Rückhaltlose und unverzügliche Aufklärung zum Mordfall Yangjie Li

von 7. Juni 2016

„Der Aufklärungsbedarf ist enorm. Innerhalb von etwas mehr als 10 Jahren ereignen sich in ein und demselben Polizeirevier Vorgänge, die eigentlichen als unvorstellbar gelten und Vertrauen in Sicherheitsbehörden erschüttern.

Im aktuellen Fall wird eine junge Frau brutal ermordet, tatverdächtig ist der Stiefsohn des Revierleiters, zugleich Sohn einer Polizistin. Beide bleiben nicht nur im Dienst, sondern zumindest die Mutter ist aktiv an den Ermittlungen beteiligt. Sie hat vor ihren Kollegen Kenntnis von möglichen DNA-Spuren und macht darüber offensichtlich keine Meldung. Der Tatverdächtige wohnt in unmittelbarer Umgebung des Fundortes der Leiche, wird aber erst Tage danach befragt. Noch vor der polizeilichen Vernehmung und in Kenntnis dessen, dass ihr Sohn bzw. Stiefsohn vernommen werden wird, werden beide Elternteile gesehen, wie sie gemeinsam mit ihm Kisten aus dem Haus bringen, das wahrscheinlich der Tatort ist.

Während der Innenminister selbst einen Sonderermittler zu möglichen Manipulationen einsetzt, sieht der leitende Staatsanwalt „nicht den leisesten Hauch eines Anfangsverdachtes“ und übernimmt in einer Pressekonferenz eine Teildarstellung der Tatverdächtigen, die zu diesem Zeitpunkt durch Zeugenaussagen widerlegt ist und in den Augen der Eltern von Yangjie Li die Ehre ihrer ermordeten Tochter verletzt.

In einem großen Interview beklagen Mutter und Stiefvater „Sippenhaft“, eine Woche später eröffnen beide wenige Stunden nach der Trauerfeier für Yangjie Li mit einem fröhlichen Fest ein Gartenlokal. Erst dann wird der Revierleiter suspendiert.

Das wirft zahlreiche Fragen auf, denen DIE LINKE mit ihren Selbstbefassungsanträgen nachgehen wird: Warum erfolgte die Suspendierung erst zu diesem Zeitpunkt und nicht wegen offenkundiger Befangenheit schon zu einem früheren Zeitpunkt? Warum ist nicht auch die Mutter des Tatverdächtigen suspendiert worden? Inwieweit wurde in Ermittlungen eingegriffen bzw. manipuliert? Wurden Spuren beseitigt? Erhärtet sich die öffentliche Spekulation über mögliche vorherige Manipulationen? Wer hatte und hat Zugang zu welchen Ermittlungsakten?

Warum sieht der Staatsanwalt keinerlei Verdachtsmomente gegen die Eltern des Tatverdächtigen, während der Dienstherr der beiden bereits im eigenen Haus einen Sonderermittler einsetzt? Ist dieser Staatsanwalt tatsächlich geeignet, die Ermittlungen zu führen? Warum übernimmt nicht der Generalstaatsanwalt die Verfahrenshoheit? Ob, wie und mit welchem Ergebnis wurde und wird der Frage nachgegangen, ob die zahlreichen Veröffentlichungen über Privatleben, Haftbedingungen und mögliche Vorgeschichten durch Indiskretionen und/oder bewusste Streuung durch Polizist*innen ermöglicht wurden? Inwiefern ist die Struktur des Polizeireviers geeignet, die Einflussnahme individueller Verquickungen und die persönlicher Interessen auf Ermittlungen zu verhindern? Welche internen Kontrollmechanismen gibt es und wie funktionieren sie? Nicht zuletzt: Wodurch unterscheidet sich das Polizeirevier Dessau im Jahr 2016 vom Polizeirevier Dessau im Jahr 2005, dem Jahr des Todes von Oury Jalloh?

Mit diesen und weiteren Fragen gehen wir in die Ausschusssitzungen am Donnerstag und Freitag. Für uns als LINKE ist klar, dass rückhaltlose und unverzügliche Aufklärung notwendig ist. Es liegt an Innen- und Justizministerium, hier lückenlos und transparent zu berichten.

Letztlich steht die Frage im Raum, ob der überfälligen Suspendierung nicht auch weitere strukturelle und personelle Konsequenzen in den Polizeistrukturen in Dessau folgen müssten.

Aufklärung muss Priorität vor allen anderen Dingen haben. Das entspricht der Verantwortung genügender der Familie des Opfers, es liegt im Interesse der Öffentlichkeit und es ist das einzige, das helfen kann, verlorengegangenes Vertrauen in Sicherheitsbehörden wiederzugewinnen und Polizist*innen, die täglich aufopferungsvolle und vorbildliche Arbeit leisten, vor falschen Verdächtigungen zu schützen.“