Deutschland und seine Zuwanderer

von 7. November 2010

Die Integration ausländischer Mitbürger ist nicht zuletzt durch das Buch von Thilo Sarazzin in der öffentlichen Diskussion. Auch der 6. Kulturstammtisch der SPD im Kunstcafe Moritz der Moritzburg in Halle (Saale) beschäftigte sich mit diesem Thema. Organisator Günter Kraus hatte den Ausländerbeauftragten Karamba Diaby eingeladen, ebenso wie die Integrationsbeauftragte der Landesregierung Sachsen-Anhalt Susi Möbbeck und Vertreter des Islamischen Kulturzentrums und der Stadtverwaltung.

Schon in alten Zeiten sei es ein Grundprinzip gewesen, “das Leute zu uns kommen”, sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Rüdiger Fikentscher zur Einleitung. Er zitierte den Ausspruch von Friedrich II.: “Alle Religionen sind gleich und wenn nur die Leute, die sich bekennen, ehrliche Leute sind, auch wenn es Türken und Heiden sind, die kämen und das Land besiedeln wollten, so bauen wir ihnen Moscheen und Kirchen.” In alten Zeiten seien Hugenotten und Niederländer nach Halle gekommen, eines der wenigen Zeichen die heute noch daran erinnern sei die Pfälzer Brücke. Und die damaligen “Einwanderer”? Sind heute mehr als sozialisiert. Fikentscher berichtete aus seiner Tätigkeit als Arzt. Einmal habe er eine Frau “Du Bois” in der französischen Aussprache aufgerufen. “Wir heißen Du Beus” habe ihn die Frau berichtigt. Selbst die originale Aussprache des Namens habe diese Familie also abgelegt, bilanzierte Fikentscher.

Beim 4. Integrationsgipfel der Bundesregierung war Karamba Diaby mit dabei, “Mehr Show als Diskussion”, kritisierte er die Veranstaltung bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zwar wolle die Bundesregierung den Integrationsplan als Aktionsplan fortschreiben. “Das finde ich zwar gut, aber wir beobachten viele Kürzungen”, so Diaby. So bekämen die Kommunen immer mehr Aufgaben übergeholfen, gleichzeitig würden aber die Gelder gekürzt. “Verarscht” fühle er sich durch das Sarazzon-Buch und die anschließende Debatte. “Man hatte den Eindruck, als sei zuvor noch nie was zur Integration gemacht worden”, kritisierte Diaby. Er berichtete zudem von einem von 729 zum Teil sehr namhaften türkischen Geschäftsleuten aus Deutschland unterschrieben Brief an die Kanzlerin. Diese bringen darin ihre Besorgnis zum Ausdruck, dass ausländerfeindliche Tendenzen nun aus der Mitte der Gesellschaft kommen.

Auch Günter Krause bestätigte, dass Sarazzins Buch den Eindruck erwecke, zuvor sei überhaupt nix passiert und Migranten seien Integrationsunwillig. Seit 2006 hätten 500.000 Migranten an einem Sprachkurs teilgenommen. Vielfach sei aber das Problem, dass es keine Plätze geben. Hier konnte die Integrationsbeauftragte Möbbeck nur zustimmen. “Es wird der Eindruck vermittelt, Migranten wollen keine Sprachkurse. Das ist aber nicht unser Problem. Das Hauptproblem sind fehlende Integrationskurse mit monatelangen Wartelisten”, so Möbbeck. “Wer über Defizite redet, sollte also auch über die Ursachen reden.” 45.000 Ausländer gebe es in Sachsen-Anhalt. Erklärte sie. Hier sei vor allem das Problem der langen Anfahrtswege. Kurse finden zentral in den großen Städten statt, Ausländer seien aber im gesamten Land untergebracht.

Diaby kritisierte im Laufe der Diskussion auch Politik und Medien. Da werde von angeblich 10 Prozent Integrationsunwilligen berichtet. “Das heißt aber auch: 90 Prozent wollen integriert werden”, meint Diaby. “Darüber sollte man reden und nicht über die 10 Prozent auf alle Ausländer schließen.” Ein Problem sei auch, dass Migranten noch immer einen Stempel aufgedrückt bekommen, so Rüdiger Fikentscher. “Selbst wenn sie integriert sind.” Das mache sich zum Beispiel bei Bewerbungen bemerkbar, meinte Susi Möbbeck. Im öffentlichen Dienst seien Menschen mit Migrationshintergrund deutlich unterrepräsentiert, obwohl diese Gruppe mittlerweile in Deutschland 15 Millionen Personen umfasst. Das sieht man zum Beispiel am Sozialamt in Halle. Bei einem Anteil von Personen mit Migrationshintergrund von rund 4 Prozent in Halle hat das städtische Sozialamt gerade einmal zwei Mitarbeiter aus dieser Gruppe – bei 120 Mitarbeitern im Sozialamt insgesamt. Auf Antrag der SPD-Fraktion hatte der Stadtrat im Mai dieses Jahres sich schon dafür ausgesprochen, dass sich die Verwaltung interkulturell mehr öffnen soll.

Doch liegt es überhaupt immer nur an integrationsunwilligen Ausländern? Oder vielleicht doch auch an den Deutschen selbst? “40 Prozent aller Sachsen-Anhalter haben Vorurteile gegen Migranten”, zitierte Susi Möbbeck aktuelle Zahlen. Ein Problem sie der gewöhnliche Faschismus, sagte Daniel Herrmann von der Werkleitz-Gesellschaft. So brachte er in die Diskussion ein, was wohl passieren würde wenn ein schwarzer Polizist plötzlich in einem Harzdorf zum Einsatz kommen würde. Wahrscheinlich ein Spießrutenlauf für ihn, meint Herrmann.

Thematisiert wurde auch die oft fehlende Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Migranten sollten sofort arbeiten gehen können, so Daniel Herrmann. Das sei der beste Weg zu mehr Integration und Verständnis untereinander. “Trommeln auf Straßenfesten bringt hingegen gar nichts. Da gehen nur die Leute hin, die sich eh dafür interessieren.” Wolfgang Keller versuchte die Angst und die ablehnende Haltung der Einheimischen zu analysieren. “Früher warens die Juden, jetzt die Migranten.” Viele Menschen verfahren nach dem Credo “An allem was Probleme macht sind die dran schuld.” Eine Zuschauerin sah einen Grund auch im Mangel an Mitmenschlichkeit, der Verklemmtheit sich anderen zu öffnen. Deutsche hätten zudem das Gefühl, da werde ihnen etwas weggenommen.

Daniel Herrmann sah auch die Gefahr einer Ghettoisierung. Das islamische Kulturzentrum, so regte er an, sollte sich mehr in der Innenstadt und nicht in Halle-Neustadt befinden. Die vielen deutschen Rentner in Neustadt würden über die Jahre hinweg wegsterben. Übrig blieben dann nur noch die Migranten. Eine Meinung, die die anderen Mitdiskutanten nicht teilen konnten. “An unserem alten Standort in der Fleischerstraße hatten wir mehr Probleme”, meinte eine Vertreterin des Islamischen Kulturzentrums. Die junge Frau ist gebürtige Hallenserin und war zum Islam übergetreten.