Zwischen Revolte und Romantik

von 5. Dezember 2015

Auf den ersten Blick sind die Mahnwache der Friedensbewegung Halle und die Gegendemo etwa gleich stark, auf den zweiten Blick stehen etwas mehr Leute auf der Mahnwache; 180, sagt die Polizei.

Die Pfeifen auf der Gegnerseite sind deutlich leiser geworden, die Boxen der Mahnwache sind noch genauso laut wie während der Lärmgefechte im November auf Halles Marktplatz. Neu ist ein großes, rotes Transparent am Zaun der Kriegsgegner, das so groß ist, dass die Gegendemonstranten nur noch hören können, was gesprochen wird – ohne Blickkontakt zum „Feind“. Hauptsorge sind an diesem Montag die Entwicklungen in Syrien, wo nun die Bundeswehr militärisch teilnehmen soll ohne Mandat des Volkes. „Wir sind das Volk“ und „Merkel muss weg“ sind zwei Sprüche, die zu lesen und zu hören sind. Der Parteiadel soll verschwinden und die direkte Demokratie kommen, sind zwei weitere Forderungen des Abends. Einmal mehr bezeichnen Redner das bestehende System als grundfalsch. Daran werde auch die Wahl der AfD nichts ändern, denn der Kampf der Politiker gelte den Abgeordnetenbezügen. Wegen falscher Entscheidungen in wichtigen Fragen und dem Verrat an den Interessen des Volkes seien Widerstand und Einigkeit gefragt. Man dürfe nicht mehr tatenlos zusehen. Frieden und Sozialstaat sowie die Kritik an Politik und Medien sind die immer wiederkehrenden Themen der Montagabende auf der Straße. Es geht diszipliniert zu an dem Tag, doch die Polizei spitzt die Ohren, ob sich das Gesagte im gesetzlichen Rahmen bewegt und wieder gelingt nicht, wofür zumindest einige der Montagsmahnwachen-Teilnehmer stehen – der Brückenschlag ins andere Lager. Dort bleibt es bei Pauschalurteilen und Abwehrreaktionen. Nach dem Ende der Veranstaltung gehen die Menschen motiviert nach Hause und viele wohl auch mit dem Plan, am 7. Dezember 2015 auf den Riebeckplatz zurückzukehren. Zu demonstrieren und trotzdem die Weihnachtszeit zu genießen, ist beides möglich, haben sie mit auf den Weg bekommen. Einige Demonstranten gehen nun Richtung Weihnachtsmarkt.

Auf dem Weihnachtsmarkt geht es gegen 20 Uhr entspannt zu: kein Gewühle, aber Betrieb vor allem da, wo es Speisen und Getränke gibt. Herrlich leuchten Weihnachtsbaum, Pyramide und Verkaufsstände. Am Weihnachtsbaum fotografieren zwei arabische Männer ihre Frauen und Kinder vor dem Weihnachtsbaum. Sie scheinen angesteckt zu sein von der romantischen Stimmung. Ich denke, dass sie – zwei Frauen, zwei Männer, zwei Kinder – vielleicht alle zusammen auf ein Foto wollen, bleibe stehen und signalisiere ihnen mit den Händen meinen Vorschlag. Die blutjungen, attraktiven Pärchen sind begeistert. Wir kommen ins Gespräch. Blau leuchtet das Display des schicken Smartphones, auf dem ein Übersetzungsprogramm Schrift und Sprache zwischen Deutsch, Englisch und Arabisch hin und her überträgt. Mal klappt die Übersetzung, mal nicht. Doch die technische Hilfe ergänzt das spärliche Englisch der Gesprächspartner ganz gut. Die Männer haben beide Berufe: einer ist Friseur, der andere Dekorateur. Die Frauen kümmern sich um Kind und Küche. Für diese vier Erwachsenen scheint das eine ganz normale Rollen- und Arbeitsteilung zu sein. Sie sind alle gut und westlich gekleidet, freundlich und kommunikativ. Die Frauen sind frei von jeder Verschleierung. Sie sind Muslime, sagen sie, und dass sie seit 50 Tagen in Halle sind, wo sie jetzt im Rosengarten wohnen. Sie nennen ihre Herkunftsorte in Syrien, darunter Aleppo, eine Großstadt im Nordwesten, wo seit 2012 gekämpft wird. Eines der Kinder, ein kleiner Junge, kann auf Deutsch fast fehlerfrei bis Zehn zählen. Alle machen den Eindruck, dass sie wohl gerne in Deutschland bleiben werden. Ob das möglich sein wird und ob das gut geht – in diese entspannten Minuten ist das völlig egal.

Friedensbewegung Halle im Internet

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