War es das von den Ultras?

von 12. Oktober 2009

(Jul) Es beginnt mit der Fahrt nach Frankfurt. Nacheinander trudeln sie am Treffpunkt ein und machen sich dann zusammen auf den Weg in die Börsenstadt. Was dort passiert, wird in Episoden geschildert. Die Darsteller wechseln sich ab, erzählen, was sie erlebt haben. Es ist nicht nur Bühneprogramm, was die vier Jungs spielen, sondern auch ein ganzes Stück Realität. Der Hallesche FC hatte am 1. August ein Testspiel in Frankfurt, gegen den FSV und mit den Saalestädtern kam auch ein Reisebus Fans – Ultras um genauer zu sein. Sie sind die wohl fanatischsten Anhänger des besten halleschen Fußballvereins und stehen leidenschaftlich hinter ihm. Das Thalia Theater nahm sich ihrer an und inszenierte mit insgesamt Neun der hartgesottenen Rot-Weiß-Anhänger das Theaterstück „Ultras“. Die Regie übernahm Dirk Laucke – ein junger, bundesweit gefeierter Theaterautor und Regisseur – der in Halle bereits ein Stück über die Silberhöhe auf die Bühne brachte. Schon damals waren es Laiendarsteller, die ein Teil ihres eigenen Lebens mimten. Nun Ultras, vom Halleschen FC, der oft genug durch Fanausschreitungen von sich Reden macht und gerade erst wieder eine Geldstrafe und eine Zuschauerbegrenzung für das nächste Heimspiel vom Deutschen Fußball Bund auferlegt bekam, weil die Fans bei mehreren Spielen Pyrotechnik im Stadion zündeten.

In Frankfurt flogen auch Böller. Einen schmiss auch der Lange, der fast so groß ist wie die Flutlichtmasten, wie es im Stück heißt. Er steht auf der Bühne und erzählt von dem Spiel in der Commerzbank-Arena, das es wirklich gab und sich selber, wie er den Böller wirklich warf. Dann zieht ihn die Polizei aus der Menge raus. Seine Personalien kann der Lange nicht vorzeigen. Eigentlich dachte er, es wird ein ruhiges Spiel. Aber die Polizei hatte ja sowieso seine Daten, denn die erste Kontrolle war das nicht. Was die Gesetzeshüter außerdem hatten, war die Fahne, die der Lange kurz zuvor eingeholt hatte – ein Relikt der Ultras. Es sprach sich schnell rum im Fanblock und die Rangelei ging los.

Wenn die Laiendarsteller auf der Bühne die Vorgänge schildern, dann scheint es oft so, als würden sie sich auch etwas schelmisch freuen, über das was da passiert. Als wäre es im Nachhinein ein Erlebnis, mit vom Reizgas geschwollenen Augen, gefesselt an einer Wand zu knien und darauf zu warten, dass die Polizei einen abtransportiert. Wie es wirklich ist, kann man nur mutmaßen, denn was dort auf der Bühne passiert ist Theater, das ganz bewusst provoziert. Die Anekdoten bleiben nicht bei Frankfurt, sondern ziehen sich durch die Facette eines Ultra-Lebens – vom Malen aufwendiger Choreografien, bis zum Vorsprechen beim Vereinsvorstand, von der Angst vor Stadionverbot bis zu absoluter Leidenschaft in der Fankurve, zwischen Enttäuschung und Freude, zwischen scheiß Tag und geile Aktion. Es fallen auch die Ausdrücke, die für viel Furore sorgten und die Forderung laut werden ließen, das Stück drastisch umzumodeln oder am besten gleich abzusetzen.

Wer den Ruf „Juden-Jena“ mit Zigeunerschnitzel vergleicht, wer „Bullenmörder sind keine Schweine“ skandiert und die Presse der Meinungsäußerung entzieht, der gehört nicht auf eine Bühne in diesem Land. Regional stimmten in den Kanon von Presse über Sport bis Politik Viele ein und schnell wurde das Projekt als gescheitert erklärt. Überregional waren die Meinung ein wenig uneindeutiger und die Kritik nicht ganz so verheerend, teilweise sogar positiv. Das besonders die hiesigen Institutionen auf die Provokation „Ultras“ ansprangen, liegt wohl auch an zwei Faktoren, für die das Theaterstück steht.

Zum einen geht es um eine ohnehin schon ungeliebte Gruppierung, die mit Medien, Politik und Vereinsführung auf Kriegsfuß steht, was sich in der Inszenierung auch sehr gut zeigt. Der Journalist ist ein saufender Magdeburger, der Vereinsmanager ein arrogantes Arschloch und die Polizisten einfach nur dumm. Ungern gibt man natürlich einer solchen Darstellung eine Plattform, die zudem um Verständnis für die fanatischen Anhänger bei den Zuschauern ringt. Wie akut die gegenseitige Abneigung ist, zeigt auch der Vorfall rund um geplante Dreharbeiten des MDR. Als das Team des Senders zu einer Vorstellung kam, wurde ihnen der Eintritt verwehrt. Die Ultras wollten die Fernsehmacher nicht dabei haben, da gerade deren Berichterstattung in ihren Augen immerzu tendenziell gegen sie gerichtet ist. Das Thalia Theater gab ihren Schauspielern nach und untersagte die Aufnahmen, sodass das MDR-Team unverrichteter Dinge abziehen mussten. Eine Schmach für die Journalisten, die mit Konsequenzen drohen. Das Stück macht sich also keine Freunde und vielen wäre es lieb, wenn es schnell wieder von der Bühne verschwindet.

Ähnliches gilt auch für die Intendantin des Thalia Theaters. Mit Annegret Hahn gab es im Zuge der Zusammenlegung hallescher Kultureinrichtungen in eine einheitliche GmbH lange Querelen und auch danach einen handfesten Skandal. Hahn warf Ulrich Katzer, dem künstlerischen Betriebsdirektor der neuen Kultur GmbH, Antisemitismus und rechte Gesinnung vor. Die Wogen sind mittlerweile geglättet – so scheint es zumindest. Denn hinter den Kulissen sieht die eine Seite schon eine Intrige aufziehen, die dazu führen soll, das Intendantin und am besten gleich das ganze Theater verschwinden. Man darf vermuten, dass dies der anderen Seite gar nicht so unrecht wäre. Neben den ausbleibenden Auseinandersetzungen, würde eine mögliche Fusion mit dem Neuen Theater Geld sparen, das die Stadt dringend braucht.

Die möglichen Motivationen zur Verteufelung von „Ultras“ sind also weitaus vielfältiger, als sie scheinen. Allerdings muss man auch sagen, dass die moralische Keule nicht ohne Grund so ausgiebig geschwungen wurde. Das Stück ist gut inszeniert, es hat Witz und die Laiendarsteller spielen erstaunlich gut. Tiefgang und eine Reflektionsebene gibt es jedoch nicht. Man kann nicht mit Späßen und naiver Jugendlichkeit über alles hinwegspielen, was man tut. Polizisten anzugreifen wird nicht dadurch besser, dass man es begründen kann und „Juden Jena“ nicht weniger antisemitisch und rassistisch, wenn man es nur als Provokation gegenüber den gegnerischen Fans benutzt – ohne politisch-historische Hintergedanken.

Gerade diese Inhalte sind es, die die Aufregung ausmachen und auch die Diskussion bestimmen. Wie sieht es aus, mit der rechten Gesinnung und Szenezugehörigkeit der Ultras? Sie reagieren gereizt, weil ihnen gerade dieser Verdacht immer wieder entgegnet wird. Die Ultras sagen, dass Politik keine Rolle spielt, wenn sie zusammen unterwegs sind und dass der Holocaust eines der schlimmsten Verbrechen der Geschichte war, wissen sie auch. Außerdem gab es „Juden Jena“ überhaupt nur einmal und das ist drei Jahre her. Nichtsdestotrotz bleibt der Vorwurf und insgesamt stellt es sich als eher müßig heraus, jemanden seine Gesinnung nachweisen zu wollen, wenn man sowieso schon meint zu wissen, wie diese denn aussieht.

Es herrscht hier eine Patt-Situation, an der sich jedoch der Fortgang des Stückes entscheiden könnte. Regisseur Dirk Laucke äußerte nämlich in einem Radio-Interview, dass es unter den Saalefront-Ultras Vertreter rechtsextremer Ansichten gebe und ging damit nach Ansicht seiner Schauspieler einen Schritt zu weit. Es besteht für sie nämlich ein Unterschied zwischen der Theatergruppe und der Saalefront, aus der sich die Darsteller rekrutieren. Was auf der Bühne passiert, ist, bei allem Bezug zur Wirklichkeit, eine fiktives Ereignis, mit fiktiven Charakteren. Die Saalefront Ultras hingegen sind real. Als ein Zuschauer beim Publikumsgespräch fragte, warum sie denn nicht über diese Kränkung hinweg sehen können, wo sie doch sonst so hart sind, sagte der Kapo der Gruppe, dass Lauckes Äußerungen wie eine Beleidigung der eigenen Familie sind.

In der Tat war der junge Regisseur sehr nah an den fanatischen Fans dran, fuhr mit ihnen zu Auswärtsspielen und inszenierte in enger Zusammenarbeit das Theaterstück. Nun, nachdem er ihnen rechtes Gedankengut vorwirft, fühlen sie sich instrumentalisiert, denn Laucke soll es laut ihrer Meinung gewesen sein, der den Antisemitismus erst auf die Bühne brachte. „Juden Jena“ wollten die Ultras gar nicht thematisieren, doch Laucke legte ihnen diesen Inhalt nahe – um zu zeigen, welcher Art sie wirklich sind? Laucke verneint die Vermutung, dass er sie bewusst zu Äußerungen gedrängt habe. Er wollte ihnen nur den Raum einräumen, sich zu bestimmten Themen zu äußern. was sie dann auf der Bühne sagen, müssen sie selbst verantworten. Wie es wirklich war, lässt sich nun schlecht nachvollziehen. Fakt ist, die Vertrauensbasis ist dahin und die Inszenierung vielleicht auch.

Eigentlich ist es auch interessant, dass die Entscheidung aufzuhören, nicht durch den Druck von außen kam, sonder durch innere Auseinandersetzungen bedingt war. Das letzte Wort ist allerdings noch nicht gesprochen. Das Theater und die Ultras wollen sich in zwei Wochen noch einmal an einen Tisch setzen und über eine Fortführung der Zusammenarbeit beraten – auch ohne Laucke als Regisseur. Der Vorschlag ist eine zweite Staffel in diesem Jahr. „Ultras“ im Februar, wie geplant, wird es wohl auf keinen Fall geben. Es liegt also an den Schauspielern und die sind gespalten, manche wollen, andere gar nicht und nur gemeinsam geht es.

Es wäre schade, wenn es ein kurzes Intermezzo bleiben würde, denn zum ersten Mal stellte sich in Halle eine Gruppierung der Öffentlichkeit, die aus einer Szene stammt, die sonst eher Abseits der Gesellschaft rangiert. Das wurde auch in den eigenen Kreisen bemerkt und so kamen Ultras aus Dortmund und anderen Städten zu Vorstellungen im Thalia Theater. Die Chance, zu verstehen und endlich mal ins Gespräch zu kommen sollte genutzt werden – egal wie moralisch empört wir sind oder tun, egal wie beschämt uns die Äußerungen machen. Ohne Anhänger irgendeiner Seite zu sein muss man doch anerkennen, dass es eine Leistung des Thalia Theaters ist, sich diesem Thema einfach mal anzunehmen und überhaupt eine Debatte anzuregen. Die Inszenierung gleich totzuschlagen ist einfach, gerade weil sie das Potenzial dazu bereithält. Zielführend ist es aber nicht.

Das Schauspiel allein ist ein Einblick in eine ganz andere Welt. Wir erleben Fans, die für ihren Verein leidenschaftlich einstehen und viel Kraft, Kreativität und Geld aufbringen um ihn zu unterstützen. Es ist aber auch eine Anklage an Medien, Polizei und Politik, die zu einfach gestrickt ist, als dass man sie gelten lassen sollte. Das wissen Zuschauer und die Ultras hoffentlich auch. Trotzdem braucht es das Feedback in der deliberativen dritten Halbzeit. Sollte es zu einer zweiten Staffel kommen, so ist ein Gespräch im Nachhinein unabdingbar. Das Thema ist zu wichtig, als das es einfach nur provokatives Theater bleiben sollte. Es gehört auf die Bühne und in die Debatte danach.