Synagogale Gesänge im Kirchenschiff

von 9. November 2011

Am Mittwoch jährte sich die Reichspogromnacht zum 73. Mal. An dieses Verbrechen vom 9. November 1938 der Nationalsozialisten wurde am Dienstagabend mit einem Konzert des Leipziger Synagogalchores in der hallenser Marktkirche gedacht.

Im Rahmen seiner Grußworte las Superintendent Hans-Jürgen Kant eine Geschichte, welche die Zuhörenden in emotionaler Weise mit auf eine Reise in dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte mitnahm. Die geschilderte Angst vor Repressalien und die Gräultaten der braunen Schlägertruppen waren Erinnerung und Mahnung zugleich, dass derartiges Leid niemals wieder eine Heimstadt in Halle haben darf.

Der 45-minütige erste Teil war von synagogalen Gesängen gerahmt, welche von der Empore aus das ganze Kirchenschiff erfüllten. Die Stimmen von KS Helmut Klotz (Tenor), Kathleen Glose (Alt) und Egbert Junghanns (Bariton) wurden neben dem Leipziger Synagogalchor von Clemens Posselt an der Orgel begleitet.

Vor dem Start des zweiten Gesangsteils nahm Marktkirchenpfarrerin Dr. Sabine Kramer Stellung zu einem der ältesten Ausstellungsstücke der Marktkirche „Unser lieben Frauen“. Das Tafelbild "Vertreibung der Händler aus dem Tempel" stammt aus dem Jahre 1498. Der Maler ist unbekannt. Es bezieht sich auf die in allen vier Evangelien niedergeschriebene Geschichte "Die Tempelreinigung" Matthäus 21, 12ff. Das Bild wurde 2005/2006 von einer Diplomandin der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Fachbereich Restaurierung im Rahmen ihrer Diplomarbeit restauriert. Es zeigt wie Jesus die als Juden herabwürdigend karikierten Händler aus dem Tempel vertreibt. Um dieses wertvolle Kunststück, dass immerhin älter als die Marktkirche ist (das Kirchenschiff wurde 1554 fertiggestellt), nicht gänzlich aus der Öffentlichkeit zu verbannen, wurde eine Gedenktafel in direkter Nähe angebracht. Auf dieser steht zu lesen: "Gedenkt der aus Halle vertriebenen Jüdinnen und Juden!". Die Christinnen und Christen des Evangelischen Kirchenkreises Halle-Saalkreis möchten dergestalt ein Zeichen setzen, dass uns sowohl der verantwortungsvolle Umgang mit den uns anvertrauten Kunstschätzen als auch die Freundschaft zu unseren jüdischen Mitmenschen und die klare Distanzierung von antisemitistischen Inhalten am Herzen liegt.

Der vom Leipziger Synagogalchor gestaltete zweite Teil, stand ganz im Zeichen jiddischer Gesänge und hebräischer Folklore. Hierzu wechselten die Sängerinnen und Sänger von der Empore in den Altarbereich vis-a-vis der Konzertbesucherinnen und -besucher. Die ca. 150 Zuhörenden entließen den Chor nach anderthalb Stunden nicht ohne eine entsprechende Zugabe. Einigkeit herrschte bei allen Beteiligten, dass dies ein gelungener und insbesondere dem Anlass entsprechend würdiger Abend war. Dieser war ein Höhepunkt der noch bis zum Buß- und Bettag, dem 16. November 2011 andauernden ökumenischen Friedensdekade „Gier Macht Krieg“.