Willkommensfrühstück und Protestbanner in Halle-Neustadt

von 25. August 2015

Zum Frühstück hatte Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand eingeladen. Der Aufruf kursierte mit den Unterschriften beinahe sämtlicher namhafter Einrichtungen und Politiker in Halle und sollte ein Zeichen sein für die geplante Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) in Halle. Im Vorfeld hieß es, dass Rechte gegen die ZASt auftreten wollten. An Demonstrationen gegen Kundgebungen rechter Nationalisten hatte der OB schon in der Vergangenheit wiederholt teilgenommen. Beobachter der langen Frühstückstafel am Samstag meinten hinterher, dort kaum Flüchtlinge gesehen zu haben. Ihnen wurde in Diskussionen auf Facebook entgegnet, dass sehr wohl Flüchtlinge vor Ort waren und andere sich einfach nur nicht getraut hätten, der Einladung an einen Ort zu folgen, wo möglicherweise Nazis auftauchen. Nach offizieller Darstellung der halleschen Stadtverwaltung zeigten „mehr als 1200 Menschen ihre Hilfsbereitschaft und Toleranz gegenüber Flüchtlingen.“ Damit sei Halle eine „eindrucksvolle und friedfertige Demonstration positiver Willkommenskultur in der Stadt“ gelungen. Auf Facebook waren vor der Veranstaltung 4259 Einladungen verschickt und 459 Teilnahmen fest zugesagt worden.

Worum geht es konkret? Im gesamten Jahr 2014 bekam Halle über Halberstadt, wo sich bisher die einzige ZASt des Landes Sachsen-Anhalts befand, rund 1200 Flüchtlinge zugeteilt. Sollten die aktuellen Zahlen des Bundes von 700.000 Flüchtlingseintritten nach Deutschland im Jahr 2015 stimmen, würde das nach dem geltenden Verteilungsschlüssel (Sachsen-Anhalt drei Prozent davon, Halle 11,4 Prozent von den drei Prozent) für Halle eine Verdoppelung auf 2400 Flüchtlinge bedeuten. Im Jahr 1993, dem bisher mit Abstand stärksten Fluchtjahr für Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg, hatten 513.561 Asylanträge vorgelegen, von denen mehr als 350.000 Anträge abgelehnt wurden, so die offizielle Zahl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Am Sonntag, einen Tag nach dem Willkommensfrühstück, traten „Die Identitären“ in Aktion und entrollten auf einem leerstehenden Hochhaus gegenüber des Neustadt Centrums ein 30 Meter langes Banner als Protest gegen den „großen Austausch, sprich: die Ersetzung der angestammten Europäer durch raumfremde Zuwanderer“, wie es in einer Erklärung dazu heißt, die Hallelife zugespielt wurde. In dem Schreiben wird Halle-Neustadt als trister Ort der Übriggebliebenen dargestellt, in deren Nachbarschaft zunehmend „Neue“ ziehen, „die ihrerseits angelockt wurden von den Verheißungen des reichen Westens, über die ihnen die Schleuser in ihren Heimatländern berichtet haben“. An den Hochhausscheiben sei heute folgendes Bild zu beobachten: „Dunkelhäutige junge Männer in Jogginganzügen und in schwere Stoffe verhüllte Frauen verkaufen hier billigen Kitsch, Plunder und gefälschte Markenware.“ Zur Aktion des OB heißt es: „Der Bürgermeister spricht im Namen einer Stadt, die nie nach ihrer Zustimmung gefragt wurde.“ Die Identitären bezeichnen die allgemeine Entwicklung als „Einwanderungskrise“ und stellen dazu fest: „Die Deutschen verschwinden, die Einwanderer kommen. Sie strömen an die Futtertröge einer mürbe gewordenen westlichen Gesellschaft.“ Die Entwicklung in Halle erinnere „an die Anfänge in jenen deutschen Großstädten, in denen die Jugend ohne Migrationshintergrund heute schon in der Minderheit ist.“ Sollte diese Entwicklung weitergehen, würde die deutsche Jugend im Jahr 2035 eine Minderheit im eigenen Land sein. Dem wolle man nicht tatenlos zusehen.

Die Identitäre Bewegung (IB) ist europäisch und hat Gruppen in Deutschland, Österreich, Schweiz, Tschechien, Italien, Niederlande und Frankreich etabliert. Ihr Ursprung liegt in Frankreich, wo sie seit dem Jahr 2003 als Bloc identitaire tätig ist. Sie versteht sich, nach eigenen Aussagen, als „metapolitischer und aktivistischer Arm der Neuen Rechten“. Die IB erklärt, nicht rassistisch zu sein. „Als Ethnopluralisten bekennen wir uns zur Vielfalt der Völker.“ Seit 2012 ist sie auch in Deutschland aktiv, wo sie im Internet und bei blitzartigen öffentlichen Interventionen in Erscheinung tritt. Gemäß den Aufrufen der Bewegung sollen sich die Menschen „wehren“ gegen „Political Correctness, Kulturmarxismus und Genderwahn“. Die IB steht damit in einer begrifflichen Verbindung zu US-amerikanischen Neurechten, die unter „Kulturmarxismus“ die systematische Unterwanderung und Zerstörung der „weißen Gesellschaft“ versteht. Sie warnen, wie schon Thilo Sarazzin in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“, davor, dass die Einheimischen zur Minderheit werden bis zum Jahr 2050. „Wir werden ausgetauscht!“ Unter dem Label „Kontrakultur Halle“ hat sich in Halle ein „Identitärer Stammtisch“ entwickelt. 2014 tauchte die IB im Verfassungsschutzbericht Berlin auf. Dort hieß es unter anderem: „Die ideologische Basis der ‚Identitären’ entfaltet sich bereits in ihrer Interpretation des Begriffes ‚Identität’, der mit kulturellem Rassismus und klassischen, völkischen Standards durchsetzt ist.“

Dem Beispiel des OBs sind indes die Organisatoren des Mitteldeutschen Marathons (MDM) gefolgt. So sind zum 14. MDM am 6. September 2015 ausdrücklich alle Flüchtlinge herzlich eingeladen. Auf der Internetseite der Veranstalter hieß es Ende August wörtlich: „Auch die Organisatoren des 14. Mitteldeutschen Marathons möchten ein deutliches Zeichen der guten Willkommenskultur in der Saalestadt Halle setzen.“

In der Flüchtlingsdiskussion werden zugleich Stimmen lauter, endlich auch die Ursachen der Flüchtlingsströme zu benennen. Unter anderem von Friedensbewegten aus Halle und der Linkspartei kommen entsprechende Appelle. Im Fokus sind Deutschlands Waffenexporte und die Regierungspolitik der NATO-Staaten. So betreibt und finanziert Jan van Aken, Mitglied des Deutschen Bundestages für die Fraktion Die Linke, die Seite waffenexporte.de, die umfassendes Material liefert. Als die Top 5 der deutschen Rüstungsexporteure werden dort die Airbus Group (ehemals EADS), die Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann (KMW), Thyssen-Krupp und Diehl Defence genannt. 2014 genehmigte die Bundesregierung die Ausfuhr von Waffen im Gesamtwert von mehr als 6,5 Milliarden Euro. Kriegswaffen im Wert von 1,486 Milliarden Euro waren dabei. Deutschland ist der größte Rüstungsexporteur unter den Staaten der Europäischen Union. 2013 wurde bekannt, dass deutsche Raketen in die Hand der „Aufständischen“ in Syrien gelangten. Auf ihrer Internetseite bewirbt die Firma KMW den Panzer Leopard 2A7+ ganz offen als im „Afghanistan-Einsatz bewährtes Fahrzeug“. Rheinmetall feierte am 11. August 2015 einen Vertrag über panzerbrechende Wuchtmunition im Wert von rund 39 Millionen Euro: „Ein internationaler Kunde hat Rheinmetall mit der Lieferung modernster Panzermunition beauftragt.“ Zu den Aktiven, welche die Aktionen der NATO offen anprangert gehört die Deutsche Friedensgesellschaft. Sie sagt: „Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit!“ Zumindest in Halles Rathaus scheint dieser Aspekt noch keine Rolle zu spielen, denn wiederholt konnte die Bundeswehr auf Halles Marktplatz um Soldaten werben, zuletzt beim Beachvolleyballtournier „City Beach 2015“ vom 7. bis zum 16. August.

Hintergrund zur Flüchtlingspolitik

Schon 1921 befasste sich der Völkerbund mit der Frage, wie mit Flüchtlingen umzugehen sei. 1951 wurden diese Bemühungen der internationalen Völkergemeinschaft mit der Genfer Konvention fortgesetzt. In der Konvention heißt es unter anderem: Flüchtlinge sollen nicht an Orte zurückgeschickt werden, wo sie von Verfolgung bedroht sind. Dass die mit der Asylgewährung einhergehende Belastung für einzelne Länder nur durch internationale Zusammenarbeit bewältigt werden kann. Dass von Flüchtenden bei der Einreise in ein anderes Land die Einhaltung aller Vorschriften nicht erwartet werden kann. Wegen der weitreichenden Folgen soll die Ausweisung von Flüchtlingen nur außergewöhnlichen Umständen möglich sein, die direkte Auswirkungen auf die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung haben.

Integrationsportal Sachsen-Anhalt

http://www.integriert-in-sachsen-anhalt.de/

Mitteldeutscher Marathon (Aufruf)

https://mitteldeutscher-marathon.de/news/18-ankndigungen/295-fluechtlinge-sind-herzlich-eingeladen

Waffenexportseite von Jan von Aken (Linke)

http://www.waffenexporte.org

Seite der ältesten deutschen Friedensgesellschaft

https://www.dfg-vk.de/thematisches/aktuelle-kriegsgebiete/