WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich enttäuscht

von 24. November 2016

Am Anfang sah es nach einem normalen Abend aus. Der prächtige Festsaal der Leopoldina, der 380 Sitzplätze hat, war fast vollständig besetzt. Für die Referate und das Podiumsgespräch waren Prof. Dr. Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Thomas Reitmann, Regionalleiter der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, und Sonia Seymour Mikich, Chefredakteurin für Politik und Zeitgeschehen beim WDR-Fernsehen, vor Ort. Mikich referierte zum Thema des Abends und erklärte aus ihrer Sicht, was „Qualitätsjournalismus“ ausmacht: vor Ort sein, verschiedene Blickwinkel einnehmen, Informationen und ihre Quellen hinterfragen. Sie berichtete dann schließlich über Beispiele der Recherchearbeit und ihren Weg zur Chefredakteurin. Die Mutter Deutsche, der Vater Jugoslawe, in London geboren, in Moskau und Paris gearbeitet – Mikich hatte bisher kein langweiliges Leben. Sie schwärmte, dass im Russland unter Präsident Boris Jelzin alle Türen offenstanden für die Reporter aus dem Westen. Im vertrauensseligen, ahnungslosen Russland, das in der Zeit schamlos ausgeplündert und zum Dritte-Welt-Land degradiert wurde, hat sie sich wohlgefühlt und jene Lage damals war, sagte sie, doch nicht so dramatisch wie jetzt in den USA nach dem Wahlsieg von Donald Trump. Sie war öfter da, wo es gefährlich war, in Tschetschenien und Afghanistan zum Beispiel. Mikich pries das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen als Hort der Professionalität, Ehrlichkeit und Wahrheit.

Dann war das Publikum an der Reihe, Fragen zu stellen. Die wenigen, die ans Mikrofon kamen, nutzten die Gelegenheit für Fragen und Statements. Halles ehemaliger Baudezernent Wolfgang Heinrich, der selbst innerhalb seiner Partei, der CDU, schon als angriffslustig bekannt ist, trug nach einem kurzen Loblied auf die DDR den Vorwurf der einseitigen Berichterstattung vor. Rolf Becker, bekannter als Drehorgel-Rolf, nutzte die Gelegenheit für einen eigenen Werbeblock als Trabi-Entertainer und prahlte, genau dort ohne jeden Schutz gewesen zu sein, wo Journalisten heute, wie Mikich erzählt hatte, erst nach einer speziellen Gefahrenausbildung, mit Wachschutz und in gepanzerten Fahrzeugen hinfahren. Fabian Kursawe vom Verein Mohio verwies auf eine wissenschaftliche Studie, die aufzeigte, wie objektiv die Medienberichterstattung tatsächlich ist.

Schließlich brachten weitere Zuhörer erst den Verweis auf ein Buch von Jürgen Todenhöfer über den Islamischen Staat (Inside IS – 10 Tage im Islamischen Staat) und dann auf eine Buch von Russlandexpertin Gabriele Krone-Schmalz (Was passiert in Russland), um zu signalisieren, welche Themen ihnen bei den Sendern der ARD zu kurz kommen oder falsch oder unzureichend dargestellt werden. Mikich wehrte alles ab: den Vorwurf der einseitigen Berichterstattung, der Parteinahme, wissenschaftlich nachgewiesenen Falschberichterstattung, der Verharmlosung des Islam, den Verweis auf Krone-Schmalz und auf Jürgen Todenhöfer. Nur einen Einwurf fand sie richtig: Dass am Wochenende zu viele Krimis kommen und zu wenig zu Politik und Zeitgeschehen.

Lange hatte Mikich die gefühlte Mehrheit der Zuhörer hinter sich, überwiegend ältere Menschen, also die laut einer Studie des Bayerischen Rundfunks zum Vertrauen in die Medien vom 2. Mai 2016 treueste Zuschauergruppe. Als sie die WDR-Zuschauersendung „Ihre Meinung“ von Bettina Böttinger verwies, um zu erklären, dass auch kritische Bürger im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu Wort kommen, ging das erste heftige Raunen durch den Saal. Mikich hatte sich so geäußert, als sei der WDR im Osten nicht zu empfangen. Einige Zuhörer riefen, dass sie die genannte Sendung kennen. Als die Sprache auf den Islam kam, nannte die Journalistin den Koran ein altes Buch und erzählte, die heilige Schrift der Muslime kurz angelesen und wegen des Frauenbildes letztlich ungelesen weggelegt zu haben. Urteilen ohne sich zuvor allseits informiert zu haben, hatte sie zuvor dem Publikum angekreidet. Die Bürger sollten das Medienangebot doch bitte umfassend konsumieren, dann würden sie sehen, wie vielseitig die Themen dort beleuchtet würden.

Die Angriffslust des Publikums quittierte Mikich schließlich mit der Bemerkung, dass sie anderthalb Tage ihrer Zeit in diese Veranstaltung investiert habe, durchaus anderes hätte tun können und nun enttäuscht sei. Die Attitüde kam sofort retour. Wieder raunte der Saal und diesmal war die Empörung deutlich zu vernehmen. Am Ende überwog die Enttäuschung im Festsaal der Leopoldina.