Wenn der Drang zu ständigen Ritualen zum Zwang wird

von 10. November 2014

Schätzungen zufolge sind bis zu drei Prozent der Menschen in Deutschland im Laufe ihres Lebens von einer Zwangsstörung betroffen. Die Störung beginnt häufig bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. “Typisch sind wiederkehrende Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen”, erläutert AOK-Psychiaterin Maroß. Zwangsgedanken sind Vorstellungen, die die Betroffenen als sinnlos und störend empfinden, unter denen sie stark leiden und die sie dennoch nicht unterdrücken können. Zwangshandlungen sind Rituale, die die Patienten ständig wiederholen – etwa, um sich oder andere vor drohenden Gefahren zu schützen.

Anspannung und Angst

Geben Betroffene dem Zwang nicht nach, erleben sie meist eine unerträgliche Anspannung und Angst. Tun sie es, bringen die Rituale eine vorübergehende Erleichterung. Auf Dauer wird der Zwang aber immer stärker und die Betroffenen erreichen immer schwerer ein Gefühl der Sicherheit.

Häufige Zwangsgedanken und -handlungen sind

  • Reinigungs- und Waschzwänge: Aus Angst oder Ekel vor Schmutz, Krankheitserregern oder Körperausscheidungen waschen sich die Betroffenen ständig die Hände oder putzen permanent ihre Wohnung. Das kann Hautprobleme hervorrufen.

  • Kontrollzwänge: Aus Sorge, durch Unachtsamkeit und Versäumnisse eine Katastrophe auszulösen, kontrollieren Zwangskranke immer wieder Haushaltsgeräte, Türen und Fenster. Dennoch leiden sie unter der Furcht, etwas vergessen oder übersehen zu haben.

  • Wiederhol- und Zählzwänge: Manche Patienten wiederholen ständig alltägliche Handlungen, andere zählen immer wieder bestimmte Dinge.

  • Ordnungszwänge: Menschen mit einem solchen Zwang können es nicht ertragen, wenn eine bestimmte Ordnung durcheinandergerät. Sie achten beispielsweise darauf, dass die Wäsche im Schrank nach einem bestimmten System geordnet ist, und können ein anderes Ordnungssystem nicht ertragen.

Zwangsstörungen entwickeln sich meist schleichend. Die Rituale kosten zunehmend Zeit und Energie und beeinträchtigen das Leben der Betroffenen stark. Viele sind niedergeschlagen, ziehen sich zurück und können ihren Alltag kaum noch bewältigen. Da die Betroffenen die Zwangsgedanken oder -handlungen selbst als unsinnig und übertrieben erkennen, aber diese trotz ihres Widerstand nicht abstellen können, schämen sie sich oft und versuchen, ihr Verhalten zu verheimlichen.

Symptome verringern

“Es lohnt sich aber, sich zu überwinden und den Hausarzt oder einen Psychotherapeuten aufzusuchen”, sagt AOK-Expertin Maroß. Mit gezielten Fragen kann der Arzt oder Therapeut herausfinden, ob es sich um eine Zwangsstörung handelt, und andere Störungen und Erkrankungen ausschließen. Ist eine Zwangsstörung diagnostiziert, lassen sich bei den meisten Betroffenen mit einer professionellen Behandlung die Symptome auf ein erträgliches Maß verringern und Ängste abbauen.

Kognitive Verhaltenstherapie

Als wirksam hat sich bei vielen Patienten eine kognitive Verhaltenstherapie erwiesen. Dabei lernen sie Strategien, die Reize, die bei ihnen Zwänge auslösen, besser auszuhalten und ihrem Drang nicht nachgeben zu müssen. Ein Patient mit Ordnungszwang kann beispielsweise lernen, Unordnung auszuhalten, ohne die neutralisierenden Handlungen einsetzen zu müssen. Eine Patientin mit Waschzwang übt, sich nach dem Anfassen dreckiger Gegenstände nicht die Hände zu waschen. “Eine solche Therapie erfordert Mut und viel Geduld”, weiß Maroß. Möglich sind Einzel- oder Gruppentherapien. Sinnvoll ist es, Bezugspersonen oder Angehörige in die Behandlung mit einzubeziehen.

Auch bestimmte Psychopharmaka, vor allem sogenannte Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, die häufig zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden, können Zwangssymptome lindern. EinerLeitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN)zufolge empfiehlt sich die alleinige Gabe von Medikamenten aber nur, wenn Patienten eine kognitive Verhaltenstherapie ablehnen oder wenn eine Psychotherapie wegen der Schwere der Störung oder aus anderen Gründen nicht möglich ist.

Bei manchen Patienten reduzieren Medikamente die Beschwerden so weit, dass sie anschließend zu einer Verhaltenstherapie bereit sind. Es kann auch eine Kombination aus Psychotherapie und medikamentöser Behandlung sinnvoll sein. Darüber hinaus kann die Unterstützung durch Gleichgesinnte in einer Selbsthilfegruppe Betroffenen helfen, die Zwangsstörung in den Griff zu bekommen.

Dr. Astrid Maroß, Ärztin im AOK-Bundesverband:

Wann man von einer Zwangsstörung spricht

Folgen für die Betroffenen und ihren Alltag

Behandlungsmöglichkeiten von Zwangsstörungen

Mehr Infos zum Thema gibt es: