Zusatzschilder für Theaterviertel

von 23. August 2010

Im Rahmen des Projekts „Bildung im Vorübergehen“ der Bürgerstiftung Halle werden am Mittwoch gleich sechs Straßennamen mit Zusatzschildern ausgestattet und die Namensgeber damit geehrt. Schilder gibt es im Theaterviertel in Wörmlitz für Regisseur Leopold Sachse, Kapellmeister Leo Schönbach, Schauspieler Karl Kendzia, Sängerin Ottilie Metzger, Theaterdirektor Max Richards und Musikdirektor Horst-Tanu Margraf. Die Spender der Schilder sind Opern-Dramaturgin Susanne Holfter, Margit Lenk, Bühnenchef Rolf Stiska und Bibliothekarin Adelheid Hochheim aus Halle sowie Dirk Gebhardt aus München.

Die Bürgerstiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die Namensgeber zu informieren. Denn viele hallesche Straßen sind nach historischen Persönlichkeiten aus der Stadtgeschichte benannt, doch häufig wissen Hallenser oder Gäste gar nicht, wer hier eigentlich geehrt wird.

Einzelheiten zu den Namensgebern lesen Sie auf Seite 2.
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Leopold Sachse (1880-1961)
Er begann als Schauspieler und Sänger (Bassist), wurde dann Regisseur, gründete in Berlin ein eigenes Opern-Unternehmen, die Sachse-Oper, stand ab 1915 an der Spitze der Theater in Halle, später Hamburg und galt als einer der bedeutendsten deutschen Theaterleiter und Opernregisseure in den 20er und frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Dem damaligen Hamburger Stadttheater, heute Hamburger Staatsoper, verschaffte er internationalen Ruf. Von 1915 – 22 war er als Theaterdirektor bzw. (ab 1918) Intendant und als Regisseur in Halle tätig. Hier erregte er Aufmerksamkeit weit über Halle hinaus mit einem klugen, progressiven künstlerischen Programm. Er setzte sich für das neue Schaffen ein, förderte Autoren wie Rehfisch und Barlach oder Komponisten wie Schreker, aber machte auch mit der expressionistisch beeinflussten Sicht auf Wagners MEISTERSINGER von sich reden. Pionierarbeit leistete er mit der Wiederentdeckung der damals weitgehend vergessenen italienischen Spieloper, die inzwischen zum unverzichtbaren Bestandteil im Repertoire aller Opernbühnen geworden ist. Und ihm ist ganz sicher auch der Beginn der halleschen Händel-Opern-Pflege, 1922 mit ORLANDO, zu danken. Als die Premiere stattfand, war er allerdings schon einem Ruf nach Hamburg gefolgt. Die “Ära Sachse” ist zweifellos die künstlerisch bedeutsamste Etappe in der Geschichte des halleschen Stadttheaters. Nach der faschistischen Machtergreifung galten auch Sachses Leistungen nichts mehr. Er war Jude. Noch dazu einer, der aus seiner antifaschistischen Gesinnung keinen Hehl machte. Bis 1936 war er noch führend im Jüdischen Kulturbund Hamburg tätig, dann floh er aus Deutschland. Als einem von wenigen deutschen Emigranten gelang es ihm, in den USA künstlerisch Fuß zu fassen. Er wirkte als Regisseur u.a. an der New Yorker Metropolitan Opera und galt in den Staaten als d e r Regie-Spezialist für Wagner-Opern. Nach dem Zusammenbruch des Faschismus half er der Hamburger Staatsoper, über Kriegsverluste und Nachkriegsnot hinwegzukommen. Zurückgekehrt nach Deutschland ist er nicht.

Leo Schönbach, 1892-1945
„König der Operette“ nannte man ihn im Emigrationsort Shanghai. Aufgewachsen ist er in Halle als jüngster Spross von “S. H. Schönbach – Haus- und Küchengeräte”, Schmeerstraße 1, Ratskellergebäude. Während der ältere Bruder Jakob das Geschäft übernahm, folgte der Jüngere seinen künstlerischen Neigungen. Er studierte Musik, wirkte als Cellist und Pianist, war begehrter Piano-Begleiter auf Konzerttourneen berühmter Sänger und wurde Chordirektor und Kapellmeister am Stadttheater Halle. Nach 1933 blieb dem jüdischen Künstler als Wirkungsfeld nur der Jüdische Kulturbund, zu dessen außerordentlich aktiven Kräften er zählte – u.a. als Leiter der Jüdischen Chorvereinigung Halle, als Musikalischer Leiter der Kleinkunstbühne “Der bunte Karren” Leipzig und als Klavierbegleiter der jüdischen Sängerin Beatrice Freudenthal-Waghalter, mit der ihn eine Konzerttournee in zahlreiche Synagogengemeinden Deutschlands führte. 1937 wurden er und Bruder Jakob aus Deutschland ausgewiesen. Nach vergeblichen Fluchtversuchen, Verfolgung, Verhaftung emigrierte er zusammen mit anderen Familienmitgliedern nach Shanghai – für mittellose Emigranten einzig möglicher Fluchtort. Er setzte die Emigranten härtesten Bedingungen aus. Doch die Theaterleute, sehr zahlreich hier vertreten, erhielten die Möglichkeit, Theater zu machen. Der jüdische Musiker aus Halle fand reiche Wirkungsmöglichkeiten – am Dirigentenpult, als Pianist, als Lehrer. Als er am 4. Februar 1945 plötzlich verstarb, trauerten hunderte seiner Kollegen und Freunde, seiner Bewunderer und Schüler. In der Premiere der Oper CAVALERIA RUSTICANA, die er hatte dirigieren sollen, ehrten ihn die Besucher mit einer Gedenkminute. “Er war unser bester Operetten-Dirigent”, hieß es in einem Nachruf. "Er war der König der Operette in Shanghai. Wo er ging und was er anfasste, gewann wie durch Zauberhand Glanz und Leben…". Seine letzte Ruhestätte fand er in Shanghai. Das Familiengrab auf dem alten Jüdischen Friedhof Halles, in der Humboldtstraße, trägt auch seinen Namen.

Karl Kendzia, 1897-1973
Er war von Haus aus Schauspieler, wechselte dann auch in die Regie und war der erste hallesche Intendant nach dem Zusammenbruch des Faschismus und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Kendzia hatte in Leipzig studiert, dort auch sein Debüt gegeben, war später in Zittau, Altenburg sowie Gotha engagiert – in Gotha zugleich als führendes Mitglied der Studio-Bühne “Ekhof-Trupp”, die sich um die Pflege avantgardistischer Stücke verdient machte. 1938 kam er als Schauspieler und Spielleiter nach Halle. 1945 konnte er das in alle Winde zerstreute Ensemble rasch wieder formieren. Er holte Kollegen ans Haus zurück, die aus politischen, “rassischen” oder anderen Gründen von den Nazis verjagt worden waren – z.B. den Nathan-Darsteller Fritz Hensel, den jüdischen Kapellmeister Hanns Epstein, den beliebten Komiker Paul Herlt, der wegen § 175 in den Roten Ochsen gesperrt worden war. Das Stadttheater war zerstört, Ensemble und Publikum mussten mit Behelfsbühnen vorliebnehmen. Doch unter Kendzias Leitung gelang es, dem Theater der Saalestadt zu neuer, überregionaler Bedeutung zu verhelfen. Die Erhebung der bis dahin städtischen Bühne zum LANDESTHEATER (d.h. Staatstheater) SACHSEN-ANHALT, die im Jahre 1948 erfolgte, war nicht nur ein formaler Akt, sondern Anerkennung hoher künstlerischer Leistungsfähigkeit. Das Bekenntnis zu humanistischen Traditionen, ein betont antifaschistisches Konzept und hoher künstlerischer Anspruch brachten der einstigen “Provinzbühne “ den Ruf ein, zu den führenden Bühnen im Osten Deutschlands zu gehören.
Kendzia prägte dabei das Profil des Hauses wesentlich mit – durch eigene Regiearbeit (z.B. bei der fast legendären NATHAN-Inszenierung 1945) und eigene schauspielerische Leistungen (etwa als Mephisto im FAUST, Philipp im DON CARLOS, Hauptmann von Köpenick, Tartüffe, mit stücktragenden Figuren in Hauptmann- und Gorki-Inszenierungen). Unter seiner Leitung kam 1948 erstmals wieder eine Händel-Oper (XERXES) auf die hallesche Bühne, wurde 1952 mit den ersten Händelfestspielen die kontinuierliche Händelpflege auf den Weg gebracht. Und er stand auch an der Spitze des halleschen Theaters, als 1951 das neu errichtete “Große Haus” des Landestheaters Halle (heute Opernhaus) seiner Bestimmung übergeben wurde. 1952 folgte er einem Ruf nach Berlin. Er arbeitete von 1952-1956 am Deutschen Theater Berlin, anschließend an der Volksbühne, die ihn zum Ehrenmitglied ernannte. Der markante Charakterspieler und Komiker war auch bei Film und Fernsehen ein gefragter Mann.

Ottilie Metzger, 1878-1943
Sie stammte aus Frankfurt am Main und hatte 1898, nach einem Gesangsstudium in Berlin, am halleschen Stadttheater debütiert. Immer wieder waren Bürger der Saalestadt stolz darauf, dass an “ihrer” städtischen Bühne der künstlerische Aufstieg so mancher Berühmtheit ihren Anfang nahm. Die Altistin Ottilie Metzger (die sich später Metzger-Lattermann, mitunter auch nur Lattermann nannte) war eine von ihnen. Bald nach ihren Anfängen in der Saalestadt begann ihre große Karriere. Die hallesche Presse verfolgte ihren künstlerischen Weg und vermeldete viele ihrer internationalen Erfolge – in Berlin und Wien, in St. Petersburg und an der Londoner Covent Garden Opera, bei den Bayreuther Festspielen, in New York und anderswo. Über ihren Tod aber berichtete weder eine lokale Zeitung noch sonst irgendein Publikationsorgan. Wahrscheinlich endete ihr Leben im Februar 1943 im KZ Auschwitz. 1935 musste die Jüdin Metzger aus Deutschland fliehen. Sie fand Unterschlupf in Brüssel und hielt sich mit Gesangsunterricht über Wasser. Nach der Besetzung Belgiens fiel sie der Gestapo in die Hände. Die Spuren führen nach Auschwitz ins Gas…

Max Richards, 1858-1932
Ursprünglich Sänger und Dirigent, war er unter den Chefs des halleschen Stadttheaters derjenige, der die längste Direktionszeit für sich verbuchen konnte. Nicht ohne Grund! Er versuchte während seiner fast 20 Jahre (1897 – 1915) Theaterleitung das 1886 gegründete Haus an das internationale Theaterleben anzuschließen und er verschaffte ihm in Halle selbst eine geachtete Stellung. Die Gründung eines eigenen Theaterorchester 1897 (bis dahin musste die Stadtkapelle die Musiktheateraufführungen begleiten) kommt auf sein Konto. Er machte sich um die Entwicklung des Konzertwesens verdient, holte berühmte Dirigenten wie Richard Strauss, Arthur Nickisch, Siegfried Wagner nach Halle. Und er ließ die Theaterwerkstätten, die noch heute in der August-Bebel-Straße bestehen (inzwischen rekonstruiert), errichten (zuvor gab es nur kleine Werkstatträume innerhalb des Stadttheatergebäudes). Sein künstlerisches Programm war eher konservativ; die damals modernen Naturalisten, die “neue Dramatik” eines Gerhard Hauptmann kamen bei Richards (auch auf Anordnung der “Stadtväter”) kaum zum Zuge. Doch er setzte sich sehr früh für den “modernen” Komponisten Richard Strauss ein, brachte Strauss-Opern wie SALOME, ELEKTRA, ROSENKAVALIER schon gleich nach der Dresdner Uraufführung auf die hallesche Bühne. Unter seiner Direktion gab es glanzvolle Wagner-Aufführungen; sogar der gesamte RING wurde bewältigt. Und wenn auch Wagner seinerzeit überall sehr “in Mode” kam, so machte Halle mit Richards’ Unternehmungen doch einige Furore. Nicht zufällig war Halle für eine Reihe später berühmter Wagner-Sänger das “Sprungbrett”. Neben Frida Leider und Walter Soomer ist Ottilie Metzger zu nennen.

Horst-Tanu Margraf, 1903-1978
Vielen Theater- und Musikfreunden, vor allem den Händel-Fans in Halle und darüber hinaus, wird sein Name noch ein Begriff sein. Dirigent und langjährig Musikdirektor in Halle, gehörte er (neben Regisseur Heinz Rückert und Bühnenbildner Rudolf Heinrich) zu dem “Dreigestirn”, das die Händelopern-Renaissance, die für den Osten Deutschlands in den 50er Jahren von der Saalestadt ausging, ins Leben rief und die Tradition der halleschen Händelfestspiele wesentlich mit begründete. Im Unterschied zu seinen beiden Mitstreitern blieb er bis zuletzt in Halle tätig und sorgte für einen geachteten Ruf der halleschen Musikkultur und speziell der Händelpflege in der Saalestadt.