Plötzlich und unerwartet

von 5. Dezember 2010

Es ist wie immer. Plötzlich und unerwartet fällt der Winter über uns her, schickt seine eisigen Winde und lässt den Schnee in ungezählten Flocken vom Himmel tanzen.
"Leise rieselt der Schnee,
Still und starr liegt der See,
Weihnachtlich glänzet der Wald
Freue dich, Christkind kommt bald!"

Das war früher, heute folgt darauf der Ausnahmezustand. LKW blockieren die wichtigsten Straßen, Autofahrer versuchen auf dem Gleisbett der Straßenbahn schneller voran zu kommen, bleiben dann aber überraschend stecken, Fahrpläne sind sowieso Makulatur, Fahrradfahrer eiern auf spiegelglatten Wegen. Wer zu Fuß unterwegs ist, wird von unsicher tappenden Rentnern behindert oder fällt einfach auf den Allerwertesten, die Deutsche Bahn verteilt Decken, was sollte sie auch sonst machen. Weichen vom Eise befreien jedenfalls nicht. Vor wenigen Wochen hatte die Oberbürgermeisterin noch stolz verkündet, die Stadt sei auf den Winter gut vorbereitet, Praktikanten würden für die Schneebeseitigung eingesetzt. Hat jemand irgendwo einen Praktikanten beim Schnee schippen gesehen?

Eisig wie der Winter ist inzwischen auch das Verhältnis der Stadtverwaltung zum Landesverwaltungsamt. Plötzlich und unerwartet droht es inzwischen ganz offen mit einem Zwangsverwalter, der die städtischen Finanzen in Ordnung bringen soll. Halleforum wusste das natürlich wieder früher als die Rathauschefin.
Ein Zwangsverwalter übt Zwang aus, deshalb heißt er so. Das können wir uns aber nicht gefallen lassen. Zwang ist das Gegenteil von Freiheit. Wir aber haben eine sogenannte freiheitlich demokratische Grundordnung, die vom Grundgesetz begründet ist und darin heißt es:
„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben
alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
Moment mal! Ein Recht zum Widerstand? Da könnten die gewählten Volksvertreter, die dann gar nicht mehr gebraucht würden, doch auf den Gedanken kommen, den Zwangsverwalter unbefristet im Roten Ochsen logieren zu lassen, weil er nicht zum Wohle der Stadt und seiner Bürger, sondern zum Wohle der Gläubiger, also der Banken handelt.
Mein Hausmeister, der sonst für jeden Spaß zu haben ist, kann über diesen Gedanken nur den Kopf schütteln: „Volksvertreter leisten keinen Widerstand, die machen Politik.“
Das wird jetzt aber anders. Wie aus gut unterrichteten Quellen verlautet, wird Wikileaks im Januar Dokumente aus dem Halleschen Rathaus veröffentlichen. Unter anderem Gesprächsprotokolle von Beigeordnetenkonferenzen und anderen nichtöffentlichen Sitzungen. Auch die Meinung der Oberbürgermeisterin über die Fraktionsvorsitzenden und ihre Mitarbeiter. Die Quellen vermuten, dass es danach zu Neuwahlen kommt. Dann können wir wieder unsere Stimme abgeben, um danach das Maul zu halten.

Ich wage mal eine Prognose: Wenn es wärmer wird, ist der Frühling nicht mehr weit. Und nach Sommer und Herbst kommt der nächste Winter, natürlich wieder plötzlich und unerwartet. Wenn die Eskimos so denken würden, wären sie längst erfroren.
Und wenn Halle nicht endlich über ein Schuldenmoratorium nachdenkt, wird das hier eine Schlafstadt mit dem morbiden Charme des Untergangs und der Barbarei. Der Schnee stört dann auch niemanden mehr.

Friedrich Ohnzorn