Feuerwerk begnadeter Schauspielkunst

von 15. Juli 2011

Robinson Crusoe oder „Die Insel ist das Paradies“. Ein Geschäftsmann, der eigentlich nur seine Außenstelle in Australien besuchen wollte, landet als einziger Überlebender auf einer einsamen Insel. Nun sitzt Robinson auf seiner Insel fest, ohne Smartphone, Laptop usw.

So steht es im Programmheft. Aber die Ankündigung hat mit dem Stück nichts zu tun. Ein Fehlhinweis für die schreibende Zunft, die die Zeit nicht aufwendet, in das Stück zu gehen?

Wer hingeht – und das sollte jeder, der Sinn für tiefsinnige Groteske und satyreske Schauspielkunst hat – erlebt einen Tom Wolter, der sich geradezu halsbrecherisch vom Geländer in den Innenhof des Neuen Theaters (NT) schwingt, eine aberwitzig verschachtelte Rede an das Publikum hält, sich langsam auf die Bühne schleicht, wo er sich übergangslos in einen Stiftungsdirektor Kreuzner verwandelt, selbstgefällig posiert und missionarisch darüber predigt, so wie wir es von bekannten sendungsbewussten Museumsdirektoren kennen. Es wirbeln Sätze über Erlebniswelten und Forschergruppen, dann wieder entsteht daraus ein aberwitzig durchgeknallter, ordnungsversessener konservative Bürger, der von wirren Ahnenketten schwadroniert, die sich als legitimen Nachfahren Robinsons berufen fühlen. Die einzelnen Charaktere wandeln sich langsam ineinander um, wie ein Kaleidoskop entstehen so immer wieder neue Bilder und Motive, allesamt wunderbar anzusehen und kaum zu beschreiben. Da wird die Insel zum Forschungslabor, Tom wird Robinson und bringt in gnadenloser Virtuosität einen einohrigen Stoffhasen und einen abgeschossenen Raben zum Sprechen. Es gibt eigentlich keine Handlung, sondern nur Motive, Szenen, durch die Tom sich knapp zwei Stunden lang hindurchspielt, mal den einen Charakter, mal den anderen annehmend. Er greift in Anspielungen so ziemlich alles auf, was Halle und die Welt bewegt – so bekommt sein Stadtratskollege Werner Misch sein Fett, im nächsten Atemzug wird dann aber schon die PID-Diskussion zu skurrilen Sprech- und Mimikorgien verschwurbelt. Tom Wolter gibt ein Feuerwerk seines schauspielerischen Könnens zum besten – und – das erfährt der Rezensent erst auf Nachfrage – seiner Improvisationskunst: denn fast nichts an Text ist in dem Stück geschrieben, ausgefeilt oder geschliffen worden. Tom Wolters Schwachpunkt ist, Texte zu lernen – und so gibt es nur eine thematische Struktur im Stück, und spielt und redet er sich von einem Höhepunkt in den nächsten – ohne jede Länge. Der Zuschauer kommt vollends auf seine Kosten: selten ein so erfrischendes, heiteres, dennoch tiefgründiges Stück erlebt. Und das ausgerechnet auch noch im NT.
Und zwischen drin ein altehrwürdiger Männerchor, der wie antike Chorybanten das launige Spiel begleitet, singt urdeutsche Volkslieder. Und von oben winkt still eine goldene chinesische Wackelkatze.
Wolter-Fans mögen sich vielleicht an Stücke wie Himmel-Hölle-Halle oder seine letzte Moliere-Inszenierung (Die erzwungene Heirat) erinnern. Die gestrige Premiere war nochmals eine Steigerung.

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