Reideburg war im Genscher-Fieber

von 13. September 2009

(una)(ens) Stau in der Delitzscher Straße und Zugeparkte Seitenstraßen waren das vorherrschende Bild am Freitagnachmittag in Reideburg. Polizisten waren zwar vor Ort, aber mehr als den Ansturm der Fahrzeuge in kontrollierte Ordnungswidrigkeiten zu lenken war ihnen nicht vergönnt, dem Ansturm waren sie nicht gewachsen.

Grund war der Besuch von Hans-Dietrich Genscher. Er war eingeladen zur Eröffnung seines Geburtshauses als „Bildungs- und Begegnungsstätte“. Zuvor besuchte er aber noch die Stätte seiner Einschulung in der Paul-Singer-Straße im heutigen Ortsteil Reideburg von Halle. Dort wurde er, nicht unerwartet, von Cornelia Pieper empfangen.
Im damaligen Dorf Reideburg, vor den Toren der Stadt Halle gelegen, wurde er 1933 eingeschult. Diese aber als „seine Schule“ zu bezeichnen ist wohl übertrieben, denn nur eine Woche war er dort Schüler. Dann wechselte er in eine Schule nach Halle, das heutige Herder-Gymnasium. Acht Schüler aus der damaligen Einschulungsklasse waren gekommen. Erinnerungen an den prominenten „Einschüler“ von 1933 hatte keiner, verständlich. Und auch die überreichte Zuckertüte mit dem aufgedruckten Foto der Einschulungsklasse eignete sich nicht zum auffrischen von Erinnerungen. Denn der Termin zur Aufstellung zum Klassenfoto war nach dem Weggang vom Erstklässler Genscher.

Anschließend ging es zu seinem Geburtshaus. In dem ehemaligen Gutshaus hatte Genscher am 21. März 1927 das Licht der Welt erblickt. Sechs Jahre lebte Genscher anschließend mit seiner Familie hier. Das Haus soll nun ein Ort der Begegnungen werden. An diesem Freitag war es einer. Wer das Bad in der Menge nicht mochte war am falschen Ort. Neben unserem Stadtoberhaupt Frau Dagmar Szabados, bereits in der Schule dabei, waren auch die Halloren, Vertreter von Stadt, Hotellerie und städtischen Werkstätten anwesend. Mehr als voll wurde es im Festzelt nach der Ankunft von Guido Westerwelle.

In gekonnter Weise moderiert Theo M. Lies eine Talkrunde mit Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados, Cornelia Pieper, Paul Morzynski von der Halloren AG und dem Künstler Michael Fischer-Art. Neben Frau Pieper wurde auch unsere Oberbürgermeisterin Frau Szabados vom Moderator zum Genscherhaus befragt. Ursprünglich sollte es abgerissen werden. Woher habe sie den vom „..geplanten Abriss des Genscherhauses erfahren?“ Nun, „gelesen habe sie es auf einem Abrissantrag beim Beigeordneten Pohlack“, so Szabados. Verhindert wurde der Abriss des 1865 erbauten Hauses aber nur „…weil die Verwaltung schnell reagierte.“ Und da bebte das Festzelt, nicht vor Beifall, sondern vor Lachen. So fügte sie schnell hinzu „wenn die Bürgerschaft es will“. Jetzt gab es Beifall, Hallenser können zuhören. Denn jeder weiß: gerettet wurde das Haus erst, als sich kritische Stimmen erhoben.

Detlef Bischoff von der Erhard-Hübener-Stiftung dankte Frau Pieper für ihren Einsatz für den Erhalt und die Rekonstruktion des Hauses. Rund 600 000 Euro hat die Sanierung gekostet, zwei Drittel sind durch Spenden zusammengekommen. Hinzu kamen Fördermittel von Lotto. Auch der Familie Kreimer wurde durch Herrn Genscher für die Überlassung des Hauses und des Grundstückes gedankt. Aus einer Ruine ist nun ein Schmuckstück entstanden.

Genschers begonnene und nie vollendete Ansprache vom 30. September 1989 auf dem Balkon der Deutschen Botschaft in Prag gibt in dem (Genscher)Haus im Originalton zu hören. Und Michael Fischer-Art, ein Künstler der besonderen Mal-Art, ein mehr oder weniger bekannter Künstler der Pop-Art, mahlte zur Eröffnung der Bildungsstätte eine Bild-Art, worauf er diese Szene dargestellt hat. «Das ist der Wahnsinn gewesen», sagte der junge Maler. Und er überreichte Genscher noch ein Porträt mit unverkennbarem gelben Pollunder. Michael Fischer-Art meinte zu Genscher durch seiner Rede auf dem Balkon seien die Grenzen durchlässig geworden und dadurch am 9. November die Mauer gefallen. Wenn das so einfach war, warum ist er denn nicht schon viele Jahre früher auf den Balkon gegangen.

FDP-Chef Guido Westerwelle erinnerte bei seinem (Wahl)Auftritt noch an das Gestern des geteilten Deutschlands. Gerade für junge Menschen ohne gelebten DDR-Alltag, weil später geboren, muss die Geschichte näher gebracht werden. «Wir sind nicht am Ende der Geschichte, Freiheit muss immer wieder errungen werden.», so Westerwelle. Die Mauer war schließlich nicht für Graffiti gebaut worden, sie war eine ernste Bedrohung. Westerwelle kam auch auf Genscher zu sprechen. Das Haus zeige, “was dieser Mann in Deutschland geleistet hat.” Und was sagt der geehrte selbst? Stolz sei er, so Genscher.


Begrüßt vom Hallorenschulkind Sabrina


(Aus)geplaudertes von Früher war hier zu hören


Guido ist da


Die kleine Talkrunde mit Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados, Theo M. Lies, Cornelia Pieper, Paul Morzynski (Hallorenfabrik) und dem Künstler Michael Fischer-Art.


Danke Guido für Deine Rede


Das Porträt, an dem Tag war er ohne Pollunder, geschuldet dem warmen Wetter