Da wackelt die Ruine

von 23. Juli 2009

Gemeinsam arbeiten und gemeinsam feiern – das gehört, zumal an Kunsthochschulen, zwingend zusammen. Nicht nur in der Erinnerung der Beteiligten sind die Feste der halleschen Kunstschule auf Burg Giebichenstein mit ihren aufwändig gestalteten Dekorationen und fantasievollen Kostümen legendär. Ihnen haftet der gute Ruf größtmöglicher Freizügigkeit und unbotmäßigen Handelns nachhaltig an. Sie sind Manifeste einer ebenso vergnügungssüchtigen wie systemkritischen Lachkultur. Mit ihren Festen feiern die Künstler die Freiheit, das Leben, die Kunst und vor allem sich selbst – spottsüchtig, selbstironisch und zuzeiten unmissverständlich politisch. Von der Gründung der Schule 1915 bis in die Gegenwart: gefeiert wurde immer! Das Buch stellt die Akteure vor und beleuchtet Formen, Themen und Motive einer besonderen Feierkultur.

Renate Luckner-Bien schreibt: „Vor dem Siegeszug hedonistischer Lebenseinstellungen und der Ausrufung der Spaßgesellschaft sind die Burgfeste mit ihrem Hautgout des Elitären gesellschaftliche Großereignisse. Für Außenstehende ist es ausgesprochen verlockend, daran teilzuhaben, denn das bedeutet die Partizipation am paradigmatischen Rollenmodell des Künstlers: am Ideal eines nicht von äußeren Zwängen bestimmten Lebens und unentfremdeten Arbeitens.“

Die Darstellung konzentriert sich auf die Kostüm- und Maskenfeste, „die in der Kultur des Feierns eine Sonderstellung einnehmen: Sie implizieren in jedem einzelnen Fall und auf besondere Weise spannende Bezüge zu künstlerischen Programmen und politischen Themen der Zeit.“

Mit vielen, zu einem großen Teil erstmals veröffentlichen Fotos illustriert, berichtet das Buch unter anderem über das in der Bauhaus-Literatur viel beschriebene Fest „Neue Sachlichkeit“, zu dem im Dezember 1925 Walter Gropius und László Moholy-Nagy zusammen mit einer größeren Schülerschar aus Dessau nach Halle reisten. Nachzulesen ist auch, unter welchen Umständen und mit welch weitreichenden Folgen die Hochschule in den 1950er Jahren, nicht zuletzt wegen ihrer Faschingsfeste, immer wieder ins Visier der sich als Tugendwächter aufspielenden Politfunktionäre und der von ihnen kontrollierten Medien geriet. So gibt zum Beispiel Walter Ulbricht mit Bezug auf die Dekorationen zu einem Faschingsfest 1958 zu Protokoll: „Die Dekoration zu diesem Fest der bildenden Künstler in der Stadt [Halle] unterschied sich durch nichts von ähnlichen Machwerken, die in der Hochschule Berlin-Weißensee und in der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar bei den Faschingsveranstaltungen zur Verwendung kamen und die heftige Kritik von Seiten der Werktätigen fanden. Die Künstler selbst sollten nicht dulden, daß solche Perversitäten, solch fauler Abfall des Kürfürstendamms, in ihren Kreisen hergestellt und bei ihren Festen verwendet werden. Es scheint mir an der Zeit […] an allen Kunsthochschulen […] einen entschiedenen Kampf zu entfalten gegen die Einflüsse des verfaulenden Kapitalismus.“

Und wie sieht es mit der Feierkultur heute aus? Im Schlusskapitel kann man es lesen: „Gefeiert wird immer – allein die Themen und Formen ändern sich. Große Kostüm- und Maskenfeste gibt es heute kaum noch. Das hat wenig damit zu tun, dass Halle nie eine Hochburg des Karnevals war. Unsere liberale Gesellschaft braucht ganz offensichtlich keine temporären ‚Sonderzonen’, in denen man straffrei dem Alltag entfliehen kann. Keinem ist es verwehrt, jederzeit die Rolle zu spielen, die er für sich reklamiert. Man braucht kein Kostüm, um sich unpassend zu kleiden. Es ist keine Maskerade nötig, um Standesgrenzen und Geschlechterrollen zu überwinden. Wer mag, kann immer und überall gegen gesellschaftliche Konventionen verstoßen– oder es doch wenigstens versuchen. Auch der Wunsch, sexuelle Freizügigkeit auszuleben, braucht kein Alibi. Die mediale und gebührenfinanzierte Entertainisierung trägt zu all dem ihren Teil bei. Dennoch bleibt das Maskieren und Kostümieren ausgesprochen attraktiv. Für den passiven Betrachter gibt es heute, nicht nur in den Medien, zahllose Angebote. Zu einem nicht geringen Teil gründet die beim Publikum beliebte Kunst der Performance auf dieser Einstellung. Auch das ungebrochen große Interesse an den Vorführungen der Modeklasse der Burg ist dafür ein Indiz.“


Angela Dolgner und Renate Luckner-Bien
Da wackelt die Ruine
Feste der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Hochschule
Mitteldeutsche Kulturhistorische Hefte Nr. 16
Herausgegeben von Peter Gerlach und Moritz Götze
Hasenverlag Halle, 2009
ISBN: 978-3-939468-17-2
Format: 112 Seiten, 14,8 x 20,0 cm, Paperback, mit zahlreichen Schwarzweißabbildungen und einem farbigen Abbildungsteil
Preis: 12,80 Euro