Besucheransturm auf Halles Kirchen

von 23. August 2009

(ens) Solch einen Ansturm wird sich wohl manch Pfarrer auch zu seinem Gottesdienst wünschen. Tausende Hallenser waren am Samstagabend zur Nacht der Kirchen unterwegs. Insgesamt 54 Gotteshäuser, so viele wie noch nie, hatten ihre Tore bis Mitternacht geöffnet und erlaubten so einen Blick auf die architektonischen Schätze. Die Idee zur Kirchennacht – der ersten deutschlandweit – hatten Professor Paul Raabe und der frühere Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises, die sie 2001 zum "Jahr der Religionen" ins Leben riefen.

Unseren Rundgang durchs religiöse Halle starten wir in den Franckeschen Stiftungen. Vielen ist gar nicht bewusst, dass es auch hier zwei Kirchen gibt. Versteckt findet man sie im Kellergewölbe des längsten Fachwerkbaus Europas. Der Theologie-Professor Hermann Goltz führte durch die Russisch-orthodoxe Kirche der Kreuzerhöhung und die benachbarte St. Georgs-Kapelle. Erstaunt zeigten sich viele Besucher von den aufwendigen Wandmalereien. Und eine Lehrerin meldete für die nächsten Tage gleich eine ganze Schulklasse zur Führung an, so beeindruckt war sie. Es ist zwar keine Kirche, doch mit Religion hat auch das Francke-Wohnhaus zu tun. Unter dem Dach findet sich die Bibelmansarde. Mit Vorträge und Gesprächsrunde kann hier jeden Dienstag die Bibel “erfahren” werden. Am Samstag bekam man einen Einblick hierein.

Nur wenige Meter weiter lockte auch schon die Kapelle des Elisabeth-Krankenhauses. Die Ordensschwestern waren im letzten Jahr überrascht. Sie wussten nämlich gar nicht davon, dass sie im Programmheft stehen. Doch in diesem Jahr standen die Türen der Kapelle offen, erlaubten Besuchern einen Einblick in den modern eingerichteten Gebetsraum. Ein Gedenkkreuz am Eingang erinnert an viel zu früh verstorbene Kinder, Eltern haben hier kleine Bausteine in Gedenken an ihre verstorbenen Lieblinge aufgestellt.

Im letzten Jahr war die benachbarte Propsteikirche nicht dabei, sie wurde damals modernisiert. Das imposante Gotteshaus bot unter anderem Gebete und geistliche Musik. Doch viele Besucher wollten hinauf auf den Turm. Bis zu einer Stunde Wartezeit musste man dafür aber in Kauf nehmen, so lang war nämlich die Besucherschlange. Anschließend ging es die 123 engen Stufen der Wendeltreppe hinauf. Oben angekommen hatte man einen tollen Ausblick über das dämmernde Halle. Und die Besucher erfuhren auch, dass die Propsteikirche St. Franziskus und St. Elisabeth vier funktionierende Glocken hat. Die stammen aber alle nicht aus der Bauzeit, wurden nachträglich eingebaut. Aus dem Jahr 1710 stammt die fünft Glocke. Sie soll in naher Zukunft ebenfalls zum Schwingen gebracht werden.

Geöffnet hatte auch die St. Maria-Magdalena Kapelle auf der Moritzburg. Sie wurde 1509 zum ersten Mal geweiht und war ehemals prächtig ausgestattet – litt aber an den Folgen des Brandes im Zuge des 30-Jährigen Krieges. Ab 1690 wurde sie als "französische Kirche" weitergeführt und diente als Zufluchtsort für französische Hugenotten. Nach 1805 wurde sie als Lazarett und auch als Lagerraum genutzt. Erst im Zuge der 200-Jahrfeier der halleschen Uni sollte Kapelle restauriert werden und wurde als Universitätskirche neu geweiht. Zur Kirchennacht gab es Vorträge, Orgelmusik und Meditationen.

Gebete aber auch Chormusik gab es in der Neuapostolischen Kirche, einem modernen Kirchenneubau in der Pfälzer Straße. Die NAK geriet die letzten Jahre in die öffentliche Diskussion, weil sie eng mit dem DDR-Regime zusammengearbeitet haben soll. Heute hat die NAK in Halle noch rund 800 Mitglieder.

Im gleichen Haus wie Mexikaner und China-Restaurant hat auch am Leipziger Turm eine Glaubensgemeinschaft ihren Sitz. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage – wohl eher bekannt als Mormonen – hat hier ihren Gebets- und Arbeitsräume im Dachgeschoss. Seit mittlerweile schon zwei Jahren, vorher waren die Mormonen im SaaleCenter in Neustadt anzutreffen. Manch einem Hallenser sind sicher schon die Missionare in der Innenstadt begegnet, die hier Tag für Tag ihre Runden ziehen. Bekannt sind die Mormonen aber auch durch die Stammbaumforschung, die natürlich auch am Samstag möglich war. Auch Vorträge zur Kirchengeschichte fanden statt. Und dann gibt es ja noch den Vorwurf der Polygynie, also Vielweiberei. So eine Bewegung habe es zwar bis 1890 in der Kirche gegeben, doch das ein Mann mehrere Frauen hat sei heute kein Thema mehr.

Würde es die DDR heute noch geben, dann stünde wohl die Georgenkirche nicht mehr. Das Gotteshaus verfiel zusehends. Doch engagierte Hallenser retteten es vor dem Abriss. Und auch die Protestbewegung zu DDR-Zeiten fand hier ihren Ursprung, hier wurde unter anderem auch die Umweltbibliothek gegründet. An diese Geschichte erinnert die Ausstellung “20 Jahre friedliche Revolution – Lust oder Frust”. In der Georgenkirche selbst erklang Live-Musik, auf dem Kirchengelände wurde zu Lagerfeuer, Grillwürstchen und Cocktails eingeladen.

In der Moritzkirche lud Organist Tobias Geuther zu einer interaktiven Orgelführung ein. Mit Hilfe von Videokameras konnte er den Besuchern zeigen, wie das imposante Pfeifenspiel funktioniert. Doch vorerst war es die letzte derartige Führung, die Orgel wird nämlich ab dem Winter restauriert. Das ist auch dringend notwendig, nur noch etwa ein Drittel der Orgel ist funktionsfähig.

Seit 1972 wird die Ulrichskirche zwar nicht mehr als Kirche, sondern als Konzerthalle genutzt. Geöffnet hatte sie trotzdem. In Orgelkonzerten erklangen unter anderem Werke von Bach. Gleich hinter der Ulrichskirche in einem unscheinbaren alten Fabrikgebäude hat die Adventistengemeinde mit ihren rund 75 Mitgliedern ihren Sitz. Schon seit den 50er Jahren dient das einstige Kaffeelager als Gotteshaus. Manch ein Besucher vermutete hier ein früheres Kino. Das liegt nicht zuletzt an den alten Kinostühlen. Die hatte man sich zu DDR-Zeiten wegen der Materialknappheit aus einem alten Kino besorgt. Die Glaubensgemeinschaft hatte wieder zu ihrem biblischen Fragenparcours eingeladen. Und auch Kino gab es tatsächlich. Allerdings nicht auf den Kinostühlen, sondern auf Bänken im Hof.

Religion ist auch für so manchen Häftling wichtig. Deshalb gibt es auch im “Roten Ochsen” eine Anstaltskirche. Schon im Mai 1842 wurde sie geweiht. 1953 wurde das Inventar zerstört, die Kirche seitdem zweckentfremdet. In den letzten beiden Jahren wurde sie mit Hilfe von Sponsoren saniert und lud am Samstag zu Chorkonzerten des Gefängnis-Frauenchores „Red-Bull-Sisters“ und des Halleschen Frauenchores „Miss-Klang“ ein.

Schräg gegenüber vom Roten Ochsen findet man die Laurentiuskirche. Der geplante Lampionumzug am Anfang musste zwar ausfallen, es fehlte nämlich an Kindern. Dafür gab es Jazz-Musik mit Almuth Schulz am Piano. Psalmgesänge und Orgelmusik bei Kerzenschein wurde im Dom geboten, in dem ein Teil wegen Bauarbeiten abgesperrt werde. Auch in der Marktkirche wurde die Orgel zum Klingen gebracht. In der Pauluskirche gab es Live-Musik. “Coloured Rain” aus Dresden präsentierten Gospel, Soul und Funk. Außerdem konnte man sich hier als Lebensretter melden. Denn in der Paulus-, der Diakonie- und der Johanneskirche gab es die Möglichkeit der Knochenmarktypisierung.

Eine komplette Bilder-Galerie der Kirchennacht finden Sie auf Seite 2:
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