Gedenken an die Opfer und die Verpflichtung zur Aufarbeitung bleiben verbindlich

von 6. Mai 2020

Am 8. Mai 1945 wurde das Ende der nationalsozialistischen Diktatur durch die Truppen der Alliierten besiegelt und damit ein verbrecherischer Weltkrieg beendet. Mit menschenverachtender Herrschaft, Ideologie, Terror und Rassismus waren Millionen Kinder, Frauen und Männer ermordet worden und ganze Familien ausgelöscht. Sowohl die überlebenden Opfer des Nationalsozialismus wie auch die Deutschen selbst waren am 8. Mai durch die Alliierten befreit worden

In jeder Familie werden persönliche Erfahrungen aus dieser Zeit berichtet. Sie liegt drei Generationen zurück und prägt unsere Familiengeschichten, unsere politische Gegenwart und unser Geschichtsbild.

Die NS-Diktatur war auch Ursache und Ausgangspunkt für die nachfolgende deutsche und europäische Teilung. Im Osten Deutschlands folgte auf die Befreiung vom Nationalsozialismus die SED-Diktatur, so dass der Neuanfang in Freiheit bis 1990 verwehrt blieb.

Die politische Repression betraf auch die Erinnerung an Krieg und Schrecken: Die Flüchtlinge in der DDR z. B. tauschten sich nur in kleinen vertrauten Kreisen aus. Millionen Frauen und Mädchen, die während und nach dem Krieg vergewaltigt wurden, haben niemals Unterstützung, Entschädigung oder Gerechtigkeit erfahren. Die Männer, die aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrten schwiegen über Krieg und Gefangenschaft.

Aus der Perspektive der Aufarbeitung der SED-Diktatur gibt es aus dieser Erfahrungsgeschichte vieles zu lernen, folgendes sei hervor gehoben:

1. Zu Diktaturen gehören das Verschweigen und die Leugnung der Realität, Sprech- und Denkverbote. Die Manipulation des Geschichtsbildes gehörte auch in der DDR dazu. Mitglieder der Bürgerrechtsbewegung in der DDR waren der historischen Wahrheit verpflichtet und hatten sich bereits früh u. a. mit der Aktion Sühnezeichen für die umfassende Aufarbeitung der NS-Zeit und für Versöhnung engagiert und jüdische Friedhöfe vor dem Verfall gerettet. Hier entstand eine der Wurzeln der Opposition, die sich keine Wissens- und Denkverbote auferlegen lassen wollte.

2. Aufarbeitung ist nicht Abrechnung oder Besserwisserei. Sondern durch Aufarbeitung wird erst Versöhnung möglich. So hat Sibylle Krägel erst nach dem Ende der kommunistischen Diktatur nach dem Verbleib ihres Vaters forschen können, der im Juni 1945 im sächsischen Hainichen von den Sowjets abgeholt worden war. Sie brachte 1993 seinen Tod im sowjetischen Speziallager Tost in Polen in Erfahrung. Seitdem engagiert sie sich für die Erinnerungsarbeit und erhielt 2015 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Toszek (Tost) für ihren Einsatz für Aufarbeitung und Versöhnung und dies ist besonders wertvoll, da Polen eines der Länder mit den größten Kriegsopfern ist. Ihre Initiative ist Mitglied in der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft. Das Wissen um historische Zusammenhänge und um historische Wahrheit eröffnet neue Wege für Mitmenschlichkeit, Begegnung und Verständnis.

3. Es ist ein hohes Gut, dass nun seit 30 Jahren die Aufarbeitung der NS-Zeit im Osten Deutschlands vollumfänglich und konkret möglich ist und zugleich auch die Aufarbeitung der SED-Diktatur für die persönliche Schicksalsklärung und für das Verständnis unserer Geschichte begann. Alle Aufarbeitung gehört auch zusammen, schon weil beide Diktaturen unser Land so stark geprägt haben. Und beides verlangt der Gesellschaft viel ab. Dabei verbieten sich alle Relativierungen der NS-Verbrechen und alle Bagatellisierungen der kommunistischen Verbrechen. Kontinuierlich braucht es dazu auch in Zukunft die Unterstützung durch Bildung, Medien und die aktive Beteiligung der Familien mit ihren Geschicken und Geschichten. Im Wissen um deutsche Schuld und Verantwortung ist das Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt für unsere Gesellschaft verbindlich.