtschaftsverkehr der Stadt Halle, kritisieren vor allem die Wirtschaftsvertreter. Die geringe Eigenkapitaldecke der meist kleinen und mittelständigen Unternehmen der Stadt lasse teure Filternachrüstungen oder gar den Austausch der Fahrzeugflotte in den allermeisten Fällen nicht zu.

Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen wäre die Umrüstung der Flotte umweltpolitisch sogar kontraproduktiv, hieß es in den Vorträgen. Ursache dafür ist die derzeit zur Verfügung stehende Filtertechnologie der Automobilindustrie, da die bisherigen Filtersysteme (EURO 3-und EURO 4-Norm) zwar den Anteil der Feinstaubpartikel in den Abgasen reduzieren, dies aber mit einer Erhöhung der Stickstoffdioxidbelastung „erkauft“ wird. Eine signifikante Senkung der Stickstoffdioxidbelastung wäre erst mit der Einführung der EURO 6-Norm zum 01.Januar 2015 zu erwarten. Wie die Erfahrungen aus der Umweltzone in Berlin zeigen würden, sei ein hoher bürokratischer Kostenaufwand (z.B. durch Ausnahmegenehmigungen) in der Größenordnung von 300 Mio. € verursacht worden. Und das, so ein Referent, ohne erkennbaren Nutzen für die Umwelt. Es lohne sich daher gemeinsam mit der Stadtverwaltung im Rahmen des Aktionsbündnisse gegen die Umweltzone vorzugehen, meint auch Bürgermeister Pohlack, der nun bis zum Schluss kämpfen will und es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen will. Alternative Maßnahmen wie der forcierte Bau von Umgehungsstraßen wie der A 143 und Osttangente oder die Optimierung der Ampelschaltungen würden eine höhere Wirkung entfalten und gleichzeitig die Verkehrsinfrastruktur der Stadt Halle verbessern. “Die Feinstaubrichtlinie der EU verlangt keine Maßnahmen, die wirkungslos sind. Also auch keine Umweltzone!”