Martha und Maria finden den Weg in die Fährstraße

von 15. Juni 2016

Christin Müller ist diplomierte Burg-Absolventin und studierte u. a. bei Prof. Antje Scharfe und Prof. Bernd Göbel. Sven Großkreutz studierte von 1991 bis 1993 Malerei und Grafik an der Burg Giebichenstein und anschließend bis 2004 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Dazwischen erhielt er Stipendien für Aufenthalte in Rom und Liverpool. 2004 war er Meisterschüler bei Prof. Ulrich Hachulla. Beide haben sich inzwischen weit über die Grenzen der Saalestadt hinaus als Kunstschaffende einen Namen gemacht.

Das Neue und aufregende an ihrem gemeinsamen Kunstwerk in der Christlichen Akademie ist die Synthese von Malerei und Plastik. Der Aufbau erinnert an sakrale Altargestaltungen. Auf vier Bildtafeln und in zwei fast lebenshohen Keramikplastiken wird das Thema “Berufung – Martha und Maria” entfaltet. Beides, sowohl die figürlichen Plastiken als auch die im Stil der Leipziger Schule gemalten Bilder lassen den Betrachten viele Möglichkeiten der Deutung.

Im linken oberen Bild nimmt Sven Großkreutz die biblische Geschichte von der Auferweckung des Lazarus, eines Bruders von Martha und Maria, auf. Berufung ist so etwas wie die Erweckung zum Leben.
Das daneben angeordnete mittlere Bild mutet nahezu surrealistisch an. Abgeholzte alte Bäume, dahinter noch erhaltener Wald und Karstgebirge, ein altes geschichtsträchtiges Gemäuer können Fingerzeige darauf sein, dass dem Menschen die Aufgabe zukommt, Verantwortung für die Schöpfung, aber auch für das historische Erbe zu übernehmen.

Schließlich wird in der kleinen Bildtafel oben rechts eine Szene aus der Vorbereitung eines größeren Festes gezeigt. Menschen finden zueinander. Interaktion findet statt. Großes steht bevor. Der Raum wird vorbereitet für unvergessliche Begegnungen und Erleuchtung.

Das Hauptgemälde holt uns in die Gegenwart und erinnert an Halle mit seinen alten Fassaden und seinen neuzeitlichen Plattenbauten. Unser Lebensweg wird stilisiert von der Geburt bis zum Tod. Dazwischen der Alltag mit Arbeit und Einkauf, Aufstieg und Fall, Liebe und Trauer. Mitten in diesem Alltag geschieht Berufung, stilisiert durch engelhafte Wesen. Menschen reagieren darauf sehr un-terschiedlich. Die Reaktionen reichen von der puren Ignoranz über angstvolles Erschrecken bis zur bewussten Abkehr. Annahme und befreites Erstaunen findet im Moment der Berufung nicht statt. Vielleicht kann dies ohnehin immer erst in der nachfolgenden Bewusstmachung geweckt werden. Dann können Menschen sprichwörtlich den Boden unter den Füßen verlieren oder eine ganz neue Weltsicht erhalten.

In diesem Kontext finden sich die Schwestern Martha und Maria ein. Es ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, wer von den beiden Frauen Martha und wer Maria ist. Vielleicht könnte die eine immer auch die andere sein. So, wie Helfen und Hören eben auch nicht auseinanderzudividieren ist, sondern eng zusammengehört.

Die Plastiken sind in der für Christin Müller typischen fragmentarisch wirkenden Art geformt. “Nichts wird vorgetäuscht, alles offengelegt, der Blick durch Risse und Öffnungen der Oberfläche ins Innere geführt.“ (Susanne Ulbrich). Diese Plastiken sind wie wir Menschen: verletzbar und verletzt, zerbrechlich und zerbrochen, in der Unvollkommenheit vollkommen, geschaffen, um zu sein, mit beiden Beinen auf der Erde und in ihr verwurzelt. Berufen zum Hören und Begabtwerden und berufen zum Helfen und (Ver-)Geben.

Geheimnis des Menschen, Geheimnis der Begegnung, Geheimnis der Berufung – vielleicht kommt es genau darauf an: Dass wir versuchen, den Geheimnissen unseres Lebens, der Welt, des Göttlichen und unserer Berufung auf die Spur zu kommen, wohl wissend, dass es Geheimnisse bleiben werden. Der Ver-such jedoch, ihnen auf die Spur zu kommen, ist es wert, weil er zu Entdeckungen und Erfahrungen führt, die anders nicht zu erlangen sind.

Feierliche Übergabe: 21. Juni 2016 | 19:00 Uhr | Fährstraße 5 | 06114 Halle (Saale)
Laudator: Prof. Bernd Göbel
Piano: Almuth Schulz