Bakterien als Arbeiter in der Wasserstofffabrik der Zukunft

von 17. August 2020

„Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will.“ Martin Wagner hat dieses Zitat von Galileo Galilei als Maxime über sein Berufsleben gestellt. „Ich bin in erster Linie neugierig, ohne gleich zu kalkulieren, was eine Idee wirtschaftlich bringt“, sagt der Geschäftsführer der MicroPro GmbH in Gommern. Was nicht heißen soll, dass er seine Firma aus purem Forscherdrang in schwierige Fahrwasser bringt. Im Gegenteil: MicroPro zählt zu den kleinen und dennoch innovativsten, kreativsten Biotechnologieunternehmen in Sachsen-Anhalt. Gegründet wurde esauf der Basis hoher fachlicher Kompetenz. Zur DDR-Zeit gehörte das mikrobiologische Labor zum Forschungsinstitut für die Erkundung und Förderung von Erdöl und Erdgas und somit zum Erdöl- und Erdgas-Kombinat, das in Gommern seinen Stammsitz hatte. Der Nachfolgebetrieb ab 1990 war die Erdöl-Erdgas Gommern GmbH. Die langjährigen Erfahrungen auf den speziellen Gebieten der Geomikrobiologie,der technischen Mikrobiologie und die internationalen Kontakte waren für die Eltern Dr. Manfred und Dorothea Wagner ein gutes Startkapital, als sie 1996 den mikrobiologischen Arbeitsbereich als MicroPro GmbH ausgründeten. Martin Wagner studierte zu jener Zeit in Greifswald Mikrobiologie und arbeitete auf diesem Gebiet an seiner Dissertation. Obwohl – oder gerade weil er als Kind und Jugendlicher vom spannenden „Leben der Mikroben in terrestrischen Räumen“ nicht aus eigener Anschauung, sondern nur aus Erzählungen seines Vater erfuhr. Streng geheim war die Arbeit im Kombinat, das für die geologische Erkundung von Erdöl- und Erdgaslagerstätten im gesamten DDR-Gebiet und in Osteuropa zuständig war.

Neue Forschungsfelder erschließen

„Die Neugier steht immer an erster Stelle …“ Neben der Beibehaltung umfangreicher Serviceleistungen was mikrobiologische Untersuchungen betrifft, wollte sich Wagner Junior neue, eigene Forschungsfelder erschließen, als er 1997 in die MicroPro eintrat. Zu jener Zeit waren das beispielsweise kontaminierte Böden. „Wir haben dafür im Labor unter anderem an Bakterien geforscht, die Kohlenwasserstoff abbauen“, sagt Wagner. Wegen dieser Erfahrungenist sein Labor heutzutage im HYPOS-Netzwerk (Hydrogen Power Storage [&] Solutions East Germany) ein gefragter Partner, wenn es um bakterielle Prozesse etwa in den unterirdischen Wasserstoffspeichern geht. Martin Wagner schlägt die gedankliche Verbindung zu solchen Bakterien, die Wasserstoff produzieren. In einem Forschungsprojekt zu Nutzungsmöglichkeiten von Holz als nachwachsendem Rohstoff war aufgefallen, dass unter bestimmten Bedingungen während des Gärungsprozesses Wasserstoff in großen Mengen frei wird. – Das ist 20 Jahre her. „Ob Forschungsprojekte bis zu einem wirtschaftlichen Gewinn führen, ist immer ein Risiko, das ich aber oft bereit bin einzugehen“, sagt der MicroPro-Geschäftsführer. Denn: Jeder Erkenntnisgewinn addiere sich immer auf die Habenseite .

Im erwähnten Fall war das so. Sein Laborteam hatte die Wasserstoff-produzierenden Bakterien gedanklich nie ganz beiseitegeschoben – bis das von Galilei besagte Problem gelöst werden wollte: Nach dem Reaktorunfall in Fukushima 2011 beschloss Deutschland den Atomausstieg und forcierte die Energiewende. Mit dem Klimaprogramm der Bundesregierung, bis 2030 den Ausstoß von Treibhausgasen um 55 Prozent gegenüber 1990 zu verringern, rückte der Wasserstoff als Energielieferant der Zukunft wieder in den Fokus. „Die Idee ist über 100 Jahre alt“, sagt der Mikrobiologe. Jetzt käme es auf umweltschonende und kostensparende Technologien zur Herstellung von Wasserstoff an. „Warum das nicht von Bakterien machen lassen? Die arbeiten sogar kostenlos!“

HyPerFerment-Projekt

Vor einem Jahr hat die MicroPro GmbH – unterstützt vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) – intensive Forschungen wieder aufgenommen und die Experten vom Fraunhofer Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF Magdeburg als wissenschaftliche Begleiter mit in das HyPerFerment-Projekt geholt. Das IFF sieht in dem HyPerFerment-Verfahren zur kontinuierlichen Produktion von grünem Wasserstoff einen wichtigen Baustein für die Wasserstofffabrik der Zukunft. Was den Anlagenbau betrifft, ist der Streicher Anlagenbau GmbH [&] Co.KG aus Gommern ein kompetenter Partner. Das Unternehmen plant und baut innovative Anlagen für Gastechnik, Tankbau, Raffinerietechnik, Biogaseinspeisung sowie Versorgungstechnik.

Mittlerweile wurde das neue Fermentationsverfahren im Technikumsmaßstab erfolgreich getestet. In einem speziellen Gärungsverfahren entsteht als Stoffwechselprodukt der dafür eingesetzten Organismen ein Gasgemisch aus Wasserstoff und Kohlendioxid. „Unnötige Energieverluste durch zusätzliche Umwandlungsschritte wie Elektrolyse treten unter Verwendung von Bakterien nicht auf“, erklärt Martin Wagner und dass nach Abtrennung von Kohlendioxid aus einer Tonne organischer Reststoffe acht bis 15 Kilogramm reiner Wasserstoff gewonnen werden. Eine Anlage mit einem Volumen von 1500 Kubikmetern könnte eine Wasserstoffmenge für den Betrieb von zirka 1400 Brennstoffzellen-Fahrzeugen produzieren.

Selbstversorger des eigenen Fuhrparks

Das weist auf eine Anwendungsmöglichkeit in der Praxis hin: Das HyPerFerment-Verfahren wird als Vorstufe in Biogasanlagen integriert. Maissilage etwa könne genutzt werden, ohne dass die nachfolgende Biogasproduktion negativ beeinflusst werde. Im Gegenteil: Bisherige Messdaten zeigen, dass die Substrate im Anschluss noch besser aufgeschlossen werden und sich die Methanproduktion erhöhe, sagt Martin Wagner. Demnächst wird eine Pilotanlage errichtet, die im Herbst des kommenden Jahres in Betrieb gehen soll. „Auch was Biogasanlagen betrifft, haben wir in Sachsen-Anhalt innovative und risikobereite Betreiber, die in gute Ideen investieren“, betont Martin Wagner.

Eine weitere Anwendungsvariante des neuen Fermentationsverfahrens sei dessen Einsatz bei organischen Produktionsabfällen. Wagner denkt da an Kaffee, Apfelreste, Kleie oder das aufbereitete Molke-Restprodukt Melasse. „Ein Landwirtschaftsbetrieb könnte auf diese Weise Selbstversorger seines eigenen Fuhrparks sein“, ist eine Vision des MicroPro-Chefs. Eines weiß er sicher: „Der durch Gärung erzeugte Biowasserstoff wird bei der dezentralen Produktion dieses Energieträgers eine bedeutende Rolle spielen.“

Kathrain Graubaum/IMG Sachsen-Anhalt