Heideseewanderung

von 9. April 2021

Menschenleer ist er in diesen Zeiten und ich weiß nicht, ob es wegen der Frische am Morgen ist oder wegen der Kälte der Zeiten, in denen wir leben. Ich spüre aber eine seltsame Freiheit in mir, die endlich unmaskiert, uns unsere kleine, aber feine Wanderung beginnen lässt.

Gerade haben wir den Spielplatz passiert, der sich mit viel Holz in die Landschaft stellt und Kindern ein Vergnügen bereiten soll. Freilich, so sie dann kommen können – irgendwann. Meine umgehängte Kamera hat schon die Forsythien und andere Blüten eingefangen und wartet auf die Motive, die sich vor mir noch auftun werden. Uns, also der Kamera und mir, geht es nicht um ein bloßes Einfangen des Moments, sondern zu Hause gestalte ich die Fotos und lege noch ein paar Empathien hinein. Schon haben wir den Märchenwald passiert, der mit seinen knorrigen Wurzeln, die scheinbar wirr miteinander verbunden sind, doch die Fantasie herauslockt. War da nicht eben ein Gnom vielleicht?

Schnell erreichen wir zwischen hochgewachsenes Schilf das Ufer und atmen die Frische tief ein. Der Blick weitet sich und nimmt den See in seiner Gänze auf. Ein Schwanenpaar stattet uns einen Besuch ab und ich sehe sie schwarz-weiß in einer Abendstimmung. So stelle ich mir das Foto vor. Kein Abbild der Wirklichkeit, das Abbild meiner momentanen Gedanken. Wenn ein Schwan singt…, schweige auch ich. Auf den weiteren Weg, den wir mittels Walking Stöcken fast zu schnell hinter uns lassen, schwatzen ein paar Damen über Gott und die Welt. Es kommen uns Läufer entgegen. Sie sehen die Welt heute Morgen schneller als wir und sind schon aus den Gedanken noch bevor sie scheinbar uns erreichen. So schnell kann ein Augenblick sein.
Mich fesselt eine knorrige Baumgruppe, die mit ihren kahlen Ästen das Leben längst verlassen hat. In ihrer Vergänglichkeit weist sie eine eigenartige Schönheit auf.

Der Eingang zum Badebereich zeigt sich in ungewohnter Einsamkeit, die uns an die Wirklichkeit erinnert. Da gibt es doch was. In mir klingen Wörter wie Maske, Pandemie, Inzidenzwert, doch schnell ist dieses Kopfsausen verschwunden, denn hier, unter blauem Himmel bin ich Mensch, darf ich es sein.

Einst war der See eine Bergbaugrube mit dem Namen Neuglück. Man fraß sich in die Erde, holte die Millionen Jahre alte Energie heraus und als Ergebnis von Grundwasser und Flutung entstand Idylle. Manchmal trügt Idylle auch, wenn man weiß, dass der Borkenkäfer im Wäldchen seine schadhafte Runde macht und den Kletterwald angreift. Wir müssen weiter. Unterwegs halten mich die Bahnschienen auf, die aus dem Nichts ins Nichts gehen. Reste der Kohlebahn, die sich ins Dickicht schmiegen und ihren eigenen Reiz haben, zu mindestens fotografisch gesehen.

Eine Frau mit einem Hund, der mich an Idefix erinnert, hält uns zu einem Schwatz noch auf, eine Begegnung mit Mensch auf Abstand. Idefix war einst ein Hund, der in manchem Sketch und in Filmen meiner Theatergruppe mitspielte. Eine gute, längst vergangene Seele, die ihr Déjà-vu mit diesem noch jungen Hund bei mir hat.

Nietleben steht am Rande des Sees, ein Dorf, das in der Quellgasse seinen Ursprung hat, wo vor Jahrhunderten tatsächlich eine Quelle munter plätscherte und zum Bleiben aufforderte. So geschah es dann auch und der Häuser wurden mehr. Eine Siedlung entstand. Daran denke ich und schau auf das Straßenschild, dass dem großen Heimatdichter und – forscher Schultze-Gallera einen mickrigen Weg als Erinnerung noch lässt, während in seinem Halle, wo er jeden Stein beschrieb, für ihn kein Stein mehr übrig war. Es ist eine Händelstadt, in Anerkennung für einen Mann, der London seine Musik einst schenkte und natürlich auch der Welt. Halle war da schon weit weg.

Schon sind wir angekommen am Anfang unserer Wanderung und ich erinnere mich am Ufer an einen Film, den ich an dieser Stelle drehte, wo ich (m)eine „Sommerfrau“ ins Wasser sich sacht gleiten ließ. Das ist schon lange her und die Erinnerung verfliegt im Schilf, dass wie auf einer Bühne, den Blick bis ans Ende des Sees freigibt. Ein Kleinod, der Heidesee, viel zu schnell umrundet. Er gab mir für die Kamera ein wenig von seiner Seele frei und meine nahm es zufrieden auf.