Das Ende als Anfang – Interview mit Antony Hermus

von 10. Mai 2012

Danach geht man rückwärts vor. 2015 gibt es den kompletten Ring-Zyklus zeitgleich zum internationalen Wagnerkongress. Oder auch umgekehrt. Für manche war diese leicht versetzte Parallelaktion der Opernhäuser Anlass, um die höchst umstrittenen Thesen der vier Autoren zu belegen, die unter dem Titel „Kulturinfarkt – Von allem zu viel und überall das Gleiche“ in den Feuilletons und in der Kulturszene für heftige Diskussionen sorgten. Mit dem Ring-Dirigenten und GMD der Anhaltischen Philharmonie Antony Hermus sprach Joachim Lange über diese Debatte, vor allem aber über die Herausforderungen, die ein Riesenprojekt wie Wagners Vierteiler für das Anhaltische Theater, das Orchester und die Sänger darstellt.[i]Der 1973 in den Niederlanden geborene Antony Hermus studierte in Tilburg Klavier  und Dirigieren. Seit der Spielzeit 2009/10 ist er GMD am Anhaltischen Theater und Chefdirigent der Anhaltischen Philharmonie. Davor war er u.a. GMD am Theater Hagen. Hermus hat sich bereits in jungen Jahren ein breit gefächertes Repertoire erarbeitet. Er gastiert nicht nur an deutschen Opernhäusern, sondern auch regelmäßig in seiner Heimat oder in Frankreich, Irland oder Taiwan.[/i][b]Herr Hermus, was halten Sie denn, sozusagen als Betroffener, von der Diskussion, die es kürzlich darüber gab, dass in Halle und in Dessau an einem Nibelungen-Ring geschmiedet wird?[/b]Na ja. Ich finde, dass jeder die Freiheit haben sollte, gewisse Sachen zu machen. Wenn in Berlin an einem Abend dreimal die Traviata auf dem Programm steht, ist das sicher nicht in Ordnung. Bei uns in Dessau gibt es die Ring-Idee schon lange. Unser Projekt ist aber nicht wie in Halle auf das Wagnerjahr 2013, sondern auf 2015 ausgerichtet. Da gibt es hier nämlich den internationalen Wagnerkongress. Und dann hat Dessau natürlich nicht nur eine große Wagnertradition, sondern unser Haus eignet sich auch wegen des Grabens, der Bühne und des Orchesters extrem gut dafür.[b]Da können Sie die Größe des Hauses mal richtig ausspielen ….[/b]Im Graben wird es trotzdem eine Schuhlöffelarbeit.  Aber es passt gut.[b]Wieviele Musiker sitzen dann dort?[/b]Es werden 78 sein, mit allen Schlagzeugern, die ja nicht so viel zu tun haben in der Götterdämmerung. Unser Orchester hat 78 ein halb Stellen – es ist also so gut wie vollständig dabei. Wir kommen mit nur drei Aushilfen (u.a. bei den Hörnern) aus.[b]Ist diese Wagnertradition, von der Sie sprachen, im Orchester tatsächlich präsent?[/b]Wagner selbst hat sich Musiker von der damaligen Hofkapelle nach Bayreuth geholt. Ein Dessauer Hornist hat den ersten Hornruf Siegfrieds gespielt! Hier gab die erste Ring-Aufführung nach dem Krieg. Und dann haben die Musiker ja vor nicht allzu langer Zeit Tristan, Parsifal und zuletzt Lohengrin gespielt und im letzten Jahr – wie zur Einstimmung auf den Ring – das Nibelungen Ballett von Tomasz Kajdanski begleitet. Mit einem Wort: das Haus schreit danach, den ersten Ring seit 50 Jahren zu stemmen![b]Haben Sie dafür auch die Sänger?[/b]Ja haben wir. Für die Götterdämmerung brauchen wir nur zwei „richtige“ Gäste. Für Siegfried und für Hagen. Arnold Bezuyen ist ein versierter Wagnersänger, der vor allem als Loge bekannt geworden ist und jetzt als Siegfried debütiert. Der zweite Gast ist Stephan Klemm als Hagen. Alle übrigen gehören zum Haus oder sind ihm zumindest eng verbunden. Von Iordanka Derilova (Brünnhilde), Ulf Paulsen (Gunther), Angelina Ruzzafante (Gutrune) und Nico Wouterse bis zu Rita Kapfhammer (Waltraute, 1. Norn und Floßhilde,) Anne Weinkauf (2. Norn und Wellgunde) und Cornelia Marschall (3. Norn und Woglinde) ist das ein tolles Ensemble. [b]Ein Loge als Siegfried – passt das?[/b]Ja und wie. Er ein toller Sängerdarsteller, der weiß, was er macht! Auch Stefan Klemm, also der Hagen, hat viel Wagner-Erfahrung. Aber in diesen Rollen sind sie alle Debütanten.[b]Ist das für Sie eine besondere Herausforderung?[/b]Ich bin auch Debütant (lacht). Für uns war die Götterdämmerung insgesamt fast am leichtesten zu besetzen. Deshalb haben wir auch damit angefangen.[b]Sie haben zwar noch keine Ring-, aber doch Wagner-Erfahrung…[/b]Den Holländer, Tannhäuser und Lohengrin habe ich schon dirigiert.[b]Worin liegt denn nun das Besondere beim Ring?[/b]Es ist echt etwas Besonderes! Und zwar für alle in einem Haus. Besonders aber für den Dirigenten und das Orchester! Ich entdecke immer wieder neue Dinge. Man forscht ständig in einem ganz eigenen Kosmos. In jedem Takt passiert etwas. Jede Szene hat ihren eigenen Charakter, aber man muss eben auch den Bogen vom Anfang bis zum Ende hinbekommen. Das ist eine großartige Erfahrung für mich. Man muss dabei aufpassen, dass man sich nicht verliert. So wie es Christian Thielemann macht: erst Insistieren, Perfektion im Detail einfordern, sich dann aber auch zurücklehnen können und spielen lassen, bis der Moment kommt, der zündet …[b]Ist Thielemann, der ja in Sachen Wagner anerkanntermaßen Spitze ist, eine Orientierung für Sie?[/b]Ich orientiere mich an vielen, denn Routine ist eine Gefahr für jeden Künstler. Gerade war ich zum Beispiel in Amsterdam zum Meisterkurs bei Mariss Jansons. Oder ich habe mir in Paris angesehen wie Philipp Jorden Don Giovanni probt. Das schaue ich mir an, um zusehen, wie die Kollegen das machen. Dabei stelle ich dann manchmal auch fest, dass die Probleme (sicher auf unterschiedlichem Niveau) überall ähnlich sind. Es geht mir darum zu sehen, wie es ein Kollege schafft, die Musiker, bei dem was er will, mitzunehmen. Und es geht darum, zu sehen, was er eigentlich will. Ich weiß schon, was ich kann, aber auch was ich noch lernen muss. Und so ist das für mich ein Suchprozess, dem ich mich stelle.[b]Wie halten sie denn mit der Balance zwischen der Arbeit im „eigenen“ Haus und dem Gastieren? Da gibt es ja extrem unterschiedliche Praktiken…[/b]Wie man es damit hält, ist mit gewissen Phasen im Leben verbunden, aber auch abhängig von der Person. Solange man sich nicht verzettelt, ist das in meinem Alter okay. Ich bin unheimlich gerne hier in Dessau. Es ist aber für ein Orchester wichtig, dass es auch andere Dirigenten erlebt. Und für einen Dirigenten ist es genauso wichtig, dass er mit anderen Orchestern arbeiten kann. Man kann so die Stärken und Schwächen des eigenen Orchesters besser beurteilen.[b]Ich will Sie jetzt nicht nach den Schwächen Ihres Orchesters fragen, aber nach seinen Stärken …[/b]Zum Beispiel: Sehr gut zuhören, sehr schnell reagieren, in großen Bögen denken können, nicht kurzatmig sein. Und dann ist eben tatsächlich auch dieser breite Wagnerklang, der aus der Tradition kommt, wirklich anwesend.[b]Damit sind wir wieder bei der Götterdämmerung: Ist es nicht doch ziemlich ungewöhnlich mit dem Schlussteil zu beginnen? Steckt da nicht doch taktisches Kalkül (auch mit Blick auf Halle) dahinter?[/b]Na ja – eher musikalisches Kalkül und Besetzungspolitik. Es ergab sich einfach aus mehreren Gründen. Jetzt haben wir die Zeit für die Götterdämmerung – wir machen auch nur vier statt fünf neue Produktionen. Auch wenn das seltsam klingt: die Götterdämmerung ist für uns jetzt am einfachsten zu stemmen. Obwohl wir natürlich wissen, dass es der größte Kraftakt ist! Schon die pure Kondition ist da gefordert. Wir studieren im Grunde in drei Wochen zwei Opern ein. Das ist für alle der Hammer! So was muss ja nicht zuletzt auch geplant werden. Inhaltlich war das Nibelungen Ballett dabei eine perfekte Einstimmung für das Orchester![b]In Halle war jetzt beim Siegfried der Graben wieder in eine schwindelerregende Tiefe abgesenkt, mit wohltuendem Effekt – machen Sie das auch?[/b]Nein, wir spielen auf normaler Höhe, so wie wir auch La Boheme spielen. Jede Inszenierung ist eine Zusammenarbeit mit der Bühne und da stehen die Sänger viel vorn. Wo das nicht der Fall ist, gibt es einen Plafond über dem Walkürenfelsen. Mittlerweile ist das so austariert, dass es gut funktioniert. Für mich und das Orchester bleibt es natürlich die große Herausforderung, dass wir über vier Stunden dynamisch feinfühlig bleiben und uns nicht von der Technik erobern lassen.[b]Herr Hermus –  Sind Sie glücklich über Ihren Ring?[/b]Ja sicher und wie. Wir haben mit dem Projekt eine künstlerische Vision bis 2015. Dieser Ring der Bauhausstadt setzt nicht nur in der Umgebung enorme Kräfte frei, sondern schweißt das ganze Haus zusammen, weil es eine große Herausforderung für Alle ist! Danach erscheint einem alles andere geradezu als leicht!