Juden und die DDR

von 3. August 2009

(ens) “SS und Juden” spielten die Schüler der Tschaikowski-Oberschule in Karl-Marx-Stadt 1959, ein Jahr später wird im Glaswerk Haselbach eine DDR-Fahne mit Hakenkreuzen beschmiert und im Kraftwerk Lübbenau wird ein Arbeiter jüdischer Abstammung als “Judenlümmel” beschimpft. Vorfälle, die es offiziell nie gegeben hat, die sich aber in den akribischen Aufzeichnungen der Staatssicherheit wieder finden. Und so hört man auch heute immer wieder “Das hat´s bei uns nicht gegeben”. Hat es doch gekommen. Und mit dem Antisemitismus in der DDR befasst sich seit Montag eine neue Ausstellung im Ratshof von Halle (Saale).

“Ein heikles Thema”, findet auch Stephan Arnold von der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt. Doch man habe bewusst einen Tabubruch begehen wollen. Denn es habe in der DDR Fragen gegeben, die bewusst umschifft worden. Zum teil sogar verfärbt, wie Sendungen des Schwarzen Kanals. Zwei antisemitische Sendungen mit Karl-Eduard von Schnitzler aus der Zeit des Libanonkriegs werden in der Schau auf Video gezeigt. Doch hauptsächlich können sich die Besucher bei dem Projekt der Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung an Schautafeln informieren, wie die Deutsche Demokratische Republik überhaupt mit dem Thema Antisemitismus umgegangen wurde, wie man Israel in den DDR-Medien darstellte und wie man der Opfer des Nationalsozialismus gedachte.

Noch glaubwürdiger wird es aber nicht durch Filme und Schautafeln, sondern durch Zeitzeugengespräche. So Salomea Gemin, die über 30 Jahre selbst für die Stasi arbeitete. Am 6. August um 18 Uhr ist ihre Geschichte Thema im Stadtmuseum, Beginn ist um 19 Uhr. Am 31. August stehen die Judenfeindlichkeit in der DDR und deren Auswirkungen bis heute im Mittelpunkt eines Vortragsabends mit Philipp Gessler (tat), Sozialpädagogin Heike Radvan und Claudia Globisch von der Uni Leipzig. Am 3. September um 19 Uhr zeigt die Jüdische Gemeinde in der Großen Märkerstraße den Film “Juden in Halle”, der 45 minütige Streifen beschäftigt sich mit der fast 1.000jährigen Geschichte jüdischen Lebens in Halle und zeigt, wie durch Gudrun Goesecke die Vernichtung des Archivs der jüdischen Gemeinde verhindert werden konnte.

Doch die jüdische Gemeinde von Halle war auch von der Stasi durchzogen. Gudrun Goeseke war es, die Einmischungen der SED in die Arbeit der Jüdischen Gemeinde aufdeckte. So war die damalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle, Karin Mylius, nicht wie behauptet Jüdin, sondern betrieb mit Kenntnis und Duldung der SED den Niedergang des jüdischen Lebens. Goesecke versuchte zwar die Machenschaften öffentlich zu machen, geriet dabei aber in die Fänge der Staatssicherheit und wurde systematisch überwacht. 1985 hatte Mylius' Mann erklärt, es würde ausreichen wenn Goeseke mal für zwei Tage in den Knast kommt, um sie ruhig zu stellen. Am 13. August um 20 Uhr wird die Geschichte in der Jüdischen Gemeinde noch einmal präsentiert.

Zusammengestellt wurde die Ausstellung von Schülern verschiedener ostdeutscher Schulen. 76 Jugendliche haben in acht ostdeutschen Städten geforscht. Sie haben Fragen gestellt und Fakten recherchiert: Wo befindet sich der jüdische Friedhof, und wo sind nach 1950 seine Grabsteine geblieben? Was wurde in der Regionalzeitung über Israel geschrieben? Und wie wurde öffentlich an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert? Bis 4. September ist die Ausstellung im Ratshof zu sehen.