Wer hat Angst vor Online-Journalismus?

von 22. Oktober 2009

Jörg Biallas ist leitender Redakteur der Mitteldeutschen Zeitung. Hinter ihm, hinter dem Podium, prangt ein riesiges Werbebanner seiner Zeitung, darauf abgebildet ein zusammengerolltes, papierenes Exemplar, trutzige Ikone einer Spezies, die im Biotop der alten Bonner Republik prächtig gedeihen konnte.

Doch die Welt der Galapagos-Schildkröten scheint zunehmend gestört. "Onlinejournalismus", "Blogs" und jetzt auch "Twitter" sind Boten einer bedrohlichen Klimaveränderung, eine neue Spezies, die sich kaum noch in einer Parallelwelt gefangen halten lässt. Erstmals sitzen sie mit auf dem Podium. Vorerst einmal im halleschen Puppentheater. Eingeladen hatte die Mitteldeutsche Zeitung und die "Europäische Journalistenschule für Multimediale Autorschaft / Alfred Neven DuMont (HALESMA A.N.D.)", die jedoch bei der Veranstaltung dezent im Hintergrund bleibt.

Verändern Blogs, Onlinezeitungen und Bürgerjournalisten die Welt? In Ihrer Onlineausgabe stellt die "Mitteldeutsche" denn auch gleich die bange Frage: "Was wird dann aus den traditionellen Medien wie Ihrer guten, alten Tageszeitung?"

Eines scheint sicher: Offline-Journalisten beäugen ihre Online-Konkurrenz sehr argwöhnisch. Wird da teurer Content für lau rausgehauen? Diese Einstellung wird aber wohl daran liegen, dass anscheinend 80-90 Prozent der Offliner keine Ahnung vom Netz haben. So sehen es jedenfalls Thomas Mrazek, Chefredakteur des Münchner "onlinejournalismus.de" und Gero Hirschelmann von MZ-Web.de. Mrazek fragt ins Publikum: Wie viele von Euch "twittern"? Noch heben sich die Hände zaghaft. "Solltet Ihr aber tun – und holt Euch ruhig blutige Nasen dabei".

Jeder gute Journalist sollte eigentlich ein Blog haben, sagt Johnny Haeusler aus Berlin, Betreiber einer der erfolgreichsten Onlinezeitungen Deutschlands, dem "Spreeblick". Ein Journalist aus Leidenschaft, der der "One-Way"-Berichterstattung konventioneller Printmedien den Rücken gekehrt hat. Heute schreibt er zwei Stunden an einem guten Artikel, und muss sich dafür zehn Stunden lang mit der Kritik seiner Leser auseinander setzen. "Das nervt schon manchmal, wenn man meint, etwas Gutes geschrieben zu haben, und dann schreibt einer der User, das war alles Käse".

Dafür aber erhalte der Journalismus eine neue Qualität, man könne schneller korrigieren, Kritik aufnehmen, und er rät: "in den meisten Fällen ist es auch besser, Fehler einzugestehen".

Die völlig neue Qualität jedoch besteht für ihn darin dass Nachrichten anders gefiltert würden. Früher haben die Chefredaktionen der Prinmedien bestimmt, was ihren Lesern als Information zugemutet werden könne und was nicht. Diese Einbahnstraße sei nun vorbei, und mache Onlinejournalismus auch wieder interessanter und spannender für die Leser. "Man begegnet sich auf Augenhöhe".

Das Thema der Veranstaltung "Bürgerreporter im Netz versus professionelle Journalisten. Konkurrenz oder Kooperation?" hat Eric Marcuse getwittert. Die Antworten erhielt er promt: "Gähn" tweatete es zurück. (Lachen im Publikum), "Uraltdiskussion von Vorgestern". Es gehe ohnehin doch darum, wie die Möglichkeiten des Web den Journalismus verändere, nicht, welches Medium das Bessere sei. "Das Netz lässt ohnehin die Medien zusammenwachsen".

Vorsichtiger, ständig den wächsern dreinschauenden MZ-Print-Kollegen Biallas im Blick, äußert sich Gero Hirschelmann, der MZ-Web-Redakteur. Ja, er hat Wünsche an seine Print-Kollegen. Dass sie nicht so sparsam und restriktiv ihre Artikel der Online-Redaktion zur Verfügung stellen, nicht immer erst nach 18 Uhr.
Gegoogelt hat Thomas Mrazek, und lobt die MZ-Web dafür, dass sie auch das Halleforum in seine Seiten einbinde. An Biallas von MZ-Print, der bei soviel Twitter, Blog und Prozessjournalismus der Diskussion ohnehin kaum mehr folgen konnte, schien das Lob an den kleinen Bruder abzuperlen wie an Lotushaut.

Über Blogs könne man doch gezielt Fehlinformationen streuen, verlautete es aus dem Publikum. Nein, denn die Szene sei hart umkämpft, und die Blogger kontrollieren sich gegenseitig argwöhnisch. So sei der Spreeblick in ständiger Kritik durch den Starblogger "Don Alfonso", berichtete Mrazek, was Johnny Haeusler mit leicht gequältem Nicken bestätigte.

Jeden Morgen die Wundertüte öffnen?

Die Unterschiede des neuen Journalismus offenbaren sich schon in der Struktur des Angebotes. Tageszeitungen orientieren sich immer noch an alten Lesegewohnheiten, sie haben oft sogar ein Inhaltsverzeichnis, und natürlich keine Suchfunktion. Man kaufe sich damit jeden Tag eine Wundertüte, während Online-Beiträge zumeist gezielt ergoogelt würden und der neueste Beitrag steht in der Regel strikt oben. Das bedingt völlig neue Lesegewohnheiten, so die Online-Experten.

Kann man damit eigentlich Geld verdienen?

Die Frage, die sich selbstredend für große Verleger stellt, wird eindeutig ungewiss beantwortet. Die Online-Redaktionen der Tageszeitungen sind meistens deren outgesourcte Anhängsel, ihre schlechter bezahlten Redakteure werden dementsprechend behandelt. Johnny Haeussler vom Spreeblick ernährt immerhin drei Mitarbeiter mit einer eindeutigen Mischkalkulation. Seine Kompetenz ist gefragt: Geld verdient er mit teuer bezahlten Vorträgen, mit der Erstellung von Webauftritten, und etwas kommt auch über Werbeeinnahmen hinein. "Mit bloßen Nachrichten ist in Zukunft ohnehin kein Geld zu verdienen", sagt auch Hirschelmann von MZ-Web.

Denn irgend jemand verrät sie immer. Kostenlos.