“Wir sparen nicht mehr, wir streichen”

von 25. Oktober 2010

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„Achtung: Städte und Gemeinden in Not“, „Sozialer Kahlschlag“, „Zwei-Klassen-Medizin“ und andere Schlagwörter waren am Montagnachmittag auf großen an Verkehrszeichen erinnernden Schildern zu lesen. Mit einer öffentlichen Personalversammlung haben die hallesche Stadtverwaltung und die Gewerkschaft ver.di auf die angespannte finanzielle Situation der Saalestadt aufmerksam gemacht. Daneben wurde auch gegen die Renten- und Sozialpolitik der Bundesregierung protestiert.

“Wir sind deutlich unterfinanziert”, so Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados. Eine unabhängige Untersuchung des Landes habe für Halle einen Finanzbedarf von Landesseite in Höhe von 212 Millionen ergeben. “Wir bekommen aber nur 181 Millionen”, schimpfte das Stadtoberhaupt mit Blick auf Leistungen aus dem Finanzausgleichsgesetz. Selbst wenn man alle freiwilligen Aufgaben streicht, alles schließt (Zoo, Theater, Jugendclubs etc), reiche das Geld nicht. “Wir sind weit davon entfernt, aufgabenbezogen finanziert zu werden.” Szabados betonte, dass seit Jahren schon Sparanstrengungen laufen. Doch das Ende sei erreicht. “Wir sparen nicht mehr, wir streichen”, so das Stadtoberhaupt. “Damit muss Schluss sein”, sagte sie und forderte einen Mindestlohn, damit die Menschen gerade im Osten wieder ihre Miete bezahlen können und nicht mehr auf Zahlungen aus den Kosten der Unterkunft angewiesen sind. 75 Millionen Euro muss Halle dafür zahlen, hinzu kommen weitere 20 Millionen Euro für die Hilfen zur Erziehung zum Beispiel bei verhaltensgestörten Kindern.

Und so wächst der Schuldenberg der Stadt immer weiter. Aktuell liegt er laut Finanzdezernent Egbert Geier bei 233 Millionen Euro. Die 2002 eingeleitete Haushaltskonsolidierung würde seinen Worten zufolge heute greifen, wären die Kommunen von Bundesseite nicht ständig mit neuen Aufgaben überhäuft worden. „Aufgaben werden kommunalisiert, aber mehr Geld gibt es nicht“, so Geier. Jedes Jahr komme etwas Neues dazu, trete der Bund Aufgaben an die Kommunen ab. Für ein bis zwei Jahre werde dann noch die Finanzierung übernommen, doch danach blieben die Städte und Gemeinden auf den Kosten sitzen. Bestes Beispiel sei die Hartz IV-Reform. Die Stadt muss die so genannten Kosten der Unterkunft zahlen. Die Beteiligung des Bundes sinkt, so ist es derzeit in der Diskussion auf Regierungsebene. Die Stadt hat schon einmal ausgerechnet, was das bedeuten würde: weitere 1,6 Millionen Euro würden in der Kasse fehlen.

Personalratschefin Simona König warnte davor, dass die aktuelle Finanzierungskrise in den Kommunen erst der Anfang ist. „Sobald die Schuldenbremse wirkt, wird es noch schlimmer.“ Die Stadt Halle habe ein Einnahme- und kein Ausgabeproblem. Das liege an sinkenden Finanzausgleichszahlungen durch das Land und der nicht gelösten Stadt-Umland-Problematik. Halle finanziere die Infrastruktur für das Umland mit, klagte sie an. Schon jetzt könne Halle zum Teil Pflichtaufgaben nicht mehr finanzieren. Zweibibliotheken wurden bereits in den vergangenen Jahren geschlossen, die Bäder an die Stadtwerke abgegeben und nun drohe auch die Schließung des Thalia Theaters, wies König auf aktuelle Auswirkungen der mangelhaften finanziellen Ausstattung hin.

Als weiteres Problem für die Kommunen, und somit auch Halle, könnte sich die Abschaffung der Gewerbesteuer erweisen. Halle nimmt in etwa 40 Millionen Euro durch diese von den Unternehmen zu zahlende Abgabe ein. Schon das sind, wie Szabados und Geier erläuterten, knapp 30 Millionen weniger als vergleichbare Kommunen. Doch ein Wegfall hätte dramatische Auswirkungen. So sei von Bundesseite her ein kommunaler Hebesatz geplant. „Hier geschieht eine Umverteilung auf den Bürger“, so Personalratschefin König. Durch die Wegnahme wichtiger Einnahmen gefährde man die kommunale Selbstverwaltung.

Oberbürgermeisterin Szabados wies auf die Anfang der 90er erfolgte Gründung der Stadtwerke hin. „Das war ein richtiger Schritt“, sagte sie. Man habe die Stadtwerke gleich als GmbH und nicht als Eigenbetrieb gegründet. „Man kann Gewinne nicht privatisieren und Verluste sozialisieren“, begründete sie den Gründungsschritt. „Ohne die Stadtwerke stünden wir heute noch schlechter da.“

„Wir brauchen ein breites Bündnis, um die Politik zu einer Änderung zu bewegen“, sagte Ver.di-Regionalgeschäftsführer Lothar Philipp. Er forderte eine Reform der Gemeindefinanzen.

Unterzeichnet wurde im Rahmen der Veranstaltung eine gemeinsame Erklärung von Stadtverwaltung und Gewerkschaften. Darin wird eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen gefordert.

Und wenn alles nicht hilft? „Dann kommt der Sparkommissar“, so Szabados. „Und der macht nur noch formal alles weg“, so Szabados. „Dagegen kämpfe ich.“

Die gemeinsame Erklärung finden Sie auf Seite 2:
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Gemeinsame Erklärung
für den Erhalt kommunaler Selbstverwaltung und öffentlicher Daseinsvorsorge
Da sein für Halle – Da sein für uns – Da sein mit uns

Die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik Deutschland und der damit verbundene Lebensstandard der Menschen, befindet sich auf einem im internationalen Vergleich hohen Niveau. Trotzdem ist die gegenwärtige Lage von höchster Staatsverschuldung und leeren öffentlichen Kassen geprägt (Unterfinanzierung im Bildungsbereich, Defizite bei der sozialen Infrastruktur). Verursacht wurde dies durch eine sozial unausgewogene Verteilung von Einkommen und Vermögen. Auch die guten wirtschaftlichen Jahre 2005 – 2008 haben das Auseinandergehen der Schere nicht gebremst. Diese soziale Schieflage stellt eine Gefahr für unsere Demokratie dar. Selbstverwaltete Kommunen in Deutschland sind wichtige Eckpfeiler der Demokratie und des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft. Die kommunale Selbstverwaltung entscheidet über die Ausgestaltung der lokalen Angebote der Daseinsvorsorge, Infrastrukturmaßnahmen, öffentliche Dienstleistungen und freiwillige Angebote sowie deren Erbringung für Bürgerinnen und Bürger. Die staatlichen Leistungen, die die Bürgerschaft wahrnimmt, werden fast ausschließlich von Städten bereitgestellt, oder von ihnen durch Zuschüsse initiiert: ÖPNV, Kosten der Unterkunft, Straßen, Wege, Plätze, Kindergärten, Schulen, Bäder, Theater, Oper, Orchester, Sportförderung, soziale Einrichtungen und Kinder- und Jugendschutz usw. Erst die Summe all dieser Angebote schafft das, was wir alle zu Recht von der Bundesrepublik erwarten: einen modernen Industrie- und Dienstleistungsstaat. Kann dieses Angebot nicht mehr aufrechterhalten werden, erodiert das Vertrauen in Staat und Demokratie, weil berechtigte Erwartungen nicht mehr oder nur noch unzulänglich berücksichtigt werden. Die seit Jahren strukturelle Unterfinanzierung der Kommunalhaushalte und die aktuellen Folgen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise gefährden die kommunale Selbstverwaltung und öffentliche Daseinsvorsorge.

Die Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland stehen in der größten Finanzkrise der Nachkriegsgeschichte.
Nach einem Defizit von 7,1 Mrd. Euro im Jahr 2009 droht 2010 ein Rekorddefizit von 15 Mrd. Euro.
2010 werden die kommunalen Gebietskörperschaften fast 15% weniger Einnahmen haben als 2008, das sind 11,5 Mrd. Euro.
Die Steuerschätzung von Mai 2010 erklärt die Städte zu den großen Verlierern: Sie sind im Vergleich zu ihrem Anteil am Steuertopf überproportional von den Mindereinnahmen betroffen und werden sich auch später erholen als Bund und Länder.

Die Stadt Halle kämpft seit Jahren mit einem Haushaltsdefizit. Und der Schuldenberg wächst weiter, hervorgerufen durch die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise (Mindereinnahmen bei den Gewerbesteuern, Einnahmeverluste durch nicht geklärte Stadt-Umland-Problematik in Sachsen-Anhalt, geringere Zuweisungen aus FAG u.v.m.)

Allein durch den Einwohnerverlust der Stadt Halle (bis Ende 2009 lag dieser bei 28.000 Einwohnern an das Umland), der sich damit parallel vollziehenden Auswirkungen im kommunalen Finanzausgleich und einer bisher fehlenden angemessenen Lösung der Stadt-Umland-Problematik fehlen der Stadt Halle allein Jährlich 30 Mio. € Finanzielle Mittel, die dringend benötigt werden zum Erhalt und Ausbau der infrastrukturellen Leistungen, der öffentlichen Daseinsvorsorge, die auch von den Bürgerinnen und Bürgern des Umlandes der Stadt Halle zur Verfügung stehen sollen.

Diese Zahlen machen deutlich, dass die Kommunen, dass die Stadt Halle, kein Ausgaben-, sonder ein schwerwiegendes Einnahmeproblem haben. Verstärkt wird diese Situation vor allem durch die Zunahme gesetzlicher Aufgabenzuweisungen durch Bund und Länder, durch steigende Qualitätsanforderungen, ohne dass dabei den Kommunen die dafür notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Bürgerschaftlich verwaltete Städte, Gemeinden und Kreise sind das Fundament des demokratischen Rechtsstaates.

Wenn aber die Handlungsfähigkeit der Kommunen nicht mehr gegeben ist, wenn die Daseinsvorsorge und das öffentliche, soziale und kulturelle Leben in der kleinsten Einheit unseres demokratischen Gesellschaftsgefüges nicht mehr funktioniert, dann wird die Lebensqualität verschlechtert und der soziale Frieden im Land ist gefährdet.

Von „notleidenden“ Kommunen nur weiteres Sparen zu verlangen, geht an der Sache vorbei, da sie sich aus eigener Kraft nicht mehr helfen können. Eine Fortsetzung dieser Kürzungspolitik geht zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger. Hinzu kommt, dass in einer solch gigantischen Wirtschafts- und Finanzkrise nicht weitere Kürzungen, sondern eine antizyklische Wirtschaftspolitik gefragt ist. Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wirtschaftswachstums fordert in § 1: „Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.“ Daher sind vom Bund und den Ländern finanzierte Konjunkturprogramme wie das Konjunkturprogramm II die richtige Maßnahme, um kurzfristig investive kommunale Ausgaben tätigen zu können.

Deshalb fordern die Unterzeichner dieser Erklärung:
– Eine Wirtschafts- und Steuerpolitik, die nicht vorrangig an privater Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, sondern an der Frage ihres Nutzens für unsere Gesellschaft und deren Menschen.
– Eine aufgabengerechte und stabile Finanzausstattung der Kommunen.
– Die Gewerbesteuer ist ein Grundpfeiler der Kommunalfinanzierung.
– Dabei muss über die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage (Einbeziehung der freien Berufe in die Steuerpflicht) eine über die Zeit und über die Fläche hinweg höhere Stabilität der Gewerbesteuer erreicht werden. Die Maßnahmen aus dem sog. Wachstumsbeschleunigungsgesetz müssen zurückgenommen werden. Zuschlagsmodelle auf Einkommensteuer, Beteiligung an der Körperschaftssteuer bzw. höhere Beteiligung an der Umsatzsteuer sind keine Alternativen und verschieben die Finanzierungslast der Kommunen auf die Mehrheit der arbeitenden Menschen. (Beispiel: Sollte die Gewerbesteuer durch einen höheren Umsatzsteueranteil ausgeglichen werden, müsste der Mehrwertsteuersatz auf 30 % steigen)
– Ein finanziell unterlegtes Bekenntnis des Bundes, dass es sich bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt.
– Die Erhöhung des kommunalen Finanzausgleichs verbunden mit einer Finanzausgleichsabgabe zugunsten finanzschwacher Kommunen.
– Eine angemessene Lösung der Stadt-Umland-Problematik in Sachsen-Anhalt, die einer weiteren finanziellen Belastung der großen Städte entgegenwirkt.
– Die Kostenaufteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden muss zugunsten der Gemeinden geändert werden (Grundsicherung im Alter, Kosten der Unterkunft, Eingliederungshilfe, Kinderbetreuung) Hilfe zur Erziehung darf nicht nur allein durch die Kommunen finanziert werden.
– Das Land Sachsen-Anhalt wird aufgefordert, ein Soforthilfepaket für die sachsen-anhaltinischen Kommunen zu beschließen. Hierbei sollen die Investitionsförderung und Investitionszuschüsse bis 2014 deutlich erhöht werden. Das ist eine Investition in Substanz und Infrastruktur und gut für die mittelständische Wirtschaft in Sachsen-Anhalt.
– Die Einhaltung eines strengen Konnexitätsprinzips: Keine weitere Kommunalisierung staatlicher Aufgaben zu Lasten der Kommunen, ohne entsprechende und ausreichende Finanzausstattung.

Die Unterzeichner dieser Erklärung werden mit gemeinsamen Aktionen an die Öffentlichkeit gehen, an die Landes- und Bundesregierung herantreten und ein lokales Bündnis – „Rettet die Kommunen – Da sein für Halle und alle sachsenanhaltinischen Kommunen“ – zusammen mit Parteien, Kirchen, Organisationen und Verbänden eingehen, um für die genannten Forderungen aktiv einzutreten.


Dagmar Szabados, Oberbürgermeisterin der Stadt Halle /Saale, stellvertretendes Präsidiumsmitglied im Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt

Achim Meerkamp, ver.di Bundesvorstand und
Lothar Philipp, Geschäftsführer des ver.di-Bezirkes Sachsen Anhalt-Süd

Simona König Vorsitzende Gesamtpersonalrat Stadtverwaltung Halle/Saale