Was Königin Maud mit dem Deutschen Wetterdienst zu tun hat

von 18. Juni 2020

Dronning Maud Land (DML)  (Quelle ALCI, Kapstadt; Bearbeitung: Christian Paulmann, DWD)

Abbildung 1: 2,7 Millionen qkm – das Dronning Maud Land (DML) erstreckt sich vom 20. westlichen bis zum 45. östlichen Längengrad und reicht in etwa ab dem 65. südlichen Breitengrad über die küstenna-hen Schelfeisgebiete bis etwa zum 85. südlichen Breitengrad. (Quelle: ALCI, Kapstadt; Bearbeitung: Christian Paulmann, DWD)

Mit rund 14 Millionen Quadratkilometern (qkm) ist der Kontinent Antarktika gut 39 Mal größer als Deutschland. Rund 2,7 Millionen qkm entfallen in Antarktika auf das so genannte Dronning-Maud-Land (DML, Königin-Maud-Land). Seine Grenzen sind nicht offiziell definiert worden, aber es erstreckt sich in etwa vom 20. westlichen bis zum 45. östlichen Längengrad und reicht in etwa ab dem 65. südlichen Breitengrad über die küstennahen Schelfeisgebiete bis etwa zum 85. südlichen Breitengrad. Das sind gut 2.000 Kilometer in Nord-Süd Richtung, im Küstenbereich hat das DML ungefähr 2.500 Kilometer Ost-West-Ausdehnung. Die Bundesrepublik Deutschland würde ungefähr siebeneinhalb Mal in dieses Gebiet hineinpassen.

Insgesamt elf Nationen betreiben im DML in Übereinstimmung mit dem Antarktisschutzvertrag teils ganzjährig besetzte Forschungsstationen, darunter auch Deutschland mit der Neumayer-Station auf dem Ekström-Schelfeis bei 70°40’S 008°16‘W. Sicher sind diese Stationen nur von Ende Oktober bis Anfang März, dem antarktischen Sommerhalbjahr, auf dem Wasser- und Luftweg zu erreichen und damit zu versorgen. Doch selbst in dieser Zeit ist das Wetter der begrenzende Faktor für alle menschlichen Aktivitäten im DML. Um zum DML zu kommen und sich innerhalb des DML fortzubewegen sowie dort zu forschen und zu leben, bedarf es der meteorologischen Sicherung – und dies ist eine Aufgabe, die der Deutsche Wetterdienst für das nach der ersten norwegischen Königin Maud benannte Gebiet übernommen hat.

Statt zehn Tage sechs Stunden

Eine Schiffsreise vom etwa 4.000<abbr title=”Kilometer”>km</abbr>entfernten Kapstadt zum DML dauert in der Regel mindestens zehn Tage. Seit gut 18 Jahren kann das für die internationale Forschung nur begrenzt zur Verfügung stehende Zeitfenster zum Transport von Menschen und Gütern in diesen Teil der Antarktis sehr effektiv genutzt werden. Denn im Juli 2002 wurde das so genannte DROnning-Maud-Land-Air-Network (DROMLAN) aus der Taufe gehoben, eine nicht an Gewinn orientierte Organisation. Bei der Versorgung aus der Luft können drei Landebahnen im DML mit Interkontinentalflugzeugen innerhalb von fünf bis sechs Stunden von Kapstadt aus erreicht werden. Innerhalb der Antarktis werden Mensch und Material mit speziell ausgerüsteten kleineren Flugzeugen sowie mit Helikoptern transportiert. DROMLAN-Gründungsmitglieder waren die nationalen Organisationen des COuncil of Managers of National Antarctic Programmes (COMNAP). Derzeit sind 30 Länder, die auch den Antarktisschutzvertrag unterzeichnet haben, im COMNAP organisiert. Davon betreiben aktuell elf Länder im DML Forschungsstationen: Belgien, Deutschland, Finnland, Großbritannien, Indien, Japan, Niederlande, Norwegen, Russland, Schweden, Südafrika. Jedes Land übernimmt im DROMLAN-Verbund eine bestimmte Aufgabe. Der deutsche Beitrag ist die Wettervorhersage und -beratung für das gesamte Gebiet und für alle Beteiligten. Dafür besteht seit der Saison 2002/2003 ein Vertrag zwischen dem Deutschen Wetterdienst und dem Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, das seit 1981 Forschungsstationen auf dem Ekström-Schelfeis betreibt. Seit 2009 ist die aktuelle Neumayer-Station in Betrieb.

Stecknadel in der antarktischen Weite - Anflug auf die Neumayer-Station (Quelle Christian Paulmann, DWD)Abbildung 5: Stecknadel in der antarktischen Weite – Anflug auf die Neumayer-Station (Quelle: Christian Paulmann, DWD)

Speziell ausgebildete Meteorologen

Jedes Jahr überwintern auf der Neumayer-Station in aller Regel neun AWI-Mitarbeitende, vom Koch über den mit der Stationsleitung beauftragten Stationsarzt bis zu den Naturwissenschaftlern. In dieser für jeden Überwinterer insgesamt etwa 15 Monate andauernden Zeit sind sie außerhalb der DROMLAN-Saison, das heißt zwischen Anfang März und Ende Oktober, aus meteorologischer Sicht fast „auf sich allein gestellt“. Flüge könnten nur im absoluten Notfall mit einem erheblichen Risiko durchgeführt werden, Schiffsreisen sind unmöglich. Vor ihrer Reise in die Antarktis erhalten einige der Überwinterer zwar durch den DWD und durch das AWI eine meteorologische Einweisung, doch diese bezieht sich lediglich auf die Wetterbeobachtung, die Grundlagen des antarktischen Wettergeschehens und auf die zur Verfügung stehenden Daten. Bei einer Vielzahl von meteorologischen Fragen werden sie und die gesamte internationale DROMLAN-Gemeinschaft vom Referat Seeschifffahrtsberatung des DWD in Hamburg betreut. Dort verfügt der DWD über einen Pool von fünf speziell für diese Aufgaben in der Antarktis lizenzierte und trainierte Meteorologen. Außerhalb einer DROMLAN-Saison erfolgen die meteorologischen Beratungen nur im Bedarfs- und Notfall, das heißt auf Anforderung.

Sensible Anfangs- und Endzeiten

Innerhalb einer DROMLAN-Saison zwischen Ende Oktober und Anfang März sind die DWD-Meteorologen dann dicht dran am antarktischen Wettergeschehen, wobei sich ihre Einsätze in drei zeitliche Abschnitte unterteilen: Der erste Abschnitt dauert von Mitte Oktober bis etwa Ende November, wobei ein DWD-Meteorologe von Kapstadt aus alle logistischen Aktivitäten im Dronning-Maud-Land und auf dem Weg von Kapstadt dorthin und zurück unterstützt. Von Ende November bis Anfang Februar lebt und arbeitet ein DWD-Meteorologe auf der Neumayer-Station im DML. Während des letzten Abschnitts von Ende Januar/Anfang Februar bis Anfang März erfolgt die Unterstützung durch einenDWD-Meteorologen von Kapstadt aus.

„Wettertechnisch betrachtet“, so Dipl.-Met. Christian Paulmann, Teamleiter für die Antarktisberatung und den Bordwetterdienst im DWD und selbst oft vor Ort im Einsatz für DROMLAN, „herrscht während der Abschnitte 1 und 3 erfahrungsgemäß deutlich unbeständigeres Wetter als im Dezember und Januar, dem antarktischen ‚Hochsommer‘. Das liegt an der im Jahresverlauf stark veränderlichen solaren Einstrahlung, von der das Leben und Überleben auch in der Antarktis abhängt. Wir reden dabei von den Übergängen zwischen der winterlichen Polarnacht ohne solare Einstrahlung und dem sommerlichen Polartag mit ununterbrochener Sonneneinstrahlung. Die Übergangsjahreszeiten dazwischen sind mit vielfältigen, sehr markanten und unterschiedlich schnell stattfindenden Anpassungen beispielsweise im Ozean, auf dem antarktischen Eisschild und in der Atmosphäre verbunden. Das wiederum hat auf die Wetter- und vor allem die Sturmaktivität einen erheblichen Einfluss, wovon besonders der Frühling zwischen Oktober und November betroffen ist.“

Unglücklicherweise fallen diese Zeiten mit den logistisch besonders sensiblen Anfangs- und Endzeiten der DROMLAN-Saison zusammen: In diesen Zeitfenstern muss die gesamte notwendige Infrastruktur für den Flugbetrieb in die Antarktis auf- und abgebaut werden und ein Großteil des Personen- und Fracht-transports zum und vom DML stattfinden. Daher ist am Anfang und Ende einer DROMLAN-Saison die Arbeit der Meteorologen von Kapstadt aus so wichtig, weil nur dort die räumliche Nähe zu und damit die bestmögliche sicherheitsrelevante Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Flugoperatoren gegeben ist. Etwas stabilere Wetterlagen gibt es überwiegend im Abschnitt 2. „Herausfordernd sind jedoch alle drei Abschnitte,“ so Christian Paulmann. Mit Augenzwinkern fügt er noch hinzu, dass ein Buch über die Wettervorhersage in der Antarktis bisher nicht geschrieben worden sei. Will heißen, die zunehmende Erfahrung der<abbr title=”Deutscher Wetterdienst”>DWD</abbr>-Meteorologen spielt eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, die vielseitige Klaviatur des antarktischen Wettergeschehens so zu interpretieren und zu beherrschen, dass damit die meteorologische Beratung von Flugzeug- und Schiffsbesatzungen oder der Wissenschaftler vor Ort sichergestellt wird.

Aufgereiht - „Fest“-Gäste kommen per Flugzeug zum zehnjährigen Bestehen der aktuellen Neumayer-Station im Jahr 2019 (Quelle Christian Paulmann, DWD)

Abbildung 6: Aufgereiht – „Fest“-Gäste kommen per Flugzeug zum zehnjährigen Bestehen der aktuellen Neumayer-Station im Jahr 2019 (Quelle: Christian Paulmann, DWD)

Von Kapstadt aus starten sowohl die Flüge als auch die Versorgungsfahrten per Schiff zum DML. Partner für die Interkontinentalflüge zwischen Ende Oktober und Anfang März sind das Antarctic Logistic Centre International (ALCI, Kapstadt, Südafrika) sowie das norwegische Norsk Polarinstitutt (NPI, Tromsø). Innerhalb der Antarktis werden für Kontinentalflüge weitere Flugzeuge von ALCI und zeitweise auch die POLAR-Flugzeugflotte des AWI genutzt. Ist der deutsche Forschungseisbrecher POLARSTERN nicht gerade in der Arktis eingefroren, wie derzeit während der Expedition<abbr title=”Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate”>MOSAiC</abbr>, bricht er in dieser Zeit von Kapstadt aus ebenfalls zur Neumayer-Station auf. Gleiches gilt für Versorgungsschiffe für andere Forschungsstationen im DML.

Mit wenig Daten viel vorhersagen

Auf den rund 2,7 Millionen qkm von DML sind aktuelle Wetterbeobachtungen Mangelware. Neben den nicht in das globale Datennetz eingespeisten Wetterbeobachtungen von nur zeitweise besetzten Forschungsstationen gibt es gut zehn Wetterstationen auf diesem riesigen Areal. Es verfügt größtenteils über keine nennenswerte Infrastruktur und gilt in seiner Gesamtheit als Außenlandeplatz („outlanding area“). Zum Vergleich: Der DWD betreibt rund 2.000 meteorologische Messstellen in der Bundesrepublik Deutschland, verteilt auf der Fläche von rund 358.000 qkm. Der Meteorologe im DML ist daher ganz besonders auf andere Datenquellen angewiesen. Neben den wenigen Wettermeldungen wertet er die Daten der an maximal drei bis fünf Orten im DML durchgeführten täglichen Radiosondenaufstiege sowie Webcam-Bilder, beispielsweise von den Landebahnen an den Stationen Troll (Norwegen) und Novolazarevskaya (Russland) aus. Außerdem stellen die hoch aufgelösten Bilder von polumlaufenden Wettersatelliten eine besonders wichtige Datenquelle dar. Dafür wurde an der Neumayer-Station eine eigene Satellitenempfangsanlage installiert. Dazu kommen Wettervorhersagen vom<abbr title=”Deutscher Wetterdienst”>DWD</abbr>, dem Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (<abbr title=”Europäisches Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage”>EZMW</abbr>), vom US-Amerikanischen Wetterdienst<abbr title=”National Oceanic and Atmospheric Administration”>NOAA</abbr>sowie das Vorhersagemodell Antarctic Mesoscale Prediction System (AMPS) der University Corporation for Atmospheric Research (UCAR, Boulder, USA). Alle diese Informationen erhält der Meteorologe vor Ort über einen sicheren SFTP-Server des<abbr title=”Deutscher Wetterdienst”>DWD</abbr>sowie per E-Mail und Internet.

Umfassendes Aufgabenpaket

Mit dieser Datengrundlage, seiner speziellen Ausbildung und seiner Erfahrung erfüllt der<abbr title=”Deutscher Wetterdienst”>DWD</abbr>-Meteorologe auf der Neumayer-Station täglich ein umfassendes Paket an Aufgaben. An allen Forschungsstationen im DML werden Arbeiten und Experimente im direkten Umfeld durchgeführt, Forschungsexpeditionen auf dem antarktischen Kontinent geplant oder Fahrten zu Basen weiter im Inland unternommen. So unterhält das AWI gut 550 Kilometer südöstlich der Neumayer-Station in etwa 3.000 Metern Höhe die Basis Kohnen, die in den Sommermonaten – wenn die Temperaturen dort mal nicht unter -30<abbr title=”Grad Celsius”>°C</abbr>fallen – zeitweise mit Personal besetzt ist. „Ob und wann die Wissenschaftler dorthin aufbrechen oder auch wieder zurückkehren können – das hängt entscheidend vom Wetter ab, es braucht eine verlässliche Wettervorhersage für solche Aktivitäten“, erklärt Christian Paulmann.

Zu den Aufgaben des Meteorologen auf der Neumayer-Station gehört auch die Seewetterberatung für Versorgungs- und Forschungsschiffe, die an der DML-Küste unterwegs sind. Trotz des zunehmenden Flugverkehrs in die Antarktis wird weiterhin der Seeweg genutzt, um im „Eishafen“ der Atka-Bucht an der Schelfeiskante beispielsweise schweres Gerät für die Forschungsstationen anzuliefern. Die Atka-Bucht liegt nordöstlich der Neumayer-Station, die zehn bis 18 Kilometer weite Entfernung zu möglichen Anlegeplätzen stellen während der Be- und Entladung bei schlechtem Wetter ein zusätzliches Problem dar.

Flugpläne ja, Pünktlichkeit nicht unbedingt

Am umfangreichsten sind jedoch die Flugwetterberatungen. Der<abbr title=”Deutscher Wetterdienst”>DWD</abbr>-Meteorologe auf der Neumayer-Station berät die Besatzungen der Verteilerflüge zu den jeweiligen nationalen Stationen im DML, der wissenschaftlichen Flüge über Eis- und Ozeanflächen sowie der Helikopter, die vor allem zwischen Schiffen und Forschungsstationen verkehren.

Bilderbuchwetter - zu einem Interkontinentalflug startende Boeing 757 (Quelle Christian Paulmann, DWD)Abbildung 4: Bilderbuchwetter – zu einem Interkontinentalflug startende Boeing 757 an der Blaueispiste der Station Novolazarevskaya, am Boden die Kontinentalflieger Basler BT-67 im Hintergrund und davor eine Twin Otter (Quelle: Christian Paulmann, DWD)

Derzeit kommen rund 30 Interkontinentalflüge von Kapstadt aus im Dronning-Maud-Land in der Saison an und kehren wieder zurück nach Südafrika. Ab und zu gibt es auch ungeplante, medizinisch notwendige Evakuierungsflüge oder zusätzliche Flüge mit hochrangigen politischen Delegationen. Außerhalb der Saison sind allenfalls unvorhersehbare Hilfsflüge (Search and Rescue, SAR) möglich. Es gibt zwar Flugpläne, doch je nach Wetter kann ein Flug auch schon mal mit einer Woche Verspätung auf einer der insgesamt drei Blaueispisten im DML landen und starten. Diese Pisten sind in etwa drei Kilometer lang und 60 Meter breit. Sie befinden sich auf Blaueisfeldern, in denen das blanke Eis offen an der Oberfläche sichtbar ist. Ihr Vorteil liegt darin, dass es durch natürliche Prozesse vor Ort kaum Schneeablagerungen gibt. Und doch sind sie so tragfähig, dass schwere Flugzeuge darauf landen und starten können. Dabei hat sich vor allem der zuverlässige und robuste russische Flugzeugtyp Iljushin IL76 bewährt, dessen Leergewicht rund 92.000 Kilogramm (92 Tonnen) beträgt. Es kommen auch – auf das Wetter bezogen – sensiblere Flugzeugtypen<abbr title=”zum Beispiel”>z. B.</abbr>von Airbus oder Boeing und Business-Jets zum Einsatz. Jeder Flugzeugtyp hat unterschiedliche meteorologische Landewetteranforderungen, das stellt eine weitere Herausforderung dar.

Der<abbr title=”Deutscher Wetterdienst”>DWD</abbr>-Meteorologe ist für die Flugwetterberatung auch an den drei Blaueispisten zuständig. Die Pisten liegen an der ganzjährig besetzten russischen Station Novolazarevskaya, an der norwegischen Station Troll sowie am Perseus-Flugplatz nahe der belgischen Station Princess Elisabeth Antarctica (PEA), der seit November 2019 für die antarktischen Sommermonate in Betrieb ist. Eine weitere Landebahn wird von einem überwiegend touristisch orientierten britischen Unternehmen genutzt. Dessen Aktivitäten werden vom DROMLAN-Verbund und damit auch vom<abbr title=”Deutscher Wetterdienst”>DWD</abbr>-Meteorologen nur dann unterstützt, wenn sie sicherheitsrelevante Belange für alle Beteiligten im DML betreffen.

Werden Flüge in Nachbarsektoren von DML unternommen, wird der Beratungsbereich für den<abbr title=”Deutscher Wetterdienst”>DWD</abbr>-Meteorologen nochmals deutlich erweitert und kann zeitweise bis zum 26. westlichen und zum 75. östlichen Längengrad reichen.

Be- und Entladung einer Iljuschin 76 an der Blaueispiste der Station Novolazarevskaya  (Quelle Christian Paulmann, DWD)

Abbildung 3: Be- und Entladung einer Iljuschin 76 an der Blaueispiste der Station Novolazarevskaya (Quelle: Christian Paulmann, DWD)

„Der berühmte ‚point of no return‘“

„Eine weitere besondere Herausforderung ist es für den Meteorologen, dass keine Transportmaschine in die Antarktis fliegen und von dort zurückkehren kann, ohne aufzutanken“, berichtet Christian Paulmann. Die Flüge von Kapstadt aus dauern etwa sechs Stunden, so dass der Pilot bis ungefähr eine Stunde vor der Landung in der Antarktis noch umkehren kann, um wieder sicher nach Kapstadt zurückzukommen, der berühmte ‚point of no return‘. „Dies bedeutet für die Wetterberatung, dass wir häufig in extrem engen zeitlichen Korridoren exakt voraussagen müssen, wann eine Landung auf einer der Blaueispisten möglich ist. In der letzten Saison 2019/20 gab es leider den ersten Bumerang-Flug, der aber vor allem auf extreme Sicherheitsvorgaben einer bislang Antarktis-unerfahrenen Fluggesellschaft zurückzuführen war. Ansonsten hatten wir seit der ersten Saison 2002/2003 keinen einzigen Bumerang-Flug, bei dem ein Pilot wegen sich verschlechternden Wetterbedingungen vor dem point of no return umkehren musste“, sagt Christian Paulmann nicht ohne Stolz.

Das Wetter erleben, wie man es vorhergesagt hat

Grundsätzlich ist der<abbr title=”Deutscher Wetterdienst”>DWD</abbr>-Meteorologe während der zwei Monate auf der Neumayer-Station 24 Stunden in Bereitschaft, sieben Tage die Woche. Offiziell beginnt sein Arbeitstag um 6.00 Uhr morgens und endet gegen 20.00 Uhr abends. Das Wort „Tag“ ist im besten Sinne des Wortes zu verstehen – im antarktischen Sommer erlebt der Meteorologe nur wenige Nachtstunden. Nach der Sichtung der Daten erstellt er für alle Stationen im DML einen Wetterbericht für die nächsten vier Tage, einen Flugwetterbericht und eine Vorhersage speziell für die Landebahnen, sowohl für den aktuellen Tag als auch für die folgenden vier bis fünf Tage. Es folgen individuelle Flugwetterberatungen für kontinentale und interkontinentale sowie für Forschungsflüge. Für die Wissenschaftler auf der Neumayer-Station gibt es ein zusätzliches gesondertes Wetterbriefing für die Planung der Forschungsvorhaben, dazu kommen individuelle Beratungen für Expeditionen zu Land, auf See und in der Luft für alle im DML arbeitenden Forscherinnen und Forscher. Konstant gilt es für den Meteorologen, aktuelle Wetterdaten, soweit vorhanden, in seine Beratungen und Vorhersagen mit einzubeziehen. Die meisten Beratungen erfolgen per E-Mail, möglich sind sie aber auch per Telefon, SMS, Funk oder von Angesicht zu Angesicht.

„Viele dieser Aufgaben erscheinen zunächst als Routine, doch durch die räumlich geringe Dichte an qualitativ hochwertigen Wettermeldungen und die extremen Klimabedingungen in der Antarktis ist das Wetter fast immer der limitierende Faktor für die Forschungsarbeiten. Gerade bei den Flugwetterberatungen müssen wir immer wieder berücksichtigen, dass es hier keine Infrastruktur gibt, wie wir das aus anderen Ländern kennen, wie beispielsweise gedoppelte Sichtweitenmessungen oder Windmasten an Landebahnen“, erklärt Christian Paulmann. „Man ist wirklich ganz nah am Wetter und als Meteorologe erlebt man hautnah, ob das Wetter so eintrifft, wie man es vorhergesagt hat. Dabei wird ein besonderer Fokus auf die Parameter ‚Kontrast‘ und ‚Horizont‘ gelegt, die vor allem über Schnee- und Eisflächen für die Fliegerei extrem sicherheitsrelevant sind. Sie dienen der dreidimensionalen Orientierung im Luftraum und spielen in der zivilen Flugwetterberatung außerhalb der Polargebiete eine untergeordnete Rolle. Am beeindruckendsten auch für den Meteorologen sind jedoch die Stürme, die mit brachialer Gewalt bis zu einer Woche anhalten können und dabei nicht nur Fliegerei und Außenarbeiten verhindern, sondern schlichtweg ein ungeschütztes Überleben von uns Menschen in der freien Natur verhindern.“

Nach der Saison ist vor der Saison

Die letzte Vor-Ort-Saison auf der Neumayer-Station und in Kapstadt ist vor kurzem beendet worden. Die neun Überwinterer auf der Neumayer-Station können sich nun bei meteorologischen Fragen an die Experten beim DWD in Hamburg wenden. Doch für die DWD-Meteorologen heißt es: Nach der Saison ist vor der Saison. Mit das Wichtigste ist jetzt, die gewonnenen Erfahrungen zu dokumentieren und auszuwerten, so dass für die nächste Saison mögliche neue Erkenntnisse insbesondere in die Wettervorhersagemodelle und Abläufe einfließen können. „Diese Arbeitseinsätze muten wie ein Abenteuer an. Sie erfordern jedoch ein hohes Maß an Verantwortungs- und Risikobewusstsein, Eigenständigkeit, Flexibilität sowie sozialer und fachlicher Kompetenz“, sagt Christian Paulmann. „Man ist in vielen extremen Situationen auf sich allein gestellt. Doch alles in allem kann ich sagen, dass es immer wieder eine einzigartige Erfahrung in einer lebensfeindlichen, aber faszinierenden Welt ist, mit der ich belohnt werde.“ Er muss es wissen, denn in der kommenden Saison wird er wieder hautnah dabei sein, zum siebten Mal, diesmal in Kapstadt. Und dazwischen hat er noch Bereitschaft für meteorologische Fragen der antarktischen Überwinterer.

Über Georg von Neumayer (1826-1909)

Der studierte Physiker und Hydrograph leitete von 1872 bis 1903 die Deutsche Seewarte in Hamburg, eine Vorläuferorganisation des Deutschen Wetterdienstes. Unter seiner Ägide nahmen Aufgaben und Ruf der Seewarte sowohl national als auch international im Bereich der Meteorologie, Nautik, Ozeanographie und Hydrographie zu. Mit seinem Namen ist die deutsche Polarforschung untrennbar verbunden: Schon 1871 plädierte Neumayer für eine Wiederbelebung der Antarktisforschung. 1879 tagte die Internationale Polarkommission in Hamburg. Die internationalen Antarktisjahre Anfang des 20. Jahrhunderts krönten seine Bemühungen: Expeditionen aus England, Schottland, Schweden und Deutschland steuerten gleichzeitig die Antarktis an. Deutschland setzte dem Forscher mit der Neumayer-Station in der Antarktis ein Denkmal.

Über Dronning-Maud-Land

Insgesamt erheben sieben Nationen Ansprüche auf antarktische Gebiete: Argentinien, Australien, Chile, Frankreich, Neuseeland, Norwegen und das Vereinigte Königreich. Seitdem der Antarktisschutzvertrag 1961 in Kraft trat, steht jedoch die wissenschaftliche Erforschung des Kontinents im Vordergrund. Das von Norwegen beanspruchte Gebiet ist mit 2,7 Millionen qkm nach dem australischen Territorium mit etwa 5,9 Millionen qkm das zweitgrößte Areal. Es trägt den Namen der ersten norwegischen Königin Maud (1869-1938), einer Enkelin der britischen Königin Victoria (1819-1901).
Die meteorologische Betreuung in der Antarktis ist eindeutig zugeordnet: Für das Dronning-Maud-Land (DML) ist Deutschland, und damit der Deutsche Wetterdienst im Rahmen der DROMLAN-Kooperation zuständig. Westlich des DROMLAN-Gebietes ist der britische, östlich der australische und dazwischen inklusive des geografischen Südpols der US-amerikanische Wetterdienst für die Wettervorhersage und -beratung verantwortlich.

Faszinierende Welt - Meereis an der Atka-Bucht  (Quelle  Christian Paulmann, DWD)

Abbildung 2: Faszinierende Welt – Meereis an der Atka-Bucht (Quelle: Christian Paulmann, DWD)

Über das Klima in der Antarktis

Die Antarktis ist mit einer Jahresmitteltemperatur von minus 49 Grad Celsius (°C) die kälteste Region der Erde, wobei die Ostantarktis kälter als die Westantarktis ist. Das bis 4.000 Meter hohe Plateau im Inneren des Kontinents ist mit im Jahresdurchschnitt -55 °C kälter als der Küstenbereich, wo im Sommer Temperaturen um 0 °C erreicht werden können. Die weit nach Norden reichende Antarktische Halbinsel bildet den wärmsten Teil der Antarktis ab. An deren westlichen Küsten liegen die Jahresmitteltemperaturen nur etwas unter 0 °C, im Sommer sind dort vereinzelt schon mehr als 15 °C gemessen worden. Die Antarktis ist auch die windigste Region der Erde. Der Wind weht mit durchschnittlich 33 km/h. Typisch sind die katabatischen Fallwinde, die vom Polarplateau zu den Küsten hin wehen und lokal mit möglichen Spitzenböen bis 350 km/h einhergehen. Es gibt Küstenabschnitte mit mehr als 300 Sturmtagen (ab Windstärke 9) im Jahr. Hinzu kommen die vor allem im Küstenbereich und besonders in den Übergangsjahreszeiten wirksamen Sturm- und Orkantiefs der mittleren und subpolaren Breiten. Die Antarktis ist der trockenste Kontinent der Erde, eine Wüste aus Schnee und Eis. Die Niederschlagssummen sind meist nur gering, auch wenn pro Jahr im Schnitt an 170 Tagen Schnee fällt. Die Jahresniederschläge liegen zwischen 200mm im Inneren und 600-1.000mm an der Küste. Nebel ist selten und tritt nur im Küsten- und Inselbereich auf.

Abbildung 7: Er kennt den Weg – Kaiser-Pinguin in der Atka-Bucht  (Quelle Christian Paulmann, DWD)

Abbildung 7: Er kennt den Weg – Kaiser-Pinguin in der Atka-Bucht (Quelle: Christian Paulmann, DWD)

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Autorin
Gertrud Nöth