Nachruf auf Melanie Kollatzsch

von 3. Januar 2020

Melanie Kollatzsch, geboren am 12. Juni 1927, verstarb im Alter von 92 Jahren am 26. Dezember 2019 in Magdeburg.

Melanie Kollatzsch war Trägerin der Ehrennadel Sachsen-Anhalt für ihr außerordentliches Engagement bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur und als Zeitzeugin. Bis in ihr hohes Alter hinein stand sie für Anfragen zur Verfügung und berichtete Schülergruppen und Erwachsenen über ihr Schicksal.

Sie war eine derjenigen, die über ihre Verurteilung durch ein Sowjetisches Militärtribunal und die Haft im sowjetischen Speziallager Nr. 7 in Sachsenhausen berichtete.

Melanie Kollatzsch erzählte von ihrer Arbeit bei den Englischen Alliierten, ihrer Verhaftung am 16.05.1947 als 19 jährige, die im Sommerkleid – aus Iserlohn kommend – ihre Eltern in der Altmark besuchte, ihrer Überstellung zum Sowjetischen Militärtribunal nach Halle in den Roten Ochsen, die dort nach 9 Monaten Untersuchungshaft mit nächtlichem Verhör verbunden mit Folterandrohung und Folter ein Geständnis unterschrieb. Im Anschluss daran wurde die nunmehr 20 Jährige im Schnellverfahren- ohne die Möglichkeit einer Verteidigung – wegen Spionage zugunsten der westlichen Alliierten, Boykotthetze und Kriegstreiberei zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Danach wurde sie für ca. 2 Jahre im sowjetischen Speziallager Nr. 7 Sachsenhausen inhaftiert, kam von dort nach Potsdam in das Untersuchungsgefängnis der sowjetischen militärischen Spionageabwehr Leistikowstrasse, später nach Bautzen, Torgau, Waldheim, in den Strafvollzug für Frauen in den Roten Ochsen und schließlich nach Halberstadt. Den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 erlebte sie im Gefängnis in Waldheim.

Am 7. Oktober 1962 wurde sie nach ca. 15 ½ Jahren Haft in 11 Lagern und Gefängnissen in die DDR entlassen. Mittlerweile waren ihre Eltern verstorben, sie fand keine Unterstützung zur Rückkehr in ein ziviles Leben.

Melanie Kollatzsch konnte sehr gut erzählen: sie beschrieb die Angst, den Hunger, den Zusammenhalt der Häftlinge. Sie erzählte offen, dass sie darunter litt, dass es über Jahre „kein gutes Wort“ gab, an Einsamkeit, an der Ungewissheit.

Im ehemaligen Gerichtssaal im Roten Ochsen stehend zeigte sie auf eine Stelle in der Mitte des Raums und sagte: „Hier habe ich meine Jugend verloren.“ – dort musste sie stehen, als sie verurteilt wurde.

Nach ihrer Haftentlassung war es schwer, in der DDR Fuß zu fassen. Beruflich kann sie sich nicht entwickeln, die schwere Haftzeit, über die sie bis 1989 unter Strafandrohung nicht reden darf, wirkt nach.

Bald nach der Friedlichen Revolution begann sie sich im Bund der Stalinistisch Verfolgten zu engagieren, unterstützte die Aufarbeitung der SBZ und SED-Diktatur, begleitete die Einrichtung der Dauerausstellung beim Roten Ochsen und setzte sich dabei für einen Ausgleich zwischen den NS- und Stalinistisch Verfolgten ein. Seit Mitte der 1990 er Jahre war sie durch Zeitzeugengespräche in die Bildungsarbeit der Gedenkstätte am Moritzplatz eingebunden.

Hintergrund:

  • Interview mit Melanie Kollatzsch ca. 23‘, https://www.ardaudiothek.de/erlebtegeschichten/melanie-kollatzsch-opfer-des-stalinismus/55497572 , 2007.

  • Melanie Kollatzsch im Interview an 5 von 11 Haftorten: „Gesicht zur Wand. 15 Jahre politische Haft in SBZ und DDR“ (2007). Der Film wurde in Kooperation des LStU Sachsen-Anhalt und der Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg in der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt (unterstützt von der Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle/Saale und gefördert von der LpB Sachsen-Anhalt) erstellt und von dem Filmteam „blende39“ aus Magdeburg gedreht.

  • Bericht von Melanie Kollatzsch, enthalten in: Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt, Materialerhebung zum 17. Juni 1953, Magdeburg 2003.