Hallesches Unternehmen arbeitet mit Hochdruck an einem Medikament gegen COVID-19

von 18. Mai 2020

„Das muss ich erzählen, weil ich das so spannend finde …“, Hella Kohlhof, die promovierte Molekularbiologin, spricht anschaulich von den Vorgängen in der Zelle, wenn sich das Corona-Virus darin eingerichtet hat. „Das Virus ernährt sich von RNA-Bausteinen seiner Wirtszelle. Die bemerkt den Mangel und aktiviert ein spezifisches Enzym, um Nachschub herzustellen. Das Virus kann weiter fressen und sich vermehren.“

Das Enzym hat einen Namen: DHODH – die Kurzform ist leichter auszusprechen als Dihydroorotatdehydrogenase. Wenn das Virus verhungern soll – das leuchtet ein – muss DHODH blockiert werden. „Die DHODH-Hemmung verhindert die Produktion von essentiellen RNA-Bausteinen in virusinfizierten Zellen und damit auch die virale Replikation“, erklärt Hella Kohlhof und dass dieses Prinzip ebenso in anderen metabolisch, also stoffwechselbedingt veränderten Zellen wie bei Krebs, chronischen Entzündungs- oder Autoimmunerkrankungen funktioniert.

Hella Kohlhof ist Geschäftsführerin der Immunic Research GmbH in Sachsen-Anhalt. Die in Halle an der Saale ansässige Firma ist eine Tochter von Immunic Therapeutics. Das weltweit agierende biopharmazeutische Unternehmen mit Hauptsitz in New York hat Tochtergesellschaften in München, im australischen Melbourne und eben in Halle. Die Wahl auf letzteren Standort sei aufgrund guter Kontakte zum Fraunhofer Institut für Zelltherapie und Immunologie Leipzig (IZI) gefallen. Das IZI hat in Halle seine Außenstelle „Molekulare Wirkstoffbiochemie und Therapieentwicklung“.

IMU-838 – ein Wirkstoff der nächsten Generation

Die Immunic Research GmbH in Halles Technologiepark auf dem Weinberg Campus stellt Wirkstoffe für präklinische Studien her und testet diese teilweise auch vor Ort. „Seit unserer Ansiedlung 2017 arbeiten wir in enger Kooperation mit dem IZI, das betrifft sowohl den Wissenstransfer als auch die Nutzung der Labore“, sagt Immunic Research-Geschäftsführerin Kohlhof. Sie war 2016 schon Mitbegründerin der Mutterfirma Immunic Therapeutics, agiert dort seither als Chief Scientific Officer und hat viel Erfahrung auf dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung.

Hella Kohlhof nennt Krankheiten, gegen die immerfort nach noch wirksameren Medikamenten gesucht wird – so gegen Multiple Sklerose, gegen die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa oder gegen die Schuppenflechte. Große Wirkung verspricht sich das biopharmazeutische Unternehmen von seinem Wirkstoff IMU-838. In bisherigen klinischen Studien wurden bereits 650 Personen mit dem Medikament behandelt; darunter gesunde Probanden sowie Patienten u.a. mit Multipler Sklerose, Colitis ulcerosa, rheumatoider Arthritis oder primär sklerosierender Cholangitis. Es sei nachgewiesen worden, dass IMU-838 eine hohe Sicherheit und Verträglichkeit aufweise, verkündet das Unternehmen. Es bezeichnet seinen Immunmodulator als Wirkstoff „der nächsten Generation“.

„Er kann das Enzym DHODH blockieren – aber noch mehr“, betont Wissenschaftlerin Kohlhof und erklärt vereinfacht ausgedrückt: IMU-838 geht selektiv gegen außer Kontrolle geratene T- und B-Zellen vor und blockiert sie; lässt aber andere Immunzellen weitestgehend unbeeinflusst, damit sie etwa Infektionen bekämpfen können. Aber warum soll der Stoffwechsel von aktivierten Immunzellen zielgerichtet gehemmt werden? Die Biologin begründet das mit der oft überschießenden Antwort des Immunsystems, wobei Immunzellen auch Schaden anrichten können. Das Lungenversagen bei schweren Corona-Infektionen etwa sei nicht ausschließlich auf die Viren, sondern eher auf die zerstörerische Kraft des fehlgeleiteten Immunsystems zurückzuführen.

Blockade für SARS-CoV-2

Die antivirale Wirkung von IMU-838 konnte in-vitro unter anderem gegen HIV, Hepatitis C oder das Influenza A-Virus nachgewiesen werden. Als im Februar 2020 klar wurde, dass sich Corona zu einer Pandemie ausweitet, hatten die Mitarbeiter von Immunic die Idee zu testen, ob IMU-838 auch im Einsatz gegen das Corona-Virus funktioniert. Die Labor-Versuche fanden mit kultivierten Zellmodellen statt, die mit isolierten Corona-Viren infiziert wurden. Bislang durchgeführte präklinische Tests zeigten, dass IMU-838 die Replikation von SARS-CoV-2 hemmt.

„Gerade bereiten wir eine klinische Phase 2-Studie vor, um festzustellen, ob IMU-838 eine orale Therapie-Option für COVID-19 sein könnte“, sagt Hella Kohlhof und ergänzt, dass dieser Behandlungsansatz nicht von Arzneimittelresistenzen betroffen sein würde, da er auf die Wirtszelle gerichtet ist und nicht auf das Virus.

Wenn die klinische Studie genehmigt ist, soll sie in Deutschland und Europa sowie in den USA durchgeführt werden. Die Immunic Research-Geschäftsführerin rechnet mit einer schnellen Entscheidung durch die regulatorischen Behörden.

Autorin: Kathrain Graubaum