Theater, nichts als Theater

von 18. Mai 2012

So wünscht man sich das: heftige Diskussionen im Vorfeld, die neugierig machen auf die Premiere. Ein ausverkauftes Haus und dann ein begeistert jubelndes Publikum. Das gelingt dem neuen theater nicht immer. Aber wenn Altmeister Wolfgang Engel als Regisseur nach Halle kommt und einen Klassiker wie Othello im Gepäck hat, dann freuen sich zumindest all jene Theaterfans, die gerne nach Leipzig fuhren, als er dort regieführender Intendant war. Oder, die ihn jetzt in Dresden, mit seinen Inszenierungen von „Wilhelm Tell“, „Der Turm“ oder „Der Meister und Margarita“ für seine Souveränität bewundert haben, auf gut gemachtes Theater. In Shakespeares Othello geht es ziemlich stürmisch zu. Dass das Ganze übel endet, weiß man, hat es doch jener „Mohr von Venedig“ zum personifizierten Inbegriff der Eifersucht gebracht. So wie das Taschentuch seiner Frau Desdemona an die Spitze aller gefälschten Ehebruch-Indizien. Wenn man jetzt die seit der klassischen Shakespeare-Übersetzung von Schlegel/Tieck eingebürgerte Vokabel „Mohr“ im Untertitel durch „Neger“ ersetzt, wie in der Übersetzung von Wolfgang Buhss aus den 90erJahren, so reicht das für einen virtuellen shitstorm der anonymen Netz-Sprachwarte allemal aus. Da springen genügend selbsternannte Bedenkenträger über das Reizwort-Stöckchen. Was so schlimm nicht ist, bringt das doch eine Aufmerksamkeit, für die das Theater sonst eine Menge Geld ausgeben müsste! Dabei geht es im Grunde um genau das Missverständnis, mit dem die lieben Kleinen im Puppentheater den Teufel ausbuhen. Oder eben in späteren Jahren einen Diskurs über verinnerlichten Rassismus oder praktizierte Ausgrenzung mit der Benennung der Hautfarbe durch diskreditierende Begriffe oder ein entsprechend induziertes Verhaltens schlicht und einfach verwechseln. So kommt es zu so absurden Stilblüten wie der Berliner Debatte, ob man jemanden schwarz schminken darf, um einen Farbigen auf der Bühne darzustellen. Oder, wenn man aufs Plakat über dem finster dreinblickenden neuen Halleschen Othello, Martin Reik in Internetmanier „venedigsneger“ schreibt. Regisseur Wolfgang Engel kommentiert diese grassierende Pseudodebatte in seiner Inszenierung eher subtil ironisch. Er schminkt alle Mitspieler – außer den eifersüchtigen Titelhelden, der in Venedig den Exoten gibt, einfach weiß und lässt seinen Othello wie er ist. Nur ganz am Ende greift der für seinen Bühnenselbstmord in den Topf mit schwarzer und roter Schminke für Gesicht und Wunde. Theater ist Theater und soll es auch bleiben, heißt das bei Engel. Bleibt der Text selbst. Natürlich ist die zweihundert Jahre alte, gängige Übersetzung nicht das Original, sondern der noch mal zweihundert Jahre ältere Shakespeare selbst. Beim Über-die-Bande, also dem direkt mit dem Zuschauer spielen, kommentiert eine Schauspielerin ausdrücklich, dass ein englisches Wortspiel im Deutschen einfach nicht funktioniert. Das ist ganz witzig. Doch fragt sich bei jeder neuen Übersetzung, wie sie sich legitimiert. Sei es durch ihre Verwurzelung in unserer Gegenwart oder ihren eigenen Sound. Wolfgang Engel, der in Halle eigentlich für eine Inszenierung von Kafkas Amerika eingeplant war und Othello erst übernahm, als Thomas Thieme seinen Auftrag zurück gab, entschied sich für Werner Buhss‘ ruppige, zwischen banal ordinärem Alltagsslang und pointierendem Reim changierende Übersetzung. Das fuck-you Deutsch von Feridun Zaimoglu war ihm wohl doch zu radikal. Wobei es auch bei Buhss vor allem im Streitfall ziemlich prollig zur Sache geht – immer irgendwo zwischen blöder Neger, geiler Bock und verdammter Hure. So wie Martin Reik als Othello und Petra Ehlert als Jago das mitunter auskotzen oder zur Seite hinrotzen, behaupten sie zumindest eine gewisse Authentizität. Über weite Strecken kollidiert das aber mehr mit der szenischen Form, als es einem tieferen Eindringen in die Obsessionen der Figuren gut tut. Bei Engel ist vom Anfang bis zum Ende alles ziemlich klar. Hendrik Scheels viereckiges Bühnenpodest, mit Rundhorizont über zwei Seiten und einem bei Bedarf aus der Versenkung hochfahrendem Haus, stilisiertem Straßengewirr oder Tisch in der Mitte ist Insel, Bühne und Labor in einem. Der heute übliche Kostümmix beschränkt sich darauf, unter das Anzuggrau der Senatoren und die modernen Uniformversatzstücke für die Militärs lediglich einen üppigen Morgenrock für den seinen Hass auf den „Neger“ heraus schäumenden Vater Desdemonas (Hilmar Eichhorn) und die klassische Robe für den trocken geerdeten Dogen von Hannelore Schubert als historischen Verweis. Die Frauen bringen bei Engel, vor allem da, wo sie Frauen spielen, das Selbstbewusstsein der Emanzipation mit. Wobei der wunderbar herben Bettina Schneider als Desdemona, vor allem aber der Nicoline Schubert als Jagos Frau und Desdemonas Freundin Emilia auch eine gewisse Fallhöhe vom vermeintlich ungetrübten Liebesglück in die Hölle mörderischer Eifersucht, also männlicher Machtallüre gelingen. Eine wohltuende Feinzeichnung am Rande eines ansonsten handfesten, komödiantischen Theaters, das mit Spiel-Witz nicht geizt. Daran ändert sich auch nichts, wenn – in Anlehnung an eine gängige Praxis konzentrierten Texttheaters a la Jürgen Gosch – die intime Mordszene (Hast Du schon zur Nacht gebetet) von allen Mitspielern vom Rand aus beobachtet wird. Beim zentralen Paar, dem finsteren Verführer auf eigene Rechnung Jago und dem Was-juckt-mich-die-Meinung-der-Welt – Othello, ist das Innerste stets nach außen gekehrt. Für den einen ist die Bosheit ein die Form seines Lebens-Spiels. Doch ohne nihilistische Untiefen. Und für den andren ersetzt die Wucht der körperlichen Präsenz die innere Zerrissenheit und seinen Zerfall. Martin Reik spielt sich, wie immer, die Seele aus dem wuchtigen Leib. Bei ihm gibt es weniger die Fallhöhe der Erkenntnis, dafür aber redlich erkämpfte Erschöpfung und einen finalen Schnaufer. Obwohl der Jubel beim Premierenpublikum ungebremst war, hätte man sich vom große Stoffe allemal souverän bezwingenden Altmeister Wolfgang Engel mehr erwartet. Die wirklich gute Theaternachricht der Woche hat also nur indirekt mit Wolfgang Engel zu tun! In Leipzig hat die Stadt – in einem schon nicht mehr zu erhoffenden Anflug von kulturpolitischer Weisheit – endlich verkündet, dass Enrico Lübbe 2013 die Nachfolge von Matthias Hartmann als Intendant des Centraltheaters antreten soll. Der 37jährige, gegenwärtige Schauspieldirektor des Chemnitzer Theaters ist einst vom Intendanten Wolfgang Engel in Leipzig als Hausregisseur gefördert worden, folgt aber längst seinem eigenen künstlerischen Kompass! Nächste Vorstellung: 18.Mai, 27. und 28. Mai 2012 Weiter Informationen unter: [url=http://www.kulturinsel-halle.de]www.kulturinsel-halle.de[/url]