Eine operative Entfernung des Tumors durch eine Teilentfernung der Hörschnecke ist möglich.Aber eine solche Verletzung der nur erbsengroßen Cochlea, würde normalerweise so die bisherige Lehrmeinung – zu einem Ausfall oder einer erheblichenStörung der Rezeptoren des Gleichgewichtsorgans führen. Ein internationalesTeam um Prof. Dr. Stefan Plontke von der Universitätsmedizin Halle hat nunerstmals gezeigt, dass – entgegen der bisherigen Annahme – die Rezeptoren fürden Gleichgewichtssinn ihre Funktionalität unabhängig von dem Vorhandensein der Gehörschnecke behalten.
Die beiden Rezeptorsysteme eins für das Hören im Hörorgan (Cochlea) und eins für das Gleichgewicht im Vestibularsystem – sind im sogenannten häutigen Labyrinth im Innenohr angesiedelt. Sie teilen sich die gleichen Flüssigkeiten mit einer bestimmten Ionenkonzentration, die für eine normale Funktion der Rezeptoren notwendig ist. Bisher hat man angenommen, dass bei einer Verletzung oder auch Entfernung der Cochlea aufgrund der Operation auch das andere System seine Funktion verliert. Die Operation im Ohr erfordert höchste Präzision und sehr viel Erfahrung. Die Tumoren im Innenohr sind meist nur wenige Millimeter groß. Bei der Operation müssen aber oftmals wesentliche Teile oder auch fast die gesamte Hörschnecke entfernt werden. Unsere Messungen von allen fünf Gleichgewichts-Rezeptoren bei 27 Patientinnen und Patienten vor und nach den operativen Eingriffen haben aber bewiesen, dass trotz einer Verletzung des Hör-Systems die Rezeptoren des Gleichgewichts-Systems eigenständig weiterhin funktionieren, sagt Prof. Dr. Stefan Plontke, Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Wieso dies so sei, müsse weiterhin erforscht werden. Ein Teil der Erklärung sei aber auch die spezielle Operationstechnik, die in Halle angewendet werde.
Die Studie liefert neue Erkenntnisse für das Verständnis zur Funktion und Operation des Innenohres und eröffnet somit neue Perspektiven für die Behandlungvon betroffenen Patientinnen und Patienten, nicht nur mit Vestibularis–Schwannom, und sei entsprechend weltweit in Fachkreisen auf große Resonanz gestoßen. Denkbar seien daraus abgeleitet auch deutliche Verbesserungen von Geräten wie Cochlea–Implantaten (CI), die mit ihrer peripheren Stimulation dafür sorgen, dass die Betroffenen wieder hören können, so die Autoren.
Die Studienergebnisse wurden im renommierten Nature–Fachjournal Communications Medicine veröffentlicht (A case series shows independent vestibularlabyrinthine function after major surgical trauma to the human cochlea,
https://www.nature.com/articles/s43856–021–00036–w, DOI: 10.1038/s43856–021–00036).