Kerstin Küpperbusch „Von der Mietskaserne zur Gartenvorstadt“

von 4. September 2010

Die schon vor dem Ersten Weltkrieg in den mitteldeutschen Städten herrschende Wohnungsnot verschärfte sich nach dem Kriegsende 1918 deutlich. Betraf die Wohnungskrise der Vorkriegszeit vor allem die Arbeiterbevölkerung, fehlten nach dem Krieg quer durch alle Schichten Tausende von Wohnungen in den Städten. Im Krieg war nicht nur die Bauleistung völlig zum Erliegen gekommen, die Rüstungsindustrie hatte zudem neue Arbeitermassen in die Städte gezogen. Es gab weitaus weniger Wohnungen als Haushalte.

Mit den veränderten politischen Bedingungen nach 1918 stellte der Staat sich selbst die Pflicht, mit großangelegten Siedlungen und Wohnanlagen bezahlbaren Wohnraum für die minderbemittelten Bevölkerungsschichten zu schaffen. So zählte der genossenschaftliche Wohnungsbau zu den herausragenden Leistungen der Weimarer Republik.

Kerstin Küpperbusch hat nun eine detaillierte und gründliche Dokumentation der in Halle entstandenen Siedlungen und Wohnanlagen vorgelegt. Zunächst stellt die Autorin den Wohnungsbau in der Stadt Halle vom 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg dar. Anhand ausgewählter hallescher Siedlungen (wie um den Johannesplatz, Luthersiedlung oder Siedlung „Vogelweide“) wird dann der Siedlungs- und soziale Wohnungsbau in der Saalestadt während der Weimarer Republik betrachtet.

Die neuerrichteten Wohnanlagen waren zunächst begrünte Vorstadtsiedlungen, denn die Stadt dehnte sich vorrangig nach Süden aus. Die Bautätigkeit lag dabei nicht nur in den Händen der Stadt, sondern wurde auch von verschiedenen gemeinnützigen Bauträgern, z. B. dem „Bauverein für Kleinwohnungen“ oder dem „Gemeinnützigen Bauverein Gartenstadt“, ausgeführt.

Besonders ausführlich wird auf die beiden großen Gartenvorstädte „Süd“ und „Gesundbrunnen“ eingegangen. Mit ihnen hatte der Süden der Stadt Halle ein gänzlich neues Ansehen erhalten. Im Norden Halles war die Bautätigkeit in diesem Zeitraum dagegen eher bescheiden, angeführte Beispiele sind hier das Wohnviertel am Landrain oder die „Gagfah“-Siedlung in Trotha. Alle Erläuterungen zu den Wohnanlagen und Siedlungen werden mit zahlreichen historischen Fotos illustriert, mit Luftaufnahmen, Bebauungsplänen, Entwurfsskizzen und Wohnungsgrundrissen.

Der Wohnungsbau in den 1920er Jahren stand auch unter dem Regime der Rationalisierung und der industriellen Produktionsweisen, deshalb schauten die Architekten nach Amerika und die Niederlande, wo bereits 1918 mit großangelegten Wohnungsbauprogrammen begonnen wurde. So waren die halleschen Wohnungsbaugesellschaften an neuen Experimenten im Wohnungsbau durchaus interessiert, auf den Bau von Versuchssiedlungen verzichtete man jedoch.

Die Siedlungen und Wohnanlagen der Weimarer Zeit sind von aktueller Bedeutung, nicht nur als Zeugen der Zeitgeschichte, denn noch heute bestimmen sie wesentlich das Stadtbild. Kerstin Küpperbusch hat mit ihrer interessanten und lesenswerten Dokumentation auch ein Stück bisher wenig beachteter Stadtgeschichte ins Blickfeld gerückt.

Manfred Orlick

Mitteldeutscher Verlag Halle 2010, 24,00 €, 376 S., ISBN 3-89812-710-3