Denn Müller war ein konstruktiver Trendsetter. Während weltweit monolithisch gegossene Betonschalenkonstruktionen entstanden, entwickelte er parallel dazu erste hyperboloide Fertigteilschalen. Deren doppelte Krümmung sollte neben einer erhöhten Knick- und Biegesteifigkeit durch die Wannenform der Betonelemente auch noch eine gute Entwässerung gewährleisten und weitgespannte, wellenförmige Dächer ermöglichen. 1954 meldete er seine Erfindung zu einer Zeit als es den Begriff der HP-Schale noch gar nicht gab – zum Patent an: unter der Bezeichnung Stahlbetonfertigteil als Bogenelement mit gekrümmter Hyperboloidfläche.
Aufgrund der ablehnenden Haltung der Deutschen Bauakademie konnte er sie jedoch erst ab 1964/65 einsetzen: der Schmetterling auf dem Hallenser Marktplatz sowie verschiedene Industrie- und Sporthallen demonstrierten augenfällig die konstruktiven und auch gestalterischen Möglichkeiten der neuen Fertigelemente, so dass das Uni-HP-System schließlich landesweit im großen Stil eingesetzt wurde: vor allem bei Kindergärten und Schulsporthallen. Parallel dazu entwickelte Müller aber auch zusammen mit verschiedenen entwurfsstarken Architekten interessante Einzelbauten wie das Panorama-Museum in Bad Frankenhausen sowie das aktuell zur Disposition stehende Planetarium auf der Peißnitzinsel.
Müllers Bauten sind geradezu charakteristisch für die ostdeutsche Architektur-Ästhetik der 1960er und frühen 1970er Jahre: eine Ära des euphorischen Aufbruchs zu industriellen Bauweisen, in der man die Rasterfassaden der Wohnbauten gezielt mit individuellen (architektonischen) Großplastiken akzentuierte. Seine runden oder aber mit einem gewellten Dach versehenen Gesellschaftsbauten fungieren in vielen Wohngebieten bis heute als wahre Landmarken. Sie setzten damals nicht nur spannende kompositorische Akzente in städtebaulichen Panoramen, sie trugen gleichzeitig auch dazu bei, vielen verschiedenen Orten einen ganz eigenen Charakter zu verleihen.
Der Vortrag gibt einen Überblick über Herbert Müllers Werk und ordnet es gleichzeitig auch in den Kontext des internationalen Schalenbaus ein.
Tanja Scheffler (geb. 1970, Dipl.-Ing.), Architekturstudium an der FH Hildesheim und der TU Dresden, anschließend mehrjährige Berufspraxis als Architektin in Hannover, Dublin und Dresden, danach in Forschung und Lehre am Lehrstuhl für Baugeschichte der TUDresden tätig, seit 2008 freischaffende Bauhistorikerin, Fachautorin und Architekturjournalistin. Zahlreiche Artikel zur Planungs- und Baugeschichte der DDR, vor allem zur Ostmoderne in Dresden und Leipzig, aber auch zu Wolfgang Hänsch, Franz Ehrlich, Hermann Henselmann und Herbert Müller.
Vortrag von Tanja Scheffler (Bauhistorikerin / Dresden)
Dienstag, 30. Juni 2015
19.00 Uhr 20.30 Uhr
Hörsaal XV, Melanchthonianum (Universitätsplatz 9)
Veranstalter: Freunde der Bau- und Kunstdenkmale Sachsen-Anhalt e.V. und Arbeitskreis Innenstadt e.V.