Auch das Gedächtnis von Kindern ist durch die Evolution geprägt

von 26. Januar 2017

Menschen erinnern sich besser an Lebewesen oder vermeintlich belebte Gegenstände. Unbelebtes wird dagegen schnell wieder vergessen. Und das hat offenbar evolutionäre Gründe: Selbst bei Kindern im Alter von vier Jahren ist dieser Effekt zu beobachten. Das haben Psychologen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) erstmals herausgefunden. Ihre Ergebnisse wurden in der internationalen Fachzeitschrift “Journal of Experimental Child Psychology” veröffentlicht.

Die Ergebnisse der halleschen Psychologen bestätigen die sogenannte “Belebtheits-Hypothese”. Sie besagt, dass Menschen lebendige Dinge, also zum Beispiel Tiere oder Menschen, viel besser erkennen, wahrnehmen und sich auch besser daran erinnern können, als es etwa bei unbelebten Gegenständen der Fall ist. “Wir verarbeiten einen Tisch ganz anders als beispielsweise einen Löwen”, sagt PD Dr. Alp Aslan, Leiter der Abteilung Entwicklungspsychologie an der MLU. Das habe vor allem evolutionäre Gründe: Für unsere Vorfahren sei es ein wichtiger Vorteil gewesen, zwischen belebten und unbelebten Dingen unterscheiden zu können. “Für die frühen Menschen war es zum Beispiel wichtig, gefährliche Tiere schnell zu erkennen und sich an sie zu erinnern”, so Aslan weiter. Also habe sich das menschliche Gehirn darauf eingestellt, Lebewesen besser zu verarbeiten.

Bisher war der Effekt aber nur bei Erwachsenen bekannt. Die Psychologen aus Halle wollten herausfinden, ab wann sich diese besondere Eigenschaft im Gedächtnis von Kindern entwickelt. Dazu haben sie mit 90 Kindern im Alter von vier bis elf Jahren einen Test durchgeführt: Sie erstellten eine Liste mit Pseudowörtern, die es in Wirklichkeit nicht gibt: zum Beispiel “Bula”, “Nard” oder “Pulo”. Diese Worte hätten den Vorteil, so Aslan, dass man von ihnen nicht direkt sagen kann, ob sie belebt oder unbelebt sind. Den Wörtern wiesen die Forscher dann zufällige Eigenschaften von Tieren, Menschen oder Gegenständen zu, also beispielweise “Bula ist aus Holz”, “Nard spielt gerne Klavier” oder “Pulo hat ein Fell”. Die Kinder sollten dann entscheiden, ob die Begriffe etwas Lebendiges sind oder nicht. Nach einer kurzen Pause folgte dann ein unangekündigter Test: Die Forscher präsentierten eine Liste mit bereits bekannten Wörtern und zufällig neu eingestreuten Begriffen. Die Kinder sollten danach entscheiden, welche Begriffe ihnen bekannt vorkamen.

Das Ergebnis: Waren die Wörter mit tierischen oder menschlichen Eigenschaften verknüpft, haben sich die Kinder daran deutlich besser erinnert als an Pseudowörter mit unbelebten Eigenschaften. “Im Durchschnitt haben wir eine Verbesserung der Gedächtnisleistung um etwa zehn Prozent beobachten können”, sagt Entwicklungspsychologe Aslan. Die Ergebnisse der halleschen Psychologen bestätigen damit erste Forschungsarbeiten, die 2013 zur Gedächtnisleistung von Erwachsenen durchgeführt wurden. Ob diese besondere Eigenschaft des Gedächtnisses beim Menschen angeboren ist, oder im Laufe seiner Entwicklung entsteht, ist Aslan zufolge noch nicht abschließend geklärt.

Publikation:
Aslan, A. [&] John, T. (2016). The development of adaptive memory: Young children show enhanced retention of animacy-related information. Journal of Experimental Child Psychology, 152, 343-350 DOI: 10.1016/j.jecp.2016.07.007

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