Solidarität gegen den Dammbruch

von 28. Oktober 2010

Auf offenem Markte die Dinge vor aller Augen auszutragen – das wollte am Mittwoch das Ensemble des Theaters der Jungen Welt gemeinsam mit weiteren Kulturfreunden. Mit einem symbolischen Trauerzug um den Lindenauer Markt sprachen sie sich für den Erhalt des Thalia Theaters im nahen Halle (Saale) aus. Denn das soll geschlossen werden.

Das Thalia Theater in Leipzigs Nachbarstadt sei als eines der ältesten und profiliertesten Kinder- und Jugendtheater in Deutschland ein Leuchtturm, sagte Jürgen Zielinski zu Beginn der Veranstaltung. Thalia sei ein „Leuchtturm, der SOS funkt“, so der Intendant des hiesigen Theaters der Jungen Welt weiter, „ein Leuchtturm, den wir zurück grüßen“. Die Schließung eines Kinder- und Jugendtheaters nannte Jürgen Zielinski eine „Skrupellosigkeit“, die hier in Leipzig auf „große Empörung“ treffe. Man wolle Solidarität zeigen und als Kulturschaffende ausdrücken: „Wir lassen uns nicht spalten.“

„Wer ein Kinder- und Jugendtheater abschafft, schafft einen Akt sozialer Inkompetenz“, benennt Jürgen Zielinski die „zentrale Botschaft“ der Veranstaltung. Denn in Kinder- und Jugendtheatern würden bei Heranwachsenden die Weichen für den künftigen Kulturkonsum gestellt. Kinder- und Jugendtheater böten zudem eine „spielerische Übung in Demokratie“, erinnerte der Theatermacher vom Lindenauer Markt unter Verweis auf das, was „200 Meter entfernt hinter einem hohen Zaun“ geschehe. Gemeint ist das Haus in der Odermannstraße 8 unter der schwarz-weiß-roter Flagge.

Das Thalia sei eben ein Theater gewesen, „das dahin gehe, wo es weh tut“, merkte Matthias Schiffner in seiner Eigenschaft als regionaler Sprecher von ASSITEJ, der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche, an. Was in Halle dem Thalia Theater geschehen sei, nachdem es der städtischen Theater, Opern und Orchester GmbH zwangsweise zugeschlagen worden war, erinnere ihn an ein Märchen der Brüder Grimm. „Es war einmal ein Kind eigensinnig und tat nicht, was seine Mutter haben wollte“ zitierte Matthias Schiffner die Altmeister, „darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm und ließ es krank werden, und kein Arzt konnte ihm helfen, und in kurzem lag es auf dem Totenbettchen.“

Während auf dem Lindenauer Markt die nachdenklichen Töne überwogen, ließ es die Initiative „Thalia21“ vor dem Halleschen Rathaus bei einer „Jubelkundgebung für mehr Sparprogramm bei Kultur und Sozialem!“ richtig krachen. Das Motto dort: Schafft Euch ab.

In Lindenau hingegen wurde das Thalia Theater symbolisch zu Grabe getragen. Die Trauergemeinde begleitete den Sarg des durch Fremdverschulden Verschiedenen in einer symbolischen Runde um den einstigen Dorfanger.

Es hatte eine besondere Symbolik, als TdJW-Intendant Zielinski und Leipzigs kommissarischer Opern-Intendant Alexander von Maravic die ersten Schritte untergehakt über den Markt gingen. Hatten doch zu Monatsbeginn die städtischen Häuser in der Innenstadt – Gewandhaus, Oper und Centraltheater – ihren Protest gegen die sächsischen Kürzungspläne lediglich als Terzett vorgetragen. Denn auch in Leipzig möchte mancher die Kulturpolitik Durchstreifende so gern „Synergien“ heben, am besten im mitteldeutschen Verbund, ausgerechnet mit Halle (Saale). Diesem Wunsch nach Synergien lässt sich offenbar nur noch mit starken Zeichen der Solidarität begegnen.

Für Alexander von Maravic ging es an diesem Tag primär um die „Solidarität mit Halle“. Die Schließung des Theaters nannte er ein „Armutszeugnis“ und einen „Dammbruch“. Doch die Dämme brechen nach seiner Ansicht überall: in Holland, in Hamburg, in Sachsen. Dabei brauche man die Kultur dringender denn je, gerade als „Bollwerk gegen Kommerzialisierung“.

Dem Trauermarsch folgte die Trauerrede. Schauspielerin Susanne Krämer richtete ihre Worte „an die nächsten Verwandten der Verstorbenen: an Jürgen Zielinski und Alexander von Maravic“. Dem Beobachter der Szene drängte sich die Frage auf: Welche Gedanken schießen „nächsten Verwandten“ in einem Moment des Abschieds von im Wesentlichen gleichaltrigen durch den Kopf, wenn sich die hiesige politische Rhetorik von der jenseits der A 9 kaum unterscheidet? So half auch in Halle kein Verweis auf die Anerkennung durch die UNESCO und auf internationale Jugendprojekte.

So verblieb der Trauerrednerin mit Blick auf das Thalia Theater nur das „Hoffen auf den jüngsten Tag, damit Du rasch wieder auferstehst.“

Jürgen Zielinski wünschte sich abschließend, "wir müssen uns nicht zu oft zu solchen Veranstaltungen sehen.“ Doch die Wirklichkeit holte ihn in Sekundenschnelle ein. Denn am nächsten Mittwoch in Dresden sehe man sich ganz bestimmt, wenn es gegen den geplanten „Kulturraubbau“ in Sachsen gehe.

(Text: Gernot Borriss / l-iz.de)