Vulkankatastrophen im halleschen Landesmuseum

von 9. Dezember 2011

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“Wir sind als Land Sachsen-Anhalt stolz auf diese Ausstellung”, freute sich Ministerpräsident Reiner Haseloff am Donnerstagabend im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) zur offiziellen Eröffnung der neuen Ausstellung “Pompeji – Nola – Herculaneum. Katastrophen am Vesuv”. Museumschef und Landesarchäologe Harald Meller hatte wieder eine Menge Highlights zusammengetragen. Und so gerät auch Haseloff ins Schwärmen: “New York und London können neidisch sein.” Denn beide Städte wollen auch die Pompeji-Schau zeigen. Doch mit der halleschen Schau werden es beide Weltmetropolen nicht aufnehmen können, nur ein Teil der Ausstellungsobjekte wird die Reise dort hin antreten. Viele Exponate dagegen sind einzig in Halle zu sehen, wurden nur für diese Ausstellung ausgeliehen.

Für Harald Meller liegt das vor allem an der guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Italienern. Und so bezeichnete Haseloff die Schau auch als “Leckerbissen”. Die Ausstellung beweisen, dass es schon vor 2000 Jahren Verbindungen zwischen dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt und Italien gab. Dies beweise, dass beide Regionen mehr zusammenhält als Ökonomie und der Euro. “Wir haben ein gemeinsames kulturelles Fundament.” Das bestand übrigens damals wohl in Form von Sklaven, als die die Germanen dort unten bei den Römern schuften mussten. Übrigens haben sich die Germanen auch etwas von den Römern abgeschaut, wie Harald Meller zu berichten wusste. “Die Trinksitten wurden von den Römern übernommen.”

Italiens Botschafter Michele Valensise lobt die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Italien bei der Zusammenstellung der Schau. Freuen würde er sich, wenn viele Besucher der Schau im Landesmuseum auch bald direkt am Vesuv begrüßt werden könnten.

“Das Landesmuseum strahlt für Halle”, sagte Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados und sprach von einem Leuchtturm für Halle. Das Museum sei ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Allein die Schau zur Himmelsscheibe habe die Übernachtungszahlen um ein Viertel ansteigen lassen und der Wirtschaft zusätzliche Umsätze von 20 Millionen Euro beschert.

Mehr als 600 Exponate zeigt die Schau auf rund 1.300 Quadratmetern. 25 Institutionen aus dem In- und Ausland stellten Leihgaben zur Verfügung. Vor allem wolle man die Ausstellungsstücke in einen Kontext bringen, sagte Harald Meller. Denn wer durch das ausgegrabene Pompeji gehe, der sehe zwar die Häuser. “Aber die sind leer.” Denn die Einrichtungsgegenstände lagern in vielen Archiven, zum Beispiel im Museo Archeologico Nazionale di Napoli. Da habe selbst er beim Durchstöbern der Archive Gänsehaut bekommen, gestand Meller. Es habe zwar schon viele Ausstellungen zu Pompeji gegeben, aber das Landesmuseum zeigt nun erstmals diese besondere Zusammenstellung.

Doch die Exponate sollen nicht nur gezeigt werden, es geht auch um die Vermittlung von Wissen. “Unsere Ausstellungen sind immer wissenschaftlich konzipiert”, sagt Meller. So wird man sich vor allem am Beispiel des Casa del Menandro auch mit der Frage beschäftigen, ob hier Plünderer am Werk waren und wer von den gefundenen Toten zu den Räubern gehört. Jens-Arne Dickmann beschäftigt sich mit dieser Thematik. Denn seltsame kleine Löcher wurden in den Mauern gefunden. Heute weiß man: Diebe haben sich durch die Schuttmassen gegraben, um wertvolle Einrichtungsgegenstände aus den Häusern des 79 nach Christus zerstörten Pompeji zu stehlen. Nicht ungefährlich waren diese Beutezüge, etliche Räuber wurden von pyroklastischen Strömen überrascht oder einstürzenden Ruinen erschlagen, so Meller.

“Wichtig war es uns zu zeigen, dass so eine Katastrophe nicht nur einmal passiert”, sagte der Landesarchäologe. Die größte Katastrophe passierte vor 39.000 Jahren. Damals habe es die dort siedelnden Neandertaler erwischt. Eine gewaltige Explosion. Meller spekulierte gar, dass dies das Ende der Neandertaler überhaupt einleitete und auch die Eiszeit auslöste. Vor 2.000 Jahren wurden dann bronzezeitliche Siedlungen zerstört. 79 nach Christus erwischte es dann Pompeji. Der letzte große Ausbruch war 1631. Seit 1944 schläft der Berg nun. Aber, da sind sich Wissenschaftler sicher, er wird wieder ausbrechen. Deshalb wagt das Landesmuseum auch einen Blick in die Zukunft. Knieschoner des Fußballclubs SSC Neapel wurden künstlich gealtert und sollen darstellen, was Archäologen wohl in vielen hundert oder tausend Jahren von uns finden, wen heute der Vesuv ausbricht und Neapel zerstört. Gegenübergestellt wurden 2000 Jahre alte Knieschoner, beim damaligen Vesuv-Ausbruch von den Lavamassen verschlungen.

Mehr zur Schau auf Seite 2:
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Prächtige Rauminstallationen, Statuen, Alltagsgegenstände verschiedenster Art erwecken die Stätten am Vesuv zu neuem Leben. Spektakuläre Exponate, wie einer der berühmten bronzenen Läufer aus der Villa dei Papiri von Herculaneum, stehen neben Objekten, die durch Ausgrabungen erst der jüngsten Vergangenheit zu Tage kamen und erstmals außerhalb Italiens zu sehen sind. Teilweise wurden die Exponate auch letztmalig ins Ausland verliehen, bevor sie in Italien eine dauerhafte Heimstatt finden. Im Februar des Jahres 1766 bestieg Fürst Franz von Anhalt-Dessau im Rahmen seiner »Grand Tour« den Vesuv und besichtigte Pompeji und Herculaneum, keine 2o Jahre, nachdem dort reguläre Ausgrabungen aufgenommen worden waren. Die Eindrücke des Fürsten fanden später unmittelbaren Eingang in sein Dessau-Wörlitzer Gartenreich: in der Ausstattung von Schlössern, der Nachahmung der Villa Hamilton und – noch heute ein einzigartiges Highlight – in der Nachbildung des Vulkans Vesuv, der nach wie vor zu besonderen Anlässen zum Ausbruch gebracht werden kann. Die Antikenrezeption nördlich der Alpen war geboren. Nun sind die Stätten am Golf von Neapel zu Gast in Halle.

Seit Jahrtausenden besiedeln Menschen die fruchtbaren Hänge und Ebenen am Golf von Neapel, eine Landschaft, über die sich allgegenwärtig der Vesuv erhebt. Lebensspuren aus mehreren Jahrtausenden zeigen, wie sehr das Leben am Fuße des Vulkans in dieser Zeit stets auch von Naturkatastrophen geprägt war – ein Aspekt, dem hier erstmals diachron nachgegangen wird. Ein Vesuvausbruch der Zeit um 1.9oo v. Chr. verschüttete das bronzezeitliche Dorf von Nola. Seine Bewohner konnten rechtzeitig fliehen und hinterließen dabei Fußabdrücke, die nun in Halle zu sehen sind. Die künstlichen Inseln der Feuchtbodensiedlung von Poggiomarino – eine Art »vorgeschichtliches Venedig« – fielen den Naturgewalten mehrfach zum Opfer und wurden schließlich um 7oo v. Chr. aufgegeben. Weitere Verwüstungen verursachte im 8. Jh. v. Chr. ein auf der Insel Ischia aktiver Vulkan. Bei Punta Chiarito wurden die Reste eines von diesem Ereignis zerstörten Hauses entdeckt. Im gleichen Grabungsareal hat sich außerdem das komplette Inventar eines eisenzeitlichen Fischerhauses erhalten, das im 6. Jahrhundert v. Chr. von einem Erdrutsch unter Geröllmassen begraben wurde. Zusammen mit einem Fresko aus der Basilika von Cimitile – der ältesten christlichen Wandmalerei außerhalb Roms –, die bei einem Vulkanausbruch im Jahr 472 n. Chr. verschüttet wurde, verdeutlicht diese Reihe, dass auch die große und bekannte Zerstörung Pompejis, Herculaneums und weiterer Städte 79 n. Chr. kein Sonderfall, sondern »nur« eine in einer ganzen Reihe von wiederkehrenden Verwüstungen ist.

Dass eine solche die Region am Golf von Neapel auch heute noch bedroht, ist ein Aspekt, der ebenfalls thematisiert wird. So geht die zentrale Installation im Atrium des Landesmuseums der Frage nach, was wohl Archäologen der Zukunft nach einem weiteren Ausbruch des Vesuvs finden würden. Verschiedene »echte« Funde aus der Antike sind hierzu zeitgenössischen Objekten gegenübergestellt, der Beinschiene eines Gladiators beispielsweise ein Paar Schienbeinschoner des SSC Napoli – natürlich nicht in unversehrtem Zustand. Im Zentrum des Atriums jedoch steht ein prächtiger Bankettraum aus Moregine. Die rot gehaltenen, originalen Wände, die letztmalig außerhalb Italiens zu sehen sind, zeigen Apollon und die Musen und bilden den Hintergrund zur Erläuterung des antiken Banketts, das für die Römer der Antike von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung war und das hier anhand verschiedener Objekte und Wandmalereien veranschaulicht wird. Über all dem ist in einer Projektion an die Decke des Atriums der Vulkan stets gegenwärtig.

Einen weiteren zentralen Bestandteil des Ausstellungskonzeptes bildet das Alltagsleben in der antiken Stadt Pompeji, das im Jahr 79 n. Chr. so abrupt beendet wurde. Um dieses in all seinen Aspekten beleuchten zu können, wird erstmals ein konkret ausgegrabener, erhaltener Haushalt in den Mittelpunkt gestellt, wie er in einer solchen Fülle noch nie außerhalb Italiens zu sehen war: die Casa del Menandro, eines der größten repräsentativen Häuser der Stadt Pompeji. Rund um das Korkmodell der Insula, der zentralen Installation in diesem Raum, gruppieren sich verschiedenste Objekte aus dem Inventar des Hauses. Das Spektrum reicht von Transportamphoren über Möbelbeschläge bis hin zu einem prächtigen Schatz aus Silbergefäßen und Schmuckstücken, der im Keller des Hauses gefunden wurde. Repräsentation und Wohlleben werden auch im Obergeschoss der Ausstellung thematisiert. Exquisite Bronzestatuen des Gottes Apollo und verschiedener Tiere, die zugleich als Wasserspeier dienten und aus dem Garten des sog. Hauses des Kitharaspielers stammen, begrüßen den Besucher und lenken den Blick weiter auf die zentrale Rauminstallation, dem Eingang zum Stockwerk gegenüber: die originalen Wandmalereien aus dem Gartentriclinium des sog. Hauses des Goldenen Armreifs. Sie gehören zu den schönsten erhaltenen Fresken aus Pompeji. In einzigartig lebendiger Weise ist hier ein künstlicher Garten an die Wand gebannt – in einem Zimmer, von dem aus man in der Antike den Blick auf den realen Garten des Hauses genoss. Mi dem Bild des Lebens kontrastieren die Gipsausgüsse der Toten, die ebenfalls aus Pompeji nicht wegzudenken sind: In dem Haus des Goldenen Armreifs wurden mehrere Opfer des Vulkanausbruchs geborgen, eine Frau, ein Mann und zwei Kinder, denen nicht mehr rechtzeitig die Flucht gelungen war, wohl die wohlhabenden Bewohner des Hauses. Dafür spricht der massive, über 6oo g schwere Goldarmreif, den die Frau noch am Arm trug und der ebenfalls ausgestellt wird.

Weiterer Aspekt des pompejanischen Alltags, der wieder aus dem Kosmos des Hauses herausführt, sind die Gladiatorenspiele, die, wie in der römischen Antike allgemein üblich, zur Unterhaltung des Volkes im Amphitheater der Stadt abgehalten wurden. Auf einzigartige Weise wird dieser durch einen Komplex prachtvoller, mit aufwendigen Reliefdarstellungen verzierter Helme und Beinschienen aus der Gladiatorenkaserne von Pompeji repräsentiert. Die Waffen verdeutlichen die unterschiedlichen Gladiatorengattungen, die nach festen Regeln in der Arena miteinander kämpften. So trat etwa der Retiarius, ein nur leicht Bewaffneter mit Fischernetz und Dreizack, stets gegen den Secutor an, der mit Schild und Schwert sowie einem Helm mit kleinen Augenöffnungen ausgestattet und daher ungleich schwerfälliger war.

Auch weitere Aspekte des Lebens in der antiken Stadt, wie die Entwicklung der Sozialstruktur vor und nach dem verheerenden Erdbeben von 62 / 63 n. Chr., von dem Pompeji sich zum Zeitpunkt des Untergangs noch nicht wieder vollständig erholt hatte, oder auch das Thema Erotik werden selbstverständlich thematisiert. Den Bogen nach Sachsen-Anhalt schlägt wiederum ein weiterer genuiner Aspekt des Ausstellungskonzeptes. Erstmals wird aufgezeigt, dass Mitteldeutschland auch zur Zeit des Untergangs von Pompeji nicht ohne Verbindungen nach Italien war. Funde aus dem Freien Germanien spiegeln Handels- und möglicherweise auch diplomatische Kontakte wider. So wird zum ersten Mal seit seiner Entdeckung im Jahr 2oo8 das Grab einer reichen Germanin öffentlich ausgestellt, das in einem Urnengräberfeld der frühen Römischen Kaiserzeit bei Profen (Burgenlandkreis) gefunden wurde. Die Frau war standesgemäß auf einem Bärenfell verbrannt und in einer bronzenen Urne beigesetzt worden; nach dem Brand wurde außerdem prächtiger Goldschmuck in die Urne gegeben. Die Fuchsschwanzketten aus dieser Bestattung finden unmittelbare Parallelen im Fundbestand der Vesuvstädte, ebenso wie ein kleines Achatgefäß aus Kleinjena. Zwei Silberbecher aus einem Grab bei Hoby (Dänemark), stellten möglicherweise Geschenke eines römischen Generals an einen Germanen dar, und selbst die berühmte Varusschlacht des Jahres 9 n. Chr. hinterließ in Form einer Münze aus Sanne (Landkreis Stendal) ihre Spur in Sachsen-Anhalt.

Die Wiederentdeckung Pompejis im 18. Jahrhundert und die Protagonisten der Antikenrezeption im Gebiet des ehemals Freien Germanien, Fürst Franz von Anhalt-Dessau und sein Freund, Berater und Baumeister Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff bilden mit ausgewählten Objekten u. a. aus dem Dessau-Wörlitzer Gartenreich, den Abschluss des Rundgangs und gewissermaßen einen Ausblick auf die Korrespondenzausstellung, die ab April 2o12 unter dem Titel »Ferne Welt ganz nah – Pompeji im Gartenreich Dessau-Wörlitz« im Gartenreich zu sehen sein wird.

Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt des Landesmuseums für Vorgeschichte, der Soprintendenza Speciale per i Beni Archeologici di Napoli e Pompei, dem Ministero per i Beni e le Attività Culturali, dem Museo Archeologico Nazionale di Napoli und der Kulturstiftung DessauWörlitz und steht unter der Schirmherrschaft des Presidente della Repubblica Italiana, On. Dr. Giorgio Napolitano, und des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Dr. h.c. Christian Wulff.

Publikationen zur Ausstellung
Als Begleitlektüre zur Ausstellung erscheinen ein Kurzführer (zum Preis von 12 €; ISBN 978-3-939414-68-1) sowie beim Hirmer Verlag ein umfassender, reich bebilderter Begleitband (im Landesmuseum zum Preis von 29,90 €, ansonsten zum Preis von 39,90 €; ISBN 978-3-7774-3801-6). Beide Publikationen können im Buchhandel, im Museumsshop des Landesmuseums für Vorgeschichte sowie im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (Frau Kuhlow, Tel.: 0345 / 52 47 -332; hkuhlow@lda.mk.sachsen-anhalt.de) erworben werden.

NATIONAL GEOGRAPHIC – Tatort Pompeji
Zudem widmet NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND als Medienpartner der Ausstellung im Dezember 2011 dem »Tatort Pompeji« eine ausführliche Dokumentation, die zusammen mit dem Archäologen Dr. Jens-Arne Dickmann, dem wissenschaftlichen Berater der Ausstellung, dem »dunklen Geheimnis der Casa del Menandro« auf den Grund geht.

Vergünstigungen für Bahnkunden
Besucher erhalten bei Vorlage einer tagesaktuellen Fahrkarte der Deutschen Bahn ermäßigten Eintritt zum Preis von 5 statt 8 Euro. Für Schulklassen, die mit der Deutschen Bahn anreisen, wird die Führung durch die Ausstellung zum Sonderpreis angeboten.

Die Ausstellung in Halle ist vom Hauptbahnhof mit der Straßenbahnlinie 7 (Richtung Kröllwitz) bis zur Haltestelle »Landesmuseum für Vorgeschichte« erreichbar.

Pompeji – Nola – Herculaneum. Katastrophen am Vesuv
Landesausstellung 9.12.2o11 – 8.6.2o12

Öffnungszeiten:
Di.-Fr. 9–17 Uhr, Sa., So., Feiertage 1o–18 Uhr (Mo. nach Vereinbarung)

Eintrittspreise:
Erwachsene 8 €, ermäßigt 5 €, Kinder 6–14 Jahre 3 €
Gruppen (ab 1o Pers.) 5 € pro Person, Schulklassen 1 € pro Person,
Familien 16 €

Besucherbetreung, Führungen, Reservierungen:
Führungen: 2 € pro Person, unter 15 Personen 3o € pauschal,
Schulklassen 1,5o € pro Person

Kontakt: Frau Bode / Herr Koch, Tel.: o345 / 52 47 -361 oder -465,
Fax o345 / 52 47 -5o3