Hirn-Wellen zeigen die Mühen des Hörens im Alter an

von 29. Januar 2015

Unser Gehirn ist ständig aktiv. Die winzigen Ströme, die dabei im Gehirn fließen sind mit Hilfe des Elektroenzephalogramms in Form von Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche messbar. Besonders die regelmäßigen Alpha-Wellen(circa zehn Schwingungen pro Sekunde) prägen das so gemessene Signal. Bei Höraufgaben zeigt die Stärke dieser Alpha-Wellen die Höranstrengung der Zuhörer an.

Diese Tatsache haben sich die Wissenschaftler der MPI-Forschungsgruppe „Auditive Kognition“ unter Leitung von Dr. Jonas Obleser zunutze gemacht und die Alpha-Wellen jüngerer (20-30 Jahre) und älterer (60-70 Jahre) Studienteilnehmer während einer Höraufgabe aufgezeichnet. Dabei zeigte sich zunächst, dass der Ausschlag der Alpha-Wellen älterer Teilnehmer während der Höraufgabe schneller abnahm als bei Jüngeren. „Das könnte bedeuten, dass die Aufrechthaltung der Aufmerksamkeit für die älteren Teilnehmer eingeschränkt ist“, erklärt Malte Wöstmann, der die Studie leitete.

Die Höraufgabe der Studienteilnehmer hatte darin bestanden, gesprochene Zahlen zu hören und per Knopfdruck anzugeben, ob die zweite Zahl größer oder kleiner war als die erste. Keine besonders schwere Aufgabe – aber die gesprochenen Zahlen wurden mit einem Störgeräusch überlagert. Mit diesem Störgeräusch, beliebigen Ausschnitten aus einem Hörbuch, simulierten die Forscher eine Hörsituation wie sie uns im Alltag ständig begegnet.

„Um zu vermeiden, dass die Ergebnisse aufgrund unterschiedlicher individueller Hörleistungen des Ohrs selbst verfälscht würden, hatten wir zunächst die Hörfähigkeit aller Probanden genau getestet“, sagt Wöstmann. „Dann haben wir das Sprachmaterial entsprechend dieser Hörtestergebnisse, z.B. in der Lautstärke, genau an die Bedürfnisse jedes Einzelnen angepasst. So wurde die Aufgabe für jüngere und ältere Teilnehmer gleich schwer.“

Während die Teilnehmer sodann die Zahlenaufgabe lösten, nahmen die Forscher zwei entscheidende Variationen vor: Zum einen manipulierten sie die akustische Qualität, indem sie bestimmte Frequenzen aus dem Sprachsignal löschten. „Die Stimmen klingen dann wie künstlich generierte Computersprache“, beschreibt Wöstmann die Veränderung. Zum anderen variierten sie gezielt die Vorhersehbarkeit der Lösung: Wird eine sehr kleine Zahl am Anfang genannt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die zweite Zahl eine größere ist, höher. Mit besserer Vorhersagbarkeit wurden alle Teilnehmer, ältere wie jüngere, schneller beim Lösen der Aufgabe. Anders war es jedoch bei der veränderten akustischen Qualität. Hier profitierten paradoxerweise just die Älteren stärker von höherer Qualität als die Jüngeren, was sich in schnelleren Reaktionszeiten niederschlug.

Wissenschaftlich interessant ist nun, dass diese hohe Bedeutung der akustischen Qualität für ältere Teilnehmer auch in den aufgezeichneten Alpha-Wellen zu sehen war: Mit besserer Sprachqualität wurde der Ausschlag der Alpha-Wellen in der Gruppe der Älteren signifikant kleiner als bei den Jüngeren. Dies deutet auf eine Verschiebung der Aufmerksamkeit auf akustische Aspekte des Sprachsignals im Alter hin.

Untermauert wurde die Relevanz dieser Alpha-Wellen auch durch die Antworten der Teilnehmer in einem Fragebogen. Hier schätzten die Teilnehmer ein, wie schwer es Ihnen fällt, einer Person zuzuhören, wenn andere Personen im Hintergrund laut sprechen. Je stärker eine einzelne Person ihre Alpha-Wellen im Experiment an veränderte Akustik und Vorhersagbarkeit anpasste, desto leichter fiel es dieser Person auch, trotz Hintergrundlärm zuzuhören. „Die Modulation der Alpha-Wellen beeinflusst damit das Verstehen von Sprache in alltäglichen Hörsituationen“, schließt Wöstmann.

Diese Forschungsergebnisse, nun erschienen in der Fachzeitschrift Journal of Neuroscience, eröffnen neue Fragestellungen und Entwicklungsmöglichkeiten. „Ich denke hier zum Beispiel an die Möglichkeit, Hörgeräte irgendwann einmal individuell und dynamisch an die Hirnaktivität des Zuhörers anzupassen, um so das Sprachverstehen in anspruchsvollen Situationen zu verbessern“, erklärt Malte Wöstmann die Perspektive für weitere wissenschaftliche Studien, die die Forscher bereits planen.

Originalpublikation:

Malte Wöstmann, Björn Herrmann, Anna Wilsch, and Jonas Obleser

Neural alpha dynamics in younger and older listeners reflect acoustic challenges and predictive benefits

Journal of Neuroscience, 29. Januar 2015