Im zahlreichen halleschen Kirchen wurde am Sonntag an den Reformator Martin Luther gedacht. Protestanten in aller Welt erinnern jedes Jahr am 31. Oktober an den Beginn der Reformation vor fast 500 Jahren. Ob Luther seine gegen Missstände gerichteten 95 Thesen tatsächlich am 31. Oktober 1517 an die Tür der Wittenberger Schlosskirche schlug, ist historisch nicht gesichert, die öffentliche Wirkung seiner Thesen jedoch unumstritten. Schließlich leitete er die Reformation ein. Luther bestritt im die herrschende Ansicht, der Ablass sei die Voraussetzung, den Menschen von der Sünde zu erlösen. Der Reformator sagte dem “Handel” mit Ablassbriefen den Kampf an. Kardinal Albrecht hatte damit seine Kassen aufbessern wollen.
Die Reformation hatte weitreichende Folgen. So ist es gemäß dem "Priestertum aller Gläubigen" für evangelische Gemeinden selbstverständlich, dass auch Laien nach einer Ausbildung Gottesdienste halten sowie Mitglied der Kirchenleitung sein können. Außerdem werden in der evangelischen Kirche Frauen zu Pastorinnen ordiniert. Unmittelbar mit der reformatorischen Bewegung ist das evangelische Pfarrhaus entstanden und Pfarrer gründeten Familien. Luther selbst hatte durch seine Heirat mit Katharina von Bora mit dem Zölibat gebrochen. Weltlichen Bezug erlangte Luthers Wirken, indem er dafür sorgte, dass Kommunen eigene Sozialhaushalte bekamen.
Gottesdienste wurden zum Reformationstag unter anderem in der Marktkirche, der Passendorfer und der Dölauer Kirche sowie in der Lutherkirche gefeiert. In der katholischen Heilig-Kreuz-Kirche feierten die Katholiken gemeinsam mit ihren protestantischen Nachbargemeinden Paulus, Heiland und der Laurentiusgemeinde einen ökumenischen Gottesdienst. Nach den Gottesdiensten, die oft von kleinen Konzerten begleiten wurden, gab es traditionell Reformationsbrötchen oder -hörnchen.
Landesbischöfin Ilse Junkermann stellte zum Reformationstag den Perfektionismus, an dem Menschen scheitern müssen, in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. "Die Gesellschaft übt einen hohen Erwartungsdruck aus und suggeriert, nur der könne sein Glück finden, der möglichst perfekt sei. Das überfordert viele Menschen. Die ideale Ehe führen, die ideale Beziehung zu den Kindern haben und den idealen Job haben – diese Erwartungen überfordern uns." Es sei nicht verwunderlich, wenn solche Ansprüche an Beziehungen zum Streit führen, die Kinder sich zurückziehen und Menschen am Arbeitsplatz frustriert werden. "Die Abkehr von einem übertriebenen Perfektionismus, der keine Fehler zulässt und die Hinwendung zum Menschlichen, das in Gott aufgehoben ist – das ist ein zutiefst reformatorischer Gedanke", so die Landesbischöfin. Auch Martin Luther habe sich als Mönch geschunden, alles richtig zu machen, um vor Gott gut dazustehen. Er habe aber erkannt, dass ein Mensch daran nur scheitern kann. "Gerechtfertigt allein aus Gnade", das sei für Luther die befreiende Erkenntnis und zugleich der Beginn der Reformation gewesen. "Lassen wir Schwächen zu, sehen wir klar, auch auf die Kehrseiten und Schattenseiten – im eigenen Leben wie im Zusammenleben. Wir müssen nicht perfekt sein. Wir sind unabhängig von dem, was wir leisten, unabhängig von Verdienst, Ansehen und Aussehen wertvoll und von Gott angenommen", so Junkermann. Menschen, die im Alter zurückblicken, würden häufig erkennen: "Reich ist ihr Leben dann geworden, wenn sie sich haben beschenken lassen, wenn sie aufgehört haben, zu meinen, alles selbst in der Hand zu haben. Reich ist ihr Leben geworden, als sie es aufgegeben haben, einem Ideal nachzujagen."