Die Literatur der Brücke-Maler

von 2. Februar 2012

Jeder Meister hat einmal klein angefangen. Auch bei Ernst Ludwig Kirchner hat es eine Weile gedauert, bis aus ihm der weltberühmte Brücke-Maler wurde. In der neuesten Ausstellung “Wort wird Bild – Illustrationen der Brücke-Maler” der Moritzburg in Halle (Saale) wird auch ein Blick zurück in die Geschichte geworfen zu sehen ist eine Zeichnung des nicht einmal sechsjährigen Kirchners vom Struwelpeter. Seine Eltern haben die Kinderbilder in einer Mappe aufbewahrt, heute ist sie in der Gerlinger-Sammlung zu finden und wird nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

Und es passt auch wie die Faust aufs Auge zur aktuellsten Brücke-Schau, widmet die sich doch den literarischen Themen zum Beginn des 20. Jahrhunderts, mit denen sich damals die Brücke-Maler beschäftigten. Insgesamt 80 Werke, vorwiegend Holzschnitte Lithographien und Radierungen von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein werden gezeigt. Erstmals beschäftigt sich damit eine Schau direkt nur mit den Kunstwerken, die als Illustrationen zu literarischen Werken geschaffen wurden oder aus der unmittelbaren Reaktion auf die Auseinandersetzung mit Literatur entstanden sind. Und davon gibt es reichlich Material. Zu sehen ist nun es nun vom 05. Februar bis 03. Juni 2012. Die offizielle Eröffnung findet am Samstag, 4. Februar 2012, um 15 Uhr statt.

Frühe Beispiele einer gelungenen Auseinandersetzung mit Text und Bild sind die im Jahr 1907 geschaffenen Lithographien Ernst Ludwig Kirchners zum Drama »Sakuntala« des Dichters Kalisada (ein indischer Klassiker aus dem 5. Jahrhundert) und Erich Heckels Holzschnitte zu Oscar Wildes »Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading«. Schon diese frühen Folgen belegen das Interesse der jungen »Brücke«-Maler an Literatur, das rasch zu persönlichen Begegnungen mit namhaften Schriftstellern der Zeit führte. Für diese Beziehungen stehen so eindrucksvolle Darstellungen wie das Bild „Lesende“, ein Porträt der Dichterin Else Lasker-Schüler von Karl Schmidt-Rotluff aus dem Jahr 1912, und eine Zeichnung Kirchners, die seine Verbundenheit mit dem Schriftsteller Alfred Döblin dokumentiert (1914); beide befinden sich heute in der Sammlung von Hermann Gerlinger.

Ernst Ludwig Kirchners Holzschnitte zu Adelbert von Chamissos Novelle „Peter Schlemihls wunderbare Geschichte“ von 1915 gelten als Höhepunkte der expressionistischen Grafik, denn er legt die literarischen Vorlagen nicht im wörtlichen Sinn aus, sondern rückt die Erzählung in autobiografische Zusammenhänge und lässt die Werke ihre Wirkung im kompositorischen Spannungsverhältnis von Text und Bild entfalten. Ähnliches geschieht auch in Georg Heyms Gedichtband „Umbra vitae“, dort schneidet Kirchner für die Ausgabe von 1923 den Text eines Gedichts („Alle Landschaften haben sich mit Blau erfüllt“) in Holz und kombiniert den Text mit der bildlichen Darstellung zu einem einzigen Holzschnittblatt. Auch hier ging es ihm nicht um das künstlerische Beiwerk zu einem literarischen Text, sondern um die Verbindung von Text und figürlicher Darstellung in einem eigenständigen Kunstwerk.

Auch Erich Heckel hatte seit seiner Schulzeit ein großes Interesse an der Literatur. Schon 1907 entstand mit den erwähnten Holzschnitten zu Oscar Wilde einer der bedeutendsten Illustrationszyklen des deutschen Expressionismus, bald darauf wandte sich Heckel der russischen Literatur zu und ließ sich insbesondere von Dostojewski zu eindringlichen Werken inspirieren.

Sogar der literarisch eher desinteressierte Max Pechstein hat etliche Illustrationen und Entwürfe für Bucheinbände geschaffen, die sich allerdings eher an den gebräuchlichen Darstellungsweisen literarischer Themen orientierten.

Almanach der Brücke 2
Wort wird Bild. Illustrationen der ‚Brücke’-Maler.

Mit Beiträgen von Anita Beloubek-Hammer, Günther Gercken, Meike Hoffmann, Andreas Hüneke, Karin Schick, Fritz Schlawe u. Aya Soika. Halle: Stiftung Moritzburg, 2011. 136 S. mit zahlr. farb. Abb.
ISBN.: 978-3-86105-064-1
Preis: 24,90 EUR

Ziel der Reihe, die im Zweijahresrhythmus erscheint und von Hermann Gerlinger und Katja Schneider herausgegeben wird, ist es, Themen aufzugreifen, die bislang nur wenig Berücksichtigung in Forschung und Ausstellung gefunden haben. Die Reihe „Almanach der Brücke“ wurde 2009 mit dem Band „Die Brücke und ihr Nachwirken“ begründet, der die Wirkungsgeschichte der Brücke seit ihrer Auflösung vor hundert Jahren in den Blick rückte.

Auch “Wort wird Bild. Illustrationen der Brücke-Maler“, der zweite „Almanach der Brücke“, der jetzt neu erscheint, widmet sich einem bislang in Gesamtdarstellungen vernachlässigten Thema: der künstlerischen Auseinandersetzung der Brücke-Künstler mit Literatur und Dichtung. Dies ist umso erstaunlicher, da die „Brücke-Künstler auch im Bereich der Illustration meist radikal aus der konventionellen Formensprache ausbrachen und ihre Werke zu Literatur und Dichtung zu den Höhepunkten der expressionistischen Grafik zählen.

Begleitprogramm zur Ausstellung:
„Bilder zu Texten“ – 10. Seniorenwerkstatt
Als Federzeichnung und mit kalligrafischen Elementen entstehen
Bilder zu literarischen Texten. Zum Abschluss werden die einzelnen Arbeiten
zu einem Buch zusammengestellt
Vom 10. – 13. April, tägl. 10 – 13 Uhr

Szenische Lesung. Sprechbuehne der Martin-Luther-Universität Halle – Wittenberg
„In roten Schuhen tanzt die Sonne sich zu Tod am Rand der Nacht“
Expressionistische Lyrik. Premiere am 22.04.2012 um 17.00 Uhr statt. Weitere Aufführung 03.06. 2012, 17 Uhr