Tinte für die “Waisenhäuser Hand”

von 6. August 2009

(una) In der Historischen Bibliothek in den Frankeschen Stiftungen ist Wissen von vor 3 Jahrhunderten in geballter Form untergebracht. Seit 1728 besteht dort die Bibliothek, der Altbestand an diesem Wissensschatz umfasst etwa 50 Tausend Bücher.

In den Stiftungen versuchte man auch den Schulunterricht von früher zu rekonstruieren. Schreibunterricht hatte in den Zeiten als Waisenhaus einen sehr hohen Stellenwert. Hatte doch Francke die Bedeutung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache nicht nur für Wirtschaft und Handel erkannt. Auch für die Verbreitung seiner pietistischen Reformideen waren sie für ihn wichtig. Kalligraphie wurde der Unterricht damals genannt. Durchgeführt wurde er von Schreib-Präzeptoren, so wurden die dafür speziell ausgebildeten Studenten genannt. Und es wurde nach einheitlichen Vorlagen gelehrt, zur damaligen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Dafür gab es spezielle „Schreibmeisterbücher“. In ihnen wurde alles festgehalten für eine einheitliche und korrekte Schreibweise. Die ältesten Bücher stammen aus dem 17. Jahrhundert. Der wohl bekannteste unter ihnen war aber der 1697 an die Stiftungen gekommene Gottfried Rost. Er entwickelte eine besondere Schönschrift, die im deutsprachigen Raum unter dem Namen als „Hallische“, aber noch größere Bekanntheit unter dem Namen „Waisenhäuser Hand“ bekannt wurde. Es war eine Kurrentschrift, aus dem Lateinischen von currere – laufen. Sie fand ihre Verwendung bis 1915, dann wurde die Sütterlinschrift verbindlich in ganz Deutschland. Diese hatte aber nicht sehr lange bestand, 1941 wurde dann Latein verbindlich.

In den Archiven befand sich auch eine alte Schulordnung, durch den der Ablauf des Schulalltages im Waisenhaus nachvollziehbar war. Und man hat dabei auch ein Dokument aus dem Jahre 1760 gefunden über die Zusammensetzung der verwendeten Tinte in der damaligen Zeit.
In dem Dokument waren verzeichnet getrocknete Galläpfel, gestoßener englischer Vitriol, Gummiarabikum-Pulver, gestoßener englischer Vitriol, einem Eisen(II)-sulfat, mehrere Kannen Essig. Und geraspeltes Holz von einem Baum, dem ein ganzen Land seinen Namen verdankt, dem Brasilholz. Es ist ein Rotholz und dient als Farbgeber. Und das ganze ergibt dann eine „Schreibflüssigkeit“ mit dem Namen Eisengallustinte, die im 18. Jahrhundert am gebräuchlichsten war. Und Dokumentenecht war sie auch.

Sich die Zutaten besorgen und die Tinte herstellen, so einfach ging da aber nicht. Das aufgefunden Dokument war nur die Einkaufsliste, darauf verzeichnet auch die Einkaufspreise. Es war leider leider keine Rezeptur. Und so haben Mitarbeiter der Stiftung um die Archivarin Carmela Keller gerechnet und experimentiert. Die Zutaten wurden im zerstoßenen Zustand gemischt und erhitzt. Nun glaubt man aber die richtige Rezeptur für die Tinte gefunden zu haben, eine 100% Garantie dafür gibt es aber nicht. Eine Kanne der Tinte kostete damals 3 Groschen und drei Pfennige, so viel etwa wie zwei Tauben oder ein halbes Kilo Reis. Über die Größe der Kanne ist nichts bekannt.
Geschrieben wurde damals auf Papier aus der Papiermühle in Kröllwitz. Damals gehörte sie den Frankeschen Stiftungen. Als „Stift“ für die Tinte diente ein Gänsekiel aus der Schwungfeder einer Gans. Selbst wurde auch versucht mit einer Gänsefeder so fein zu schreiben wie in den alten Schriften, so Carmela Keller. Aber alle Versuche des richtigen Schneidens der Spitze misslangen bisher. Und was macht man mit dem Federkiel in der Schreibpause gegen das eintrocknen der Tinte? Man steckt ihn in einen Apfel, aber leicht angefault muss er sein. Über Tinte, Schreibbücher und die "Waisenhäuser Hand" gibt es nun eine kleine aber feine Ausstellung. Übrigens: Die Stiftungen veranstalten zu den alten Handschriften auch jährlich Schreibkurse, unter anderem während des aller zwei Jahre stattfindenden Lindenblütenfestes.

Die Ausstellung in der Historischen Bibliothek ist von Dienstag bis Sonntag von 10.00 – 17.00 geöffnet. Sie ist Bestandteil der Ausstellung "Schnörkel, Rüssel, Gänsekiel – Schrift und Schreibunterricht am Halleschen Waisenhaus im 18. Jahrhundert"

Broschüre zur Kabinettausstellung
Schnörkel, Rüssel, Gänsekiel. Schrift und Schreibunterricht am Halleschen Waisenhaus im 18. Jahrhundert.
Hrsg. von Carmela Keller und Jürgen Gröschl
Halle 2009. 64 S., 21 Abb., € 7,50; ISBN 978-3-939922-16-2


Die Bibliothek in den Stiftungen


Die Einkaufsliste für die Tinte


Ein Schreibmeisterbuch


Geraspeltes Brasilholz


Archivarin Carmela Keller macht extra ein Kniefall für die Pressee