Wer bin ich und wenn ja wie viele?

von 6. März 2009

(tof) „Oh ist das dunkel auf dieser Welt“. Mit diesem Satz beginnt Gerd Natschinskis „Mein Freund Bunbury“, eines der bekanntesten und mit mehr als 6 000 Vorstellungen meist gespielten deutschen Musical-Stücke. Und wahrlich, hinter dem bunt inszenierten Treiben in Londoner Gesellschaft der zwanziger Jahre, tut sich ein bedrohliches Loch moralischer Verfehlungen auf.

„Mein Freund Bunbury“, 1964 im Berliner Metropoltheater uraufgeführt, erzählt, frei nach Oscar Wildes Komödie „The Importance of Being Earnest“, die Geschichte der Gentlemen Jack Worthing und Algernon Moncrieff. Jack und Algernon sind Lebemänner und diese Leidenschaft mit ihrem gesellschaftlichen Rang zu vereinen, haben beide eine Ausrede erfunden: ihren Freund Bunbury, ein „Kind der Fantasie“. Er ist der gute, verlässliche und vor allem diskrete Freund, der stets zur Stelle ist, wenn man ein wenig Spielraum für gewisse Extratouren benötigt.

Verwechslungen, Verwirrungen und der schöne Schein des Seins sind Zutaten denen sich auch die Inszenierung Bernd Mottls bedient. Jedoch wandeln bei Mottl nicht nur die beiden Hauptfiguren zwischen alter und ego, es ist die gesamte Gesellschaft, die „bunburysiert“. So entpuppt sich die fromme Cecily (Katharina Schutza) nach getaner Arbeit in der Heilsarmee als feuriger Vamp und die stolze Dame der Londoner upper class Lady Augusta Bracknell (Gabriele Bernsdorf) als arme Witwe, die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält.

Statusängste, Geldsorgen, perfide Schnelllebigkeit – irgendwie wird man das Gefühl nicht los, als bekomme man in „Mein Freund Bunbury“ permanent einen mit Musik der „Golden Twenties“ verzierten Spiegel unserer von Turbokapitalismus und youtube durchsetzten Gesellschaft vorgesetzt. So scheint es mehr als bittere Ironie, wenn angesichts der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, die Texte von Helmut Bez und Jürgen Degenhardt eine Aktualität gewinnen, auf die man gut und gerne verzichten mag. „Gluck, Gluck ein guter Schluck, das ist die beste Medizin, das sind Prozente die man keinem nehmen kann“. Nicht nur der ein oder andere Bänker wird da zustimmend nicken.

Doch auch fernab von Derivaten und Leerverkäufen greift die Inszenierung einige, wenn auch kosmetisch bearbeitete, Gesellschaftsspitzen auf. So erinnert das Bühnenbild stark an Gottfried Helnweins "Boulevard of Broken Dreams", auch wenn sich hier nicht Marilyn Monroe, Humphrey Bogart oder James Dean auf einen Cocktail treffen, sondern Algernon (Sven Prüwer) und Jack (Björn Christian Kuhn) das abendliche Spiel von Schein und Sein perfektionieren. Jack raucht, trinkt und hat keinen Sinn für die Politik, gerade genug um sich für die Vermählung mit Gwendolen, der Tochter Lady Bracknells, zu qualifizieren. Gefallen finden die Lords und Ladies der upper ten auch an seiner Internationalität, die am Ende nicht mehr ist als eine mit Photoshop aufgepeppte Faschingsverkleidung vor hallischen Kulissen. Wenn sich Jack jedoch als Findelkind ohne Mittel entpuppt, sind die eben noch hochgelobten „Vorzüge“ nur noch Makulatur. An mancher Stelle wünscht man sich als Zuschauer, dass solche Pointen, von denen das Musical einen schier unendlichen Fundus parat hält, öfter bemüht werden und nicht, wie so oft, hinter „federleichte Unterhaltung“ (O-Ton AHA!) und halbnackte Tänzerinnen zurückfallen.

Nichtsdestotrotz gelingt es dem gut aufgelegten Ensemble (allen voran Miriam Lotz und Björn Christian Kuhn) dem Verwechslungsspiel eine ironische-unterhaltende Note zu verleihen, sodass sich die Besucher auf einen amüsanten Abend mit den bekannten Musical-Schlagern „Piccadilly“, „Sunshine Girl“ und natürlich „Mein Freund Bunbury“ freuen dürfen.

Höheren Ansprüchen wird die Inszenierung jedoch nicht gerecht. Dabei ist es erstaunlich wie viele Erben das Prinzip „Bunbury“ in der heutigen Gesellschaft besitzt. Sei es das schlechte Gedächtnis von Politikern und Bankmanagern, das Missverhältnis zwischen Alt und Jung, Reich und Arm oder die voyeuristische Gier der Medien. Potential, dass Bernd Mottl in seiner Inszenierung nur im Ansatz auszuschöpfen vermag. „So wills nun mal die Konjunktur“, besingt Lady Bracknell in „Ein bißchen Horror und ein bißchen Sex“ und so bleibt auch „Mein Freund Bunbury“ dieser künstlerischer Maxime der Solidität verpflichtet.

Zur Premiere kam der Autor höchstpersönlich, die nächste Aufführung gibt's am 11. März um 19.30 Uhr in der Oper in Halle (Saale)