Diplomatie im Zeichen leerer Kassen

von 16. Februar 2011

Oulu, Grenoble, Karlsruhe, Linz, Coimbra, Ufa, Hildesheim, Jiaxing. Stadt-Land Fluss: Zu diesen acht Städten unterhält Halle mehr oder weniger intensive Partnerschaften. Ins Bewusstsein der Bürger dürfte allenfalls Oulu gedrungen sein, wegen seiner Rentiere und der alljährlichen Diskussion um deren Verbleib nach dem Weihnachtsmarkt. Und während die Wappen der übrigen Städte allenfalls auf den verschmutzten Ortseingangsschildern ein trauriges Dasein fristen, sticht dann doch gelegentlich die badische Partnerstadt Karlsruhe in der öffentlichen Wahrnehmung heraus. Das liegt einmal an den regen Aktivitäten des Freundeskreises Halle-Karlsruhe e.V., der sich im Jahre 2007 gründete; und an den bemerkenswerten Umständen, als diese Städtepartnerschaft besiegelt wurde, bereits im Jahr 1987, gut zwei Jahre vor der Wende. Außergewöhnlich war eine solche Partnerschaft eine DDR-Stadt mit einer westdeutschen Metropole. Nur zwei weitere innerdeutsche Städtepartnerschaften wurden vor der Wende geschlossen: Saarlouis und Eisenhüttenstadt (1986), und Aachen-Naumburg 1988. Heute ist die Pflege aller sechs Partner mit 43.000 Euro jährlich im Haushalt eingepreist.

Mit Leben erfüllt sind heute zwei der diplomatischen Städtebündnisse – Oulu und Karlsruhe.

Letzteres liegt sicher auch an den regen Aktivitäten des Vereins „Freundeskreis Halle Karlsruhe e.V“, der sich gestern wieder zum „offenen Stammtisch“ im „groben Gottlieb traf. Neun der ca. 20 Mitglieder, vorwiegend älteren Semesters, versammelten sich bei Tee, Wasser und wenig Bier unter Vorsitz von Thomas Godenrath. Stefan Voß, Leiter des Stadtmarketings Halle, wurde erwartet, verspätete sich, ließ sich immer wieder telefonisch entschuldigen. Das bot den Mitgliedern Gelegenheit, dem Halleforum ihr Engagement für die Partnerschaft mit Karlsruhe zu erläutern. Der Verein existiert seit 2007, und für 2017 plane man, gemeinsam mit dem parallel existierenden Karlsruher Partnerverein die Silberhochzeit zu begehen. Der Höhepunkt soll es werden, nach jahrelangem Engagement mit mindestens drei jährlichen festen Veranstaltungen. Jeden letzten Sonntag im April begeht man den Städtepartnerschaftstag auf dem Markt. Zum Laternenfest folgt das jährliche Partnerschaftstreffen, und schließlich ist der Freundschaftsverein auf dem Weihnachtsmarkt mit einem eigenen Stand vertreten.
In all den Jahren trafen sich die Hallenser immer wieder mit den Karlsruhern, Freundschaften entstanden. Dieses Jahr geht es mit 35 Personen zum Hafenkulturfest nach Karlsruhe. Am ersten Septemberwochenende freuen sich die Mitglieder auf die Reise nach Karlsruhe unter dem Motto: „Stadt der Biere“. Man wird mindestens zwei Brauereien besuchen. Die Gaststadt lockt mit preisgünstigen Übernachtungsmöglichkeiten, kostenloser ÖPNV-Benutzung und einem Zoobesuch. Frau Schoellner, Leiterin des immerhin einzigen Shantychors Mitteldeutschlands, dem Seeteufel e.V. Halle, möchte gerne mit ihrem Verein zum Karlsruher Hafenfest anreisen, deren Mitglieder erhoffen sich finanzielle Unterstützung durch den Freundschaftsverein; und der wiederum erhofft sich Hilfe vom Stadtmarketing. Stefan Voß, mittlerweile erschienen, machte sichtlich große Bögen um irgendwelche finanzielle Zusagen, die Kassen sind leer, doch des Lobes über das bürgerliche Engagement der ehrenamtlichen Botschafter der Stadt Halle ist er indes um so voller.

Voß breitete vor den Mitgliedern seine Philosophie des Stadtmarketings aus. Schwerpunkte will er setzen, Marken aufbauen, die Stadt mit ihren Leuchttürmen ins Blickfeld rücken. Und es muss sich lohnen, rechnen. Er träumt von Kongressen in Halle, nicht von Zweiergruppen mit Sonderführungen durch die Stadt. Voß will mit den Pfunden, die die Stadt besitzt, wuchern, Lutherdekade beispielsweise. Da sieht er nicht ein, dass die 500-jährige Wiederkehr des Thesenanschlages 2017 in Berlin gefeiert werden soll. „Das gehört in die Region“, sagte er, vor allem nach Halle. Er regte sich auf, dass die Kirche die Luthermaske in der Sakristei versteckt: „typisch protestantisch“ so seine Worte, und zog Vergleiche zu reformatorischen Bilderstürmern. Ach so, Städtepartnerschaften war ja das Thema. Von Karlsruhe könne man viel lernen, so hätte es die Karlsruher Citygemeinschaft geschafft, über 2.500 Mitglieder zu vereinen, vor allem auch unter den Angestellten der Kaufhäuser. "Die räumen sich jetzt gegenseitig Einkaufsvergünstigungen ein, bis zu 20 Prozent." Der dortige Vorsitzende sei rührig und habe „immer den Finger in der Steckdose." Man solle sich einfach gute Beispiele aus anderen Städten ansehen, statt zu glauben, man wisse alles selber.
Welche Hilfen sich nun der Verein erwarten könne, kam nun die zaghafte Frage aus den Reihen des Freundeskreises. Viel wichtiger als das Geld sei das persönliche Engagement der Mitglieder, so Voß, lobte hier den einen, dort den anderen, und griff auch die Anregung eines Mitgliedes, Graf Luckner zu ehren, mit Freude auf. "Beschämend, dass man demjenigen, der unsere Stadt vor dem Untergang bewahrt habe, nicht einmal eine Bronzetafel gönnen wolle."

Damit wollen wir die Versammlung im Groben Gottlieb verlassen – wo sich Bürger und Funktionäre im kalten Hinterzimmer treffen, vereint im Willen, etwas für die Außenwirkung ihrer Stadt zu tun – doch noch immer getrennt in Wortwahl und Mundart darüber, wie dies zu erreichen ist.