Jagd auf Ex-Häftlinge – Polizei muss frühere Vergewaltiger schützen

von 5. Juni 2012

 Am Ortseingang grasen Kühe auf einer saftigen Weide, und zwischen den Getreidefeldern sprießt roter Mohn. Doch die Idylle täuscht. In dem kleinen Dorf Insel, einem Ortsteil von Stendal im Norden Sachsen-Anhalts, herrscht seit einem Jahr der Hass. Zwei Ex-Vergewaltiger, die mehrere Jahre in Haft und danach in Sicherungsverwahrung untergebracht waren, wollen in Insel einen Neustart wagen – und stoßen auf erbitterten Widerstand eines Teils der Bevölkerung. Rechtsextremisten nutzen die aufgeheizte Stimmung.    Am vergangenen Wochenende war die Lage eskaliert. Erstmals versuchten Demonstranten, die in den vergangenen Monaten zu Dutzenden einmal pro Woche im Dorf aufmarschierten, das Haus der beiden 54 und 64 Jahre alten Ex-Häftlinge zu stürmen. Doch die Polizei konnte die Bürger stoppen. «Die Ereignisse stellen eine neue Stufe der Eskalation dar», sagt der Geschäftsführer des Vereins Miteinander, Pascal Begrich, der sich gegen Rechtsextremismus engagiert. «Was sich in Insel abspielt, erinnert an Szenen der Menschenjagd und ist völlig inakzeptabel.»    Die versuchte Erstürmung des Hauses hat die Lage in dem 400 Einwohner zählenden Dorf völlig verändert. Die Polizei hat das Haus der beiden Ex-Häftlinge nun mit Absperrgittern gesichert, hinter dem Haus patrouillieren Polizisten mit Wachhunde. Die Szene erinnert an ein gut gesichertes Botschaftsgebäude in Berlin. In Sichtweite des Hauses darf nun nicht mehr demonstriert werden. Eine weitere Protestkundgebung am Montagabend wurde von den Veranstaltern abgesagt.    Der Widerstand von Teilen der Bevölkerung gegen die beiden Ex-Häftlinge wird auch von der rechtsextremistischen NPD genutzt. Ihre Unterstützung wird von Teilen der Bevölkerung sogar begrüßt, wie Begrich sagt. Mit dem Slogan «Todesstrafe für Kinderschänder» versucht die Partei seit Jahren auch Zustimmung außerhalb ihrer Reihen zu gewinnen. Der Fall Insel kommt ihnen gut gelegen – auch wenn sich die beiden Ex-Häftlinge nicht an Kindern vergangen hatten. Für kommenden Freitag hat ein NPD-Mitglied zu einer neuen Demonstration in Insel aufgerufen, berichtet die Polizei.    Die Landespolitik hat im Fall Insel die Gemüter bislang nicht beruhigen können. Und auch Vermittlungsversuche der Kirche sind gescheitert. Doch die Linie scheint sich nun zu ändern. Denn bislang hatten Landesvertreter den Bewohnern in Insel immer in Aussicht gestellt, die Ex-Straftäter könnten aus Insel wegziehen. Es wurde zu Toleranz aufgerufen und zugleich Verständnis für die Ängste der Menschen in Insel gezeigt.    Aber nun ist ein Wegzug der beiden gescheitert. Denn der Jüngere der beiden Ex-Häftlinge zog im Mai nach Chemnitz – kam aber wenige Tage später wieder zurück. Auch sein neuer Wohnort war durch einen Zeitungsbericht öffentlich bekannt geworden. Auch in Chemnitz demonstrierten Anwohner unterstützt von Rechtsextremisten vor der Wohnung des Mannes, der dort auf einen Neustart gehofft hatte. Der Ältere der beiden Männer ist zudem schwer krank und will nicht aus Insel wegziehen.    Die Politik hat kein Patentrezept – auch nicht an den vielen anderen Orten in Deutschland, wo Ex-Häftlinge und frühere Insassen der Sicherungsverwahrung nach ihrer Entlassung einen Neuanfang  suchen und auf Ablehnung in der Nachbarschaft stoßen. In Insel scheint es nun gescheitert, Toleranz durch Gespräche und Appelle zu erreichen.    Jetzt scheinen Politik und Polizei klarzumachen: In Deutschland kann man sich seine Nachbarn eben nicht selbst aussuchen. Und notfalls wird dies die Polizei durchsetzen. Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) formulierte es so: «Entlassene Straftäter stehen nicht außerhalb der Gesellschaft. Jeder Versuch, sie auszuschließen oder sogar aus unserer Mitte zu vertreiben, ist nicht hinnehmbar.»