Haben wir wirklich zu viel Wild ?

von 2. Januar 2015

Was aber vollkommen unverständlich erscheint, ist wieder einmal die Einschätzung zu den Wildbeständen, welche sich ausschließlich über die Abschüsse beziffern sowie der gesichteten Bestände in Waldgebieten und angrenzenden Feld- und Siedlungsgebiete definiert. Daraus lassen sich überhaupt keine ernsthaft belastbaren Zahlen zu den Wild-beständen ableiten. Zumeist gelten Schwarz-, Rot-, Dam- und Rehwild als explosions-artig ansteigend, weil sich deren Abschüsse steigern, vermehrt Wildunfälle auftreten und die Tiere zunehmend in Siedlungs- und Wohngebiete der Menschen drängen. Immer wieder vermittelt man nur eine Lösung: Die Jäger sollen mehr Wild schießen. Als Argu-mente kommen da immer wieder der Schutz der Gehölzbestände in den Wäldern, Ver-ringerung von Wildunfällen und der Schutz menschlicher Siedlungen.

Nun stellt sich die ernsthafte Frage: Haben sich die Bestände an Wild tatsächlich so dramatisch erhöht ? Wer hat den Mal eine ernsthafte wissenschaftlich fundierte Zählung des Wildes vorgenommen ? Auf welchen Flächen fanden bzw. finden derartige Inven-turen statt ? Bis jetzt konnte man keine belastbaren Daten finden, außer dass man im-mer wieder die Bezifferung der Abschüsse als Maß der Dinge ansetzte und zusätzlich die „gefühlte“ Zunahme in Folge von vermehrten Auftreten von Wild in Siedlungsgebieten zu Grunde legte und legt. Nur auf dieser eher dürren und zutiefst unwissenschaftlichen Basis Schlussfolgerungen zu Wildbeständen zu treffen, ist mehr als zweifelhaft.

Könnten nicht eher andere Faktoren einen scheinbar extrem steigenden Wildbestand vortäuschen ? Dazu zählen zu aller erst, dass noch immer auf ausgedehnten Agrarflä-chen Gehölzflächen und –streifen fehlen und somit weitläufig ausgeräumte Industrie-landwirtschaftsflächen prägen. Hinzu kommt die Reduzierung der ackerbaulichen Viel-falt von einst 25 auf maximal 6 Kulturen. Vorrangig prägen aus verschiedenen Gründen Mais und Raps die Agrarlandschaft, da hier am besten der Steuer- und Gebührenzahler eine Schröpfung über EU, Bund und Länder erfahren kann. Um genügend Fläche zu haben stören Gehölzstreifen und –inseln. Nur diese sind auch als Lebensraum für das Wild notwendig. Die meisten Tiere brauchen Feld und Wald auf dem engsten Raum, so dass sie sich verstärkt in den bestehenden Fläche konzentrieren. Auf dem Großteil der Ackerflächen fehlt das Wild weitegehend, was durch massenhaften Mais- und Rapsanbau zudem ebenso wie Greifvögel und Eulen ihres Nahrungsraumes beraubt sind. Dies und Großtechnik ermöglichen auch dem Hasen erschwert Standorte für Schlaf- und Wurfsassen zu finden.

Das Schwarzwild, was sich dagegen im Mais pudel-wohl fühlt, gelangt durch den großflächigen Anbau von Mais bis an die Siedlungsge-biete heran, wo auf einstigen Nahrungsgebieten und Wanderrouten nun Einfamilien-häuser mit anschließenden Gärten befinden. Als Essenabfalldeponie degradierte Kom-posthaufen sowie frisches Grün bieten sich zusätzlich als Nahrungsquelle an.

Eine Zunahme von Bundesautobahnen und Straßen engen zusätzlich den Bewegungs-raum der Tiere ein und erhalten ihre öffentliche Resonanz bei Berichten über zuneh-mende Wildunfälle. Die tagtägliche bundesweite Flächenversiegelung schlägt mit etwa 80 ha zu Buche. Selbst der vom Umweltbundesamt für Brandenburg gesetzte Zielwert für den Zeitraum von 2017 bis 2020 von 1,3 ha pro Tag liegt noch in weiter Ferne.

In den Medien führen die falschen Ursachenbestimmungen und –bewertungen zu ver-heerenden Schlussfolgerungen. Anstatt endlich eine Wiedererhöhung der Artenvielfalt der Agrarlandschaft mit der Wiedererhöhung der Anzahl der Anbaukulturen sowie einer umfassenden Flurholzbegrünung, was übrigens bereits die Volkskammer der DDR sowie die Räte der Bezirke im Frühsommer 1989 in Form von Flurholzprogrammen verab-schiedeten, in Gang zu setzen, setzt man die bisherige Praxis der Kultur- und Land-schaftsarmut fort. Diese Maßnahmen lassen sich sehr gut mit der Schaffung von min-destens beidseitig 10 m breiten Gewässerschonstreifen entlang von Gewässern verbin-den, welche im Komplex mit den vorgenannten Maßnahmen zur Verbesserung von Biotop- und Grünverbünden, zur Verringerung von Wind- und Wassererosion sowie als Lebensraum für verschiedene Tier- und Pflanzenarten beitragen können.

Hinzu kommt noch die häufig vorhandene märchenhaft begründete Ablehnung der Ausbreitung des Wolfes, welche bei einer Straßendichte in Deutschland im Umfang von durchschnittlich 646 m je km² zu massiven Einschränkungen in den Jagdrevieren führt. Jedoch mit dem Vordringen des Wolfes vom Osten und des Luchses von Westen und Südwesten rücken Tiere in einstige Lebensräume vor, wo sie schon einst die Spitze der Nahrungskette bildeten.

Hinsichtlich der Waldentwicklung haben Beobachtungen nachgewiesen, dass ange-pflanzte Gehölze eher als umfassende „Kostproben“ dem Wild zum Opfer fallen, als sukzessiv entstehende und darauf basierend sich entwickelnde Gehölzflächen.

Hier lohnt es sich mal alternativ Gedanken zu entwickeln, anstatt dem jahrhundertalten Reflex nachzugehen und nach vermehrter Bejagung zu rufen. Einem Jäger und Heger müsste das im Gegensatz zum Jäger und Geschäftemacher genauso übel aufstoßen, wie Organisationen und Menschen, welche sich dem Schutz, Erhalt und Entwicklung von Natur, Landschaft und Umwelt annehmen.