Die Wende und die Kirche

von 5. März 2009

(ens) Es hat sich richtig was bewegt in der DDR in den Jahren 1988 und 1989. Über 100 Delegierte aus insgesamt 19 Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften trafen sich in Dresden und Magdeburg zu einer Ökumenischen Versammlung zusammen, um zu dem Thema „Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung“ zu beraten. Doch beim Beraten blieb es nicht. Die Basis, die Bürger, sollten mit einbezogen werden. Dass anschließend aber eine wahre Flut an Briefen bei den Initiatoren eintreffen sollte, damit hatte niemand gerechnet. Immerhin schwang im Hinterkopf immer die Staatssicherheit der DDR mit. Was würde wohl passieren, wenn diese einen der Briefe in den Hände bekommt? Könnten dem Verfasser Repressionen drohen? Womöglich. Doch den Briefeschreibern war wichtig, sich zu äußern. Über 10.000 Schreiben trafen ein, und am Ende wurden Beschlüsse gefasst, die Deutschland für immer verändern sollten. Denn nur ein halbes Jahr später folgten die Proteste in Leipzig, die Gründung des Neuen Forums und anderer Gruppen. Und die Feststellung, dass sich “ganze Passagen der Ökumene in den Parteiprogrammen wieder fanden”, so Sachsen-Anhalts Ex-Ministerpräsident Reinhard Höppner. Er hatte damals das Dokument “Mehr Gerechtigkeit in der DDR” mitverfasst.

Am Dienstag diskutierte Höppner in der Marktkirche in Halle (Saale) gemeinsam mit Brigitte Schmeja (Sprecherin der katholischen Friedensbewegung "pax christi"), Christoph Bergner (parlamentarische Staatssekretär der CDU) und Leo Nowak (ehemaliger Bischof im Bistum Magdeburg) über die Ökumene in der DDR, über deren Ziele, Ergebnisse und die heutige Wirkung.

Höppner berichtete vom Druckaufbau durch den SED-Staat. Bestimmte Themen sollten während der Ökumene nicht angesprochen werden. Gehalten hat man sich daran nicht. Die Teilnehmer ließen sich nicht reinreden, fassten ihre Beschlüsse. Doch das Fazit fällt für Höppner nüchtern aus, sind doch die Papiere nicht gen vorgesehen in der Kirche diskutiert worden, sondern im Loch der Wende verschwunden. “Dabei haben viele Sätze von damals an Aktualität nichts verloren.” Frieden, Umwelt, Armut, Gewalt und Atomwaffen seien nach wie vor ein Thema. Der Zug fahre noch immer in die falsche Richtung. “Wir sind nur vom Güter- in den Speisewagen umgestiegen.” Höppner bedauerte, dass die Beschlüsse der Kirchen heutzutage von der Politik kaum wahrgenommen würden. Das sei zu DDR-Zeiten anders gewesen, “da saß die Stasi quasi Live dabei”, so Höppner polemisch. Die Bedeutung der Kirchen wäre größer, würde es eine Ökumene wie damals geben.

Das unterstützte auch der frühere Bischof Nowak. Die geöffnete Welt könnte ein Vorteil für die Kirchen sein, wenn eine weltweite Ökumene geben würde wie damals in der DDR. “Doch die Kirchen sind zu viel mit sich selbst beschäftigt.” Nowak lobte, dass Ökumene damals nicht nur theoretisch, sondern konkret gelebt wurde. Menschen verschiedener Kirchen hätten sich zusammengetan und solidarisiert, um etwas für die Menschen zu tun. Genau das vermisse er bei der heutigen Ökumene. Die Menschen damals hätten Kopf und Kragen riskiert, sich aus der Versammlung heraus an die Öffentlichkeit zu wenden. Es hätten berufliche und familiäre Nachteile gedroht.

Brigitte Schmeja war damals als Delegierte dabei. “Und ich bin froh darüber.” Dabei wäre es beinahe gar nicht dazu gekommen, wollte sich die katholische Kirche doch zunächst nicht beteiligen. Wie bereits Höppner hält auch Schmeja viele drängende Fragen von damals für nicht geklärt. Vor allem Frieden und Gewaltfreiheit waren ihr wichtig, heute durch die Abschottung der EU nach Außen und die zunehmende Militarisierung genauso aktuell wie damals.

Dass aber einiges von damals doch erfüllt werden konnte, hob Christoph Bergner hervor. “Das Krisenszenario von damals ist überwunden, damals waren auf beiden Seiten je 11.300 nukleare Sprengköpfe aufeinander gerichtet.” Die Gefahr sei überwunden. Und im Zuge der Abrüstung hätten beispielsweise Südafrika und Argentinien auf Nuklearwaffen verzichtet.