Gralsritter und Blumenmädchen an der Halle-Neustädter Magistrale in Sicht

von 9. August 2012

Im Light Cinema Halle Neustadt (und in über 100 anderen Kinos) wird am 11. August der Bayreuther “Parsifal” von Stefan Herheim live übertragen – und niemand muss jahrelang auf die Karten warten.

Es ist keine Legende: wer im Bayreuther Festspielhaus live dabei sein will, der muss sich jahrelang “anstellen”. Das berühmte Festspielhaus ist immer noch vielfach überbucht, auch wenn eher konservative Wagnerianer über die Inszenierungen meckern oder gar wegbleiben. An den Wartezeiten konnten auch die Komponisten-Urenkelinnen Katharina Wagner und ihre Halbschwester Eva Wagner Pasquier, die 2008 das Zepter übernommen haben, nicht wirklich etwas ändern. Immerhin sponserte bis zum vorigen Jahr Siemens ein Public viewing in Bayreuth. Was bleibt sind die Übertragungen im Internet und die ausgewählten DVD-Mitschnitte.

Ausgerechnet der “Parsifal” von Stefan Herheim aber war davon bisher ausgeschlossen. Nun aber, kurz vor Toresschluss, im letzten Jahr, in dem diese beim Publikum vor Ort zunehmend populäre Inszenierung auf dem Programm steht, wird sie am 11. August in über 100 Kinos und im Fernsehen live übertragen!

Hakenkreuze in Bayreuth

Bei der aktuellen Neuinszenierung des “Fliegenden Holländers”, mit der am 25 Juli die noch bis zum 28. August laufenden Festspiele eröffnet wurden, spielte ein unsichtbares Hakenkreuz eine wichtige Rolle. Der Bassbariton Evgeny Niktin sollte der erste Russe werden, der den Holländer auf dem Grünen Hügel singt. Geworden ist er der erste Sänger, der wegen einer (wenn auch inzwischen überstochenen) Hakenkreuz-Tätowierung auf der Brust, eine Woche vor der Premiere wieder abreisen musste. Dabei geht es gar nicht um dieses verhängnisvolle Symbol an sich, sondern um seinen Kontext.

Auf der Bühne wehen nämlich seit 2008 in Herheims “Parsifal” sogar Hakenkreuzfahnen über Wagners einstigem Wohnhaus, der Villa Wahnfried. Und das, obwohl der Komponist sein letztes Werk ziemlich hochtrabend “Ein Bühnenweihfestspiel” genannt hat und es als eine Art Kunst-Gottesdienst verstanden und zelebriert wissen wollte. Das geht soweit, dass manchmal auch heute noch nach dem ersten Aufzug (vor lauter Ergriffenheit oder einfach nur aus Tradition) nicht applaudiert wird bzw. werden soll.

Etwas in dieser Richtung muss der Kinobesucher am 11. August freilich nicht befürchten (oder erhoffen).

Für den norwegischen Starregisseur Stefan Herheim ist Wagners Werk nämlich die Vorlage für ein Musiktheater, das mehrere Ebenen gleichzeitig präsentiert. Was die Kino-Zuschauer u.a. im Halle-Neustädter Light Cinema ab 16.00 direkt aus Bayreuth präsentiert bekommen werden, ist kein langatmig zelebriertes Weihfestspiel, sondern ein Bildersturm der Geschichte. Mit einem der grandiosesten Bühnenbilder, die in den letzten Jahren überhaupt auf einer Opernbühne zu sehen waren!

Heike Scheele ist die Zauberfrau, die für ihre gebaute Opulenz und Theatermagie schon mehrfach ausgezeichnet wurde. Man darf gespannt sein, ob ihr Wunderwerk der Verwandlung auch auf der Leinwand so magisch wirken wird wie im Festspielhaus. Dort ist es ja so, dass, anders als in jedem anderen Opernhaus der Welt, kein Licht aus dem Orchestergraben der szenischen Imagination auf der Bühne dazwischen funkt. Der unsichtbare Graben gehört zu den Mysterien des Festspielhauses und ist der Hauptgrund für die einzigartige Akustik. In Herheims Inszenierung wird ein Ideen- und Bildervorrat verbraucht, der gleich für mehrere Opern reichen würde.

Dabei verwandelt sich die Villa Wahnfried auf offener Szene in den Gralstempel wie er bei der Uraufführung aussah. Im mittleren, dem sogenannten Klingsor-Akt, erinnern die Bilder an die beiden Weltkriege des zwanzigsten Jahrhunderts. Erst gibt es ein Lazarett und dann wehen Hakenkreuzfahnen über Wahnfried bist der große Zusammenbruch alles einstürzen lässt. Im Schlussakt schließlich geht es nach dem Trümmerfraueneinsatz direkt in den Bonner Bundestag. Der Schluss wirkt dann auf dieser Bühne so utopisch vage und unbestimmt wie das Leben.

Herheim hat ziemlich raffiniert und gekonnt, die deutsche Geschichte auf den Punkt gebracht und sie mit der des Wagnerclans, Bayreuths und der des Stückes selbst verwoben. Hinzu kommt ein vielschichtiger Diskurs über fehlgeleitete erotische Kraftströme in einer von Männern dominierten und pervertierten Gesellschaft.

Es lohnst sich also, vorher im Opernführer nachzuschlagen – für Pausengespräche jedenfalls gibt es genügend Stoff.

Wie sich der Klang des Festspielhauses in einen modernen Kinosaal übertagen lässt – auch darauf darf man gespannt sein. Die Besetzung ist jedenfalls erstklassig. Am Pult steht – das erste Mal in Bayreuth – der junge, smarte aber schon wagnererfahrene Chef des Pariser Opernorchesters Philipp Jordan. Hochkarätig sind auch die Sänger: Von Detlef Roth als leidendem und zum Tode entschlossenem Gralskönig Amfortas, über den bewährten Gralshüter Kwangchul Youn als Gurnemanz bis hin zum finsteren, und hier leicht perversen auch schon mal in Marlene Dietrich-Maske auftauchenden Klingsor von Thomas Jesatko und der intensiven Kundry von Susan Maclean bis zum Parsifal Burkard Fritz. Vielleicht erkennt manch ein Hallenser Opernfreund unter den Blumenmädchen zwei gute Bekannte – Martina Rüping und Ulrike Helzel sind da nämlich (schon seit Jahren) mit von der Partie.

Wie immer in Bayreuth kommen die Musiker und der Choristen aus den besten deutschen Orchestern und Chören für die Festspielzeit zusammen. Die Wagner-Enthusiasten sind hier also nicht nur im Zuschauerraum unter sich. Einen Teil der in Bayreuth traditionell einstündigen Pausen werden Katharina Wagner, Moderator Axel Brüggemann und der Star-Tenor Klaus Florian Vogt mit allerlei Wissenswertem vom Grünen Hügel füllen. Aber Zeit zum Essen, fürs Beine vertreten und den Pausenklatsch gibt es natürlich auch im Kino.

Anders als in Bayreuth sind für diesen Parsifal auch kurzfristig noch Karten zu haben! Hier kann man schon für 24,90 € dabei sein. Außerdem sind die Sitze eindeutig um Klassen bequemer, als die gefürchtet harten Bänke in Bayreuth. Na dann: Vorhang auf!

Vorstellungsbeginn: 16.00 Uhr! http://www.lightcinemas.de

kontakt@lightcinemas.de