300 Jahre Speisesaal der Franckeschen Stiftungen

von 9. November 2011

Am 11. November 1711 weihte August Hermann Francke den Speisesaal seiner Schulstadt ein. Seine Wahl traf er nicht zufällig, denn mit dem Martinstag begann bis in die Neuzeit hinein die Fastenzeit, die das Kirchenjahr abschloss und auf das Weihnachtsfest vorbereitete und seit der Reformation hat der Martinstag als Tauftag Luthers für die Protestanten eine ganz besondere Bedeutung. Die bewusste Inszenierung unterstreicht die Bedeutung des Speisesaals als Teil des Gesamtkonzeptes der halleschen Schulstadt, die die Befriedigung der physischen Bedürfnisse der Kinder untrennbar mit der der geistlichen verknüpfte. Um 10 Uhr wird Dr. Thomas Müller-Bahlke, Direktor der Franckeschen Stiftungen, das Konzept des Speisesaals als Teil des Gesamtentwurfs der von August Hermann Francke angelegten Schulstadt aus inhaltlicher und nicht zuletzt wirtschaftlicher Perspektive am authentischen Ort und anhand historischer Dokumente aus dem Archiv im Historischen Speisesaal, der heutigen Mensa des Studentenwerks der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, vorstellen.

Über 500 Personen konnten in dem 1711 eingeweihten Speisesaal gemeinsam essen. Über einen breiten Gang in der Mitte konnten Speisen und Schüsseln schnell verteilt und eingesammelt werden. Mit der Anbindung der Küche an das fließende Wasser aus der anstaltseigenen Trinkwassergewinnung wurden auch die hygienischen Standards verbessert. Die Zubereitung und Einnahme der Speisen regelte die 1702 von August Hermann Francke schriftlich festgehaltene Speiseordnung, die zum 300. Jubiläum im Verlag der Franckeschen Stiftungen in der Reihe „Kleine Quellentexte“ erschienen ist.

„Die Studenten sollen also gespeiset werden, daß sie zu Mittage nebst der Suppe 3.mal die Woche, nemlich Sonntags[,] Dienstags und Donnerstags Fleisch, die andern Tage aber ein Zugemüse und Butter, des Abends aber nur eine Suppe und Butter bekommen. Die Waÿsenkinder aber, Knaben und Mägdlein, sollen zu Mittage mit zugemüse, des Sonntags aber und Donnerstags mit Fleisch gespeiset werden.“

Auszüge aus dem historischen Dokument werden am Festtag in der Mensa an die Bedeutung des Saals erinnern, genauso wie die historische Verteilung der Tische – für die Waisenkinder, die Studenten, die den Freitisch, also ein kostenloses Mittagessen erhielten, die Anstaltsangehörigen, Lehrer und Bediensteten, sowie Extra-Ordinarien, die sich morgens anmelden mussten, um teilzunehmen. Dazu passt das angebotene Tagesmenü, Franckes Brotsuppe mit Leberwurst, und die musikalische Begleitung des Mittagessens, die zu Franckes Zeiten in der Regel aus Bibellesungen bestand.

Speiseordnung, erschienen im Verlag der Franckeschen Stiftungen

August Hermann Francke: Speise=Ordnung im Waysenhauße zu Halle 1702. Einführung von Thomas Müller-Bahlke. Halle 2011. 24 S.; € 2,00; ISBN 978-3-939922-29-2