“Das vergessene Lager”

von 18. Dezember 2010

Im Januar 2008 sorgte ein Artikel des „Stern-Online“ für Unruhe in Halle. Darin berichtete der Journalist Nico Wingert über frühere Konzentrationslager in der Saalestadt, von denen kaum jemand etwas wusste. Mit seiner Kritik an der verdrängten Vergangenheit brachte Wingert die eingehende Beschäftigung mit den vergessenen Konzentrationslagern in Halle in Gang.

Nun liegt im halleschen Hasenverlag eine Dokumentation zum Außenkommando des KZ Buchenwald in Halle/Saale der Jahre 1944/45 vor. In drei ausführlichen Beiträgen wird ein dunkles und bisher verschwiegenes Kapitel der Stadtgeschichte beleuchtet.

Der Herausgeber Udo Grashoff untersucht in seinem Artikel das KZ-Außenlager Birkhahn der Siebel-Flugzeugwerke, wo Flugzeuge in Lizenz der Junkers-Flugzeugwerke Dessau gebaut wurden. Mit Kriegsbeginn vergrößerte sich der Produktionsumfang enorm, so dass es ab Sommer 1944 zum Einsatz von KZ-Häftlingen kam. Grashoff berichtet eingehend über die Arbeitsbedingungen in den Siebel-Werken und über die Lebensbedingungen im Lager, wo es auch zu Mord, Folter und Misshandlungen kam.

Der Co-Autor Ralf Rodewald beschreibt das perfide System von nationalsozialistischen Lagern der verschiedensten Art und Funktion. Dazu zählten neben Konzentrations- und Vernichtungslagern auch Arbeitslager, Kriegsgefangenenlager bis hin zum Säuglings- und Kleinkindlagern. Sie alle standen im Dienste des Krieges oder des Massenmordes.

Der Co-Autor Albert Osterloh, der sich in seinem Beitrag auf die NS-Lager bei Mötzlich konzentriert, hat sich seit gut zehn Jahren mit der historischen Entwicklung seines Dorfes befasst. Neben einer kurzen Vorstellung der Mötzlicher Lager hat Osterloh vor allem Einzelschicksale von Fremdarbeitern recherchiert.

Den Abschluss der knapp 100 Seiten bilden einige erschreckende Dokumente zum KZ-Außenlager Halle, die der hallesche Stadtarchivar Ralf Jacob zusammengestellt hat. Die Transport- und Krankenlisten zeigen noch einmal den menschenverachtenden Charakter des nationalsozialistischen Systems.

Die Dokumentation „Das vergessene Lager“ ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der verdrängten NS-Vergangenheit in der Saalestadt. Es ist leider eine beschämende Wahrheit: auch in Halle hat es Konzentrationslager gegeben. Die zeitgeschichtliche Veröffentlichung versucht gegen das Vergessen und das jahrzehntelange Desinteresse anzukämpfen, damit sich so etwas nie wiederholt.

Manfred Orlick

Hasenverlag Halle/Saale 2010, 10,00 €, 96 S., ISBN 978-3-939468-33-2