Sensation auf sechs Beinen – verschollen geglaubter Käfer in Sachsen-Anhalt nach 90 Jahren wiederentdeckt

von 10. August 2017

Wo Sitaris muralis, so sein wissenschaftlicher Name, all die Jahre gesteckt haben mag, bleibt sein Geheimnis. “In dem 1956 erschienen Werk „Faunistik für Deutschland“ wurde eine Sichtung in Naumburg/Saale aus dem Jahr 1924 vermerkt”, sagt Dr. Johannes Lückmann. Danach gab es keine weiteren Nachweise. Der Käferforscher aus Bensheim (Hessen) ist seit vielen Jahren dem Käfer auf den Fersen und freute sich deshalb umso mehr über den aktuellen Wiederfund der Art in der Umgebung von Hohenlepte bei Zerbst. Tragischer Weise schwamm das Tier tot in einem Wassereimer und alle Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos.

Wie kommt es zu der Rückkehr des Käfers nach Sachsen-Anhalt?

Das Insekt breitet sich seit dem Beginn der 1990er Jahre vom Süden Deutschlands gerade stärker aus. Mittlerweile gibt es Nachweise aus fast allen Bundesländern, nur für Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen fehlten diese. Ob der Käfer tatsächlich in Sachsen-Anhalt vorher ausgestorben war und den Lebensraum nun vom Süden her wieder besiedelt, oder ob ihn einfach niemand in der Zwischenzeit gesehen hat, ist nicht zu klären. Obwohl er eigentlich leicht zu finden wäre, denn man kann ihn von Anfang August bis Mitte September in Städten und anderen Siedlungen an regengeschützten Stellen wie z.B. den Wänden unter Balkonen oder den Eingangsbereichen von Häusern oder alten Mauern ruhig sitzend finden. Fliegen kann er nicht und großartig herumzukrabbeln ist auch nicht sein Ding. Außerdem ist er ein Kostverächter, nimmt er während seiner kurzen Lebenszeit als Käfer auch keine Nahrung zu sich.

Hintergrund:

S. muralis parasitiert an Pelz- und anderen Solitärbienen – mit einer außergewöhnlichen Vermehrungsstrategie. Die Käferlarven klammern sich im Frühjahr an den zuerst ausfliegenden männlichen Bienen fest und wechseln bei der Bienen-Paarung auf das Weibchen. Mit diesem gelangen sie “per Taxi” in das Nest, wo die Käferlarve dann die Nektarvorräte vertilgt. Die Bieneneier verspeist sie ebenfalls. Nach dem Schlupf der Käfer legen deren Weibchen in der Nähe des Nestes ihre Eier ab – Nahrung für den Nachwuchs ist garantiert. Lückmann vermutet, dass die Lebensbedingungen für einzelne Solitärbienen-Arten wieder besser geworden sind, so z. B. für die Pelzbienen, die an trockenen Stellen im Boden ihre Nester anlegen.

Doch noch eine weitere Eigenschaft macht den Schmalflügeligen Pelzbienen-Ölkäfer so besonders. Diese teilt er mit seinen Ölkäfer-Verwandten, den plumpen Maiwürmern oder der grün schillernden Spanischen Fliege: Er produziert das hochwirksame Reiz- und Nervengift Cantharidin. Es wurde im griechischen Altertum zur Vollstreckung von Todesurteilen oder auch als Mordgift eingesetzt. Lückmann: “Noch heute findet Cantharidin in der Medizin Verwendung.” Das bloße Anfassen des Käfers ist laut dem Experten jedoch ungefährlich wie überhaupt der ganze Kerl absolut harmlos ist.
Lückmann hofft nun auf weitere Funde der Art, vor allem in den östlichen Bundesländern. Er möchte die Ausbreitung von S. muralis weiter verfolgen und ist an Fotos oder Proben interessiert.

Naturfreunde, die den Käfer gefunden haben, können sich bei Johannes Lückmann unter sitaris@t-online.de melden.

Letztlich werden im Landesamt für Umweltschutz im Fachbereich Naturschutz alle verfügbaren Angaben zu den in Sachsen-Anhalt vorkommenden Tier- und Pflanzenarten zusammengeführt. Somit sind die Hinweise zu dieser bemerkenswerten Spezies sehr bedeutsam – gerade im Hinblick auf die Fortschreibung und Aktualisierung der Roten Listen gefährdeter Arten für unser Bundesland. Die Herausgabe der Neubearbeitung ist für 2019 geplant.