„100 Millionen Euro für ein besseres Zusammenleben“

von 1. Juli 2015

Budde erinnerte daran, wer im internationalen Maßstab die größten Belastungen aus den weltweiten Flüchtlingsströmen zu tragen habe: „Unter den zehn Ländern, die – Stand Ende 2014 – weltweit die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben, ist nur ein europäisches Land. Deutschland ist es nicht. Es ist die Türkei, gefolgt von Pakistan, Libanon, Iran und Äthiopien. Diese teils bitterarmen Länder beherbergen zusammen mehr als 40 Prozent aller Flüchtlinge auf der Welt. Das sollten wir vor Augen haben, wenn wir über die Lasten reden, die Deutschland, Sachsen-Anhalt und seine Kommunen zu tragen haben.“

Die Rede im Wortlaut:

„Unter den zehn Ländern, die – Stand Ende 2014 – weltweit die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben, ist nur ein europäisches Land. Deutschland ist es nicht. Es ist die Türkei, gefolgt von Pakistan, Libanon, Iran und Äthiopien. Diese teils bitterarmen Länder beherbergen zusammen mehr als 40 Prozent aller Flüchtlinge auf der Welt. Das sollten wir vor Augen haben, wenn wir über die Lasten reden, die Deutschland, Sachsen-Anhalt und seine Kommunen zu tragen haben.

Gleichwohl müssen wir auch über Geld reden, wenn wir die Bedingungen für die Integration von Flüchtlingen verbessern wollen. Deshalb – insbesondere – dieser Nachtragshaushalt.

Allerdings – und das muss man betonen in Zeiten, in denen von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten Neidkampagnen geschürt und Falschmeldungen verbreitet werden – allerdings ist die Botschaft des Nachtragshaushaltes nicht: 100 Millionen Euro mehr für Flüchtlinge und Asylbewerber. Sondern: 100 Millionen Euro mehr für ein besseres Zusammenleben.

Denn die Mittel, die die Landesregierung zusätzlich aufwenden will, kommen insbesondere auch der Aufnahmegesellschaft zugute. Kommunen werden finanziell entlastet, Kitas und Schulen in ihren Integrationsaufgaben unterstützt und die Vermittlung von Deutschkenntnissen massiv gefördert. Davon werden wir alle profitieren.

Ich begrüße ganz besonders, dass der Nachtragshaushalt neben der Entlastung der Kommunen durch die Zahlung einer Kostenpauschale für die Unterbringung von Flüchtlingen insbesondere Integrationsinitiativen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie im Bildungsbereich ermöglicht.

Denn die wichtigste Voraussetzung für Integration und gutes Zusammenleben ist, dass man im wahrsten Sinne des Wortes eine gemeinsame Sprache findet. Noch in diesem Jahr soll deshalb mit der Förderung von Einstiegssprachkursen für Flüchtlinge begonnen werden. Dabei geht es auch darum, die Voraussetzungen für eine schnelle Arbeitsmarktintegration zu schaffen. Denn Sachsen-Anhalts Unternehmen suchen händeringend Auszubildende, junge Flüchtlinge suchen händeringend Zukunftschancen.

Bereits im Herbst will die Bundesagentur für Arbeit in der Zentralen Anlaufstelle in Halberstadt eine Kompetenzstelle einrichten, die die berufliche Qualifikation von Flüchtlingen erfasst. Dieses Vorhaben darf nicht daran scheitern, dass die erforderlichen Räumlichkeiten nicht gefunden werden. Hier bitte ich das Innenministerium dringend, eine Lösung zu bringen.

Es macht allerdings wenig Sinn, sehr geehrter Kollege Schröder, wenn wir als Land die Türen zur Arbeitsmarktintegration aufstoßen wollen und Sie gleichzeitig bei der Fraktionsvorsitzendenkonferenz von CDU und CSU dafür stimmen, Türen wieder zuzuschlagen, die gerade erst geöffnet wurden. Ende letzten Jahres erst ist endlich das Arbeitsverbot für Flüchtlinge gelockert worden. Das könnte ein Meilenstein im Zusammenleben werden, denn seit Jahrzehnten stoßen sich Menschen an dem Anblick von Asylbewerbern, die nicht arbeiten – und von denen viele nicht wissen, dass sie gar nicht arbeiten dürfen.

Und dann kommen Sie und fordern, dass Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten die Erwerbstätigkeit grundsätzlich zu verweigern ist! Damit würde einer großen Gruppe die gerade geschaffene Möglichkeit schon wieder genommen. Das ist nicht gut und, so finden wir, kurzsichtig.

Wer ,Wirtschaftsflüchtlinge‘ undifferenziert als lästig empfindet, hat nicht verstanden, dass auch die Zuwanderung von Menschen, die hier arbeiten wollen, unser Land stärkt.

Aber zurück zum Nachtragshaushalt und zurück zum Thema Sprache als Integrationsbrücke. Schulen und Kindertagesstätten haben hier natürlich eine Schlüsselrolle. Der Nachtragshaushalt macht es möglich, dass Sachsen-Anhalt ein landesweites Netz von Sprachklassen und Sprachgruppen erhält. Denn es macht keinen Sinn, Kinder ohne Deutschkenntnisse in die Regelschulklassen zu setzen, wenn sie dem Unterricht nicht folgen können. Deshalb sollen die Kinder kompakt und schnell Deutsch lernen, während sie in Fächern wie Sport und Kunst bereits mit ihren deutschsprachigen Altersgenossen zusammen lernen, damit die soziale Integration früh beginnt.

Ich bin froh, dass auch zusätzliche Schulpsychologen eingestellt werden, die auf Traumatisierungen von Kindern spezialisiert sind. Wer durch Bürgerkrieg und Flucht traumatische Erlebnisse hinter sich hat, braucht besondere Zuwendung. Mit dieser Herausforderung dürfen wir Kinder, Eltern und Lehrer nicht allein lassen.

Neben den Maßnahmen von Land und Kommunen wird zugleich das ehrenamtliche Engagement von Bürgerinnen und Bürgern erheblich gestärkt. Das ist ein zentraler Beitrag für eine Willkommenskultur vor Ort. Die Brandanschläge der vergangenen Tage haben erneut deutlich gemacht, wie wichtig der Beitrag der Zivilgesellschaft ist.

Darüber hinaus werden zur Bewältigung der zu erwartenden asylverfahrensbezogenen Rechtsstreitigkeiten vier neue Richterstellen geschaffen – auch das ein wichtiger Beitrag für das Gesamtpaket.

Die Integration von Flüchtlingen ist eine nationale Aufgabe. Deshalb war der Impuls so wichtig, den Sigmar Gabriel von Sachsen-Anhalt aus gegeben hat: dass der Bund mehr Verantwortung für die Finanzierung dieser Aufgabe übernehmen muss. Aber dieses Ziel ist noch nicht verwirklicht. Die Verabredung der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin nennt noch keine Zahlen. Und da ist es kontraproduktiv, sehr geehrte Kollegen von der CDU, ich kann Ihnen das nicht ersparen, wenn die Fraktionsvorsitzenden von CDU und CSU vorschlagen, die Leistungen des Bundes, die es noch gar nicht gibt, abhängig davon zu machen, wie schnell das jeweilige Land bei der Abschiebung ist. Im Landesinteresse ist das nicht.

Ich habe mich im Zusammenhang mit dem Nachtragshaushalt auf das Thema Integration konzentriert, weil ich deutlich machen wollte: Hier geht es nicht in erster Linie um Geld. Hier geht es um die qualitativen Veränderungen, die wir möglich machen wollen. Es geht um ein Klima der Integration und des guten Zusammenlebens, an dem viele mitwirken müssen und mitwirken werden. Ich danke dem Finanzminister und der ganzen Landesregierung, dass sie mit diesem Entwurf den ersten Schritt dafür getan hat.“