Na ja, ganz nett

von 8. Mai 2011

Matthias Brenner wird neuer Intendant des nicht immer glückvollen halleschen Neuen Theaters in Halle (Saale). Manchmal unglücklich deshalb, weil das NT unter verschiedenen Leitungen gewissermaßen auch die Richtungskämpfe der Theaterszene widerspiegelt – dem gefälligen, aber verpieften Peter Sodann folgte 2004 Christoph Werner auf den Intendantensessel. Werner vermied es, in die Fußstapfen seines Vorgängers zu treten – und trat oft daneben. Begeisterung und Erneuerung des Publikums gelang auch ihm nur zum Teil. Inszenierungen wie „Feuchtgebiete“ oder Regietheateraufführungen von Klassikern wie „Leonce und Lena“ fanden nicht immer den ganz großen Beifall.
Dass die gestrige Premiere bis auf den (nahezu) letzten Platz besetzt war, mag daher wohl nicht nur dem durchaus interessanten “Plot“ der Handlung geschuldet gewesen sein, sondern es war schlichtweg Neugier: In welche Richtung steuert das NT jetzt? Schlägt das Pendel wieder zurück in Richtung Sodannsches Volkstheater?

Insofern mutig, dass Brenner als zukünftiger Intendant sich schon vor Arbeitsantritt eine programmatische Geschmacksmusterprobe liefert.

Das Buch schrieb Jörg Steinberg, der sich sowohl als Schauspieler als auch Regisseur insbesondere im unterhaltenden Metier bewährt hat. Die Handlung enthält medienkritische Ansätze, die sicher noch hätten vertieft werden können: Ein Fernsehsender entwickelt ein neues Format, von dem man sich Quote erhofft. Die Senderinterna sind so, wie man sie durchaus zu kennen glaubt, dabei aber aufs äußerste plakativ verdichtet. Da gibt es einen autoritären und rücksichtslosen Programmchef, eine Assistentin, die offenbar auch ihre mäuschenhafte Weiblichkeit als Karriereinstrument einsetzt und einen jungen Redakteur, der sich wie ein Praktikant benimmt und vom Erfolg träumt.
„Ein Dorf nimmt ab“ heißt das doppeldeutige Format, bei dem übergewichtige Dorfbewohner vor der TV-Öffentlichkeit ihr Gewicht bei allerlei Quälereien reduzieren sollen. Die Zscherbener um ihren Bürgermeister Dieter Bräunlich bewerben sich darum. Sie träumen davon, mit dem Preisgeld ihre Kegelbahn zu renovieren. Natürlich kommt es so, wie es kommen musste: die etwas naiven und einfältigen Dorfbewohner werden vorgeführt, und geraten in das Getriebe der nur auf Quoten ausgerichteten Programmmacher. Da nach Ansicht Steinbergs dieser Handlungsfaden noch nicht ausreicht, wird die Geschichte dann noch mit allerhand Dramatischem angereichert, so wird einer der Programmmacher in einen Bergwerksschacht entführt, der Schacht stürzt auch noch mit großem Getöse und viel Kunstblitzen und Nebel ein usw. Das macht dann zweieinhalb Stunden Spielzeit, netto.

In dem Stück ist von allem etwas drin, hier scheint wohl die Programmatik Brenners hindurch zu schimmern. Durchaus kritische Ansätze im Buch, aber auch plakative dramaturgische Darbietungen. Es polterte manchmal ziemlich laut, wenn die Darsteller von ihren Medizinbällen herunterpurzelten (flache Clownerien, die nicht einmal mehr im C-Klasse-Zirkus funktionieren). Im Großen und Ganzen wird dem Publikum viel Anlass zum Schenkelklopfen geboten. Etwa, wenn der Dorfpolizist (längst bekannte) VoPo-Witze zum Besten gibt. Und wenn eine komische Redewendung einmal funktioniert (“Gehen sie auseinander, oder es gibt hier nichts zu sehen“), dann wird das gleich vier-fünfmal im Stück wiederholt, bis auch der hinterletzte den Witz verstanden hat.
Ach, und in wie viel Schmunzelstücken gibt es bereits angetrunkene Dorfpfarrer, die bei der Beerdigung mit ins Grab stolpern? „Zscherben“ bietet jetzt auch diesen Klassiker des Welthumors.

Und ein Wort an die Kostümbildnerin (Julia Kneusels): Nein, das war zuviel Volkstheaterästhetik. Alles so schön sauber, und hach so klischeebesetzt. Schlichtweg eine Kostümierung wie einst bei Heidi Kabel. Wo in aller Welt gibt es denn noch solche blaustrümpfigen Dorfschullehrerinnen (Elke Richter) mit Dutt und Brille? Und warum muss auch noch der ehemalige LPG-Traktorist in ein gestärkt frisches Hemd, sauberste Latzhose (wohl frisch zur Premiere aus dem Berufbekleidungsfachhandel eingetroffen) und auch noch in fabrikneu glänzende Gummistiefel gesteckt werden? Glücklicherweise gelang es Hilmar Eichhorn, aus diesem Schaufensterpuppenoutfit heraus trotzdem überzeugend zu spielen. Publikumsliebling war sicher mit Abstand die „Hexe“, eine mürrische, pessimistische Oma, derart raffiniert gespielt (Hanne Schubert), dass man gelegentlich meinte, Else Kling aus der Lindenstraße sei wieder aufgestanden. Nur noch subtiler, wenn sie immer wieder das Menetekel, das drohende Unheil, das den Zscherbener blühen soll, beschwört. Überzeugende Rollendarstellung. Auch der Programmdirektor (Jörg Simonides) wirkte recht authentisch; aber böse und klischeebesetzte Rollen lassen sich möglicherweise auch leichter spielen. Die „reizende Programmassistentin“ (Nicoline Schubert) vollführte plastisch die Wendung von der unsicher vor dem Publikum stammelnden „Programmeinpeitscherin“ bis zur übermäßig selbstsicher-kalten Nachfolgerin des Programmdirektors. Nun kann man nicht alle Schauspieler hier explizit erwähnen. Durchaus vorhandene Professionalität, die bei dem einen oder anderen auch schon mal nachließ, etwa bei Jonas Schütte und Wolf Gerlach, die die Dorfjugend Dennis und Dustin spielten. Allerdings waren diese Figuren wohl auch im Buch nicht ausgereift entwickelt, so dass es schwer fallen dürfte, sie schauspielerisch auszufüllen.

Das Publikum indes goutierte die Veranstaltung mit reichlich Beifall, und was Peter Sodann im Publikum dazu bewog, die ganze Zeit mürrisch drein zu schauen, wird vielleicht sein Geheimnis bleiben.

Ein Moment der Heiterkeit und auch Erleichterung war der reale Auftritt der „Schalmeienkapelle Löbejün“. Sie spielte locker und unverkrampft – und kam dabei authentischer und fröhlicher rüber als das gesamte Stück, das sich doch stellenweise sehr zäh dahin zog.

Im Ergebnis war es insgesamt eine vielleicht ganz nette Inszenierung. Wer aber mit den Mitteln des Theaters dem Fernsehen etwas entgegen setzen möchte, sollte das dann aber auch wirklich tun. Denn das Zscherben-Stück passt wunderbar in die TV-Formate, die es schon lange gibt. Irgendwo zwischen dem Musikantenstadl, Heidi Kabel und anderen Volkstheater-Übertragungen würde „Zscherben“ überhaupt nicht auffallen. Wenn das nun die neue Linie des NT sein soll, mag das in Ordnung sei, solange dadurch der Saal gefüllt wird. Indessen bedarf es dringend künstlerischer Alternativangebote in der Stadt.