Petition zur Lage in den Kitas

Petition zur Lage in den Kitas
von 8. August 2023 0 Kommentare

Die Interessengemeinschaft Freier Träger von Kindertageseinrichtungen der Stadt Halle gründete sich im Jahr 1999 und arbeitet seitdem als Fachgruppe im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe mit dem Schwerpunkt frühkindliche Bildungs- und Erziehungsangebote zusammen. Die ca. 30 Mitglieder der Interessengemeinschaft sind freie und kirchliche Träger von Kindertageseinrichtungen. Regelmäßig werden aus der Interessengemeinschaft vier Sprecher*innen gewählt, welche die Anliegen der IG an verantwortlichen Stellen vortragen und in verschiedenen Qualitätszirkeln mitwirken. Der Zweck der IG ist insbesondere die Förderung der Zusammenarbeit untereinander, aber auch die Förderung der Zusammenarbeit mit der Stadt Halle als öffentlicher Träger der Kinder- und Jugendhilfe.

 

Ein Teil der Mitglieder der IG arbeitet außerdem in der „AG §78 Kita“ regelmäßig mit und gestaltet so die Organisation in der Stadt Halle. Unsere konkreten Aufgaben sehen wir hauptsächlich in der Zusammenführung der gemeinsamen Interessen der Träger unter Wahrung der trägerspezifischen Besonderheiten und verschiedenen Qualitätsdebatten rund um das Thema Kinderbetreuung, Bildung und Erziehung.

Da wir bereits seit mehr als zwei Jahren erfolglos versuchen, insbesondere mit dem fachlich zuständigem Sozialministerium in den Austausch über sich verschärfende Entwicklungen in unserem Tätigkeitsbereich zu treten, haben wir uns nach mehreren Schreiben ohne entsprechende Reaktion entschieden, eine Petition auf den Weg zu bringen.

Unsere einfache Zielstellung ist es, Gehör für die Inhalte der Petition bei politischen Entscheidungsträgern zu finden, unsere Lösungsvorschläge zu diskutieren und gemeinsam fachliche und praktikable Lösungen im Sinne von Bildungs- und Erziehungszielen der Jugendhilfe auf Landes- und kommunaler Ebene zu entwickeln.

Aus unserer Sicht findet derzeit eine Verengung der Bildungsdiskussionen auf den allgemeinbildenden schulischen Bereich statt. Die allseits bekannten Probleme betreffen allerdings die Kinder- und Jugendhilfe im mindestens gleichen Umfang. Es ist fahrlässig, im Sinne der Erreichung von Bildungszielen, diese Verengung der Debatte fortzusetzen. Gerade frühkindliche Bildungsmaßnahmen leisten einen enormen Beitrag zur immer noch ausbaufähigen Bildungsgerechtigkeit in unserem Land. Hier gibt Bildungsforschung eindeutige Antworten, die in politischen Prozessen erstaunlich wenig reflektiert werden.

Daher zielt unsere Petition auch nicht „nur“ auf das Sozialministerium. Ein Kernanliegen ist es, auf eine bessere interministerielle Zusammenarbeit besonders mit dem Bildungsministerium in unserem Bundesland hinzuarbeiten, denn Themen wie „Ganztagsschule und Horte“, „Ausbildungsoffensive päd. Fachkräfte“, „pädagogische Mitarbeiter*innen“ oder „Schul- und Kitasozialarbeit“ (und viele mehr) müssen gemeinsam gedacht und konzeptionell weiterentwickelt werden. Aus unserer Erfahrung als praktisch Handelnde, gibt es hier eine fachliche Trennung im politischen Diskurs, die den Zielen der Bildungsorganisation in unserer Gesellschaft abträglich sind.

Der Verweis aus Reihen der Landespolitik auf kommunale Verantwortlichkeiten greift hier außerdem viel zu kurz. Natürlich sind die Kommunen die Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Sie organisieren diese aber anhand von Bundes- und Landesgesetzen. Zu Zeiten klammer kommunaler Kassen werden ambitionslose Gesetze daher auch ambitionslos umgesetzt werden müssen. Gesamtgesellschaft lohnt sich aber jeder investierte Euro in frühkindlichen Bildungsangeboten stärker als in anderen Bildungsbereichen. Dieser Forschungsbefund muss Maßgabe von politischen Ansprüchen sein.

Verantwortliche Politik muss das Ziel haben, allen Kindern einen guten Einstieg in die Kita und später in die Schule an der gleichen Startlinie zu ermöglichen. Dazu muss diese Politik wiederum pädagogischen Fach- und Lehrkräften ermöglichen, ALLE Kinder gleichermaßen an die Hand zu nehmen und ihnen über die gesamten Kita- bzw. Schuljahre mit ihrem professionellen Können zur Seite zu stehen. Nur so können wir alle gemeinsam einige wesentliche Ungerechtigkeiten im Leben von Kindern abbauen und deutlich häufiger das Ziel eines guten Schulabschlusses mit anschließender Ausbildungsgarantie erreichen und somit auch den Wohlstand unseres Landes über unsere Generation hinaus sichern.

Das sollte im Interesse der gesamten Gesellschaft und damit auch politischer Entscheidungsträger sein! Wir fordern mit unserer Petition genau die Diskussion darüber ein, was dazu notwendige Schritte sind – nicht mehr, aber auch nicht weniger, wollen wir erreichen.

Dieses Thema ist kein spezifisches der Stadt Halle, sondern ein bundesweites. Veränderungen im Bildungsbereich brauchen Jahre, um sich positiv auszuwirken. Davon haben wir bereits genügend verschenkt. Wir sind der Auffassung, dass jetzt und nicht erst „irgendwann nach der nächsten Wahl“ gehandelt werden muss. Dazu möchten wir unser Anliegen gern im fachlichen Dialog mit verantwortlicher Politik erörtern und zum Zielpunkt führen.

 

Was möchten wir mit dieser Petition erreichen? Wir möchten ein zeitnahes Eintreten in den politischen Diskurs zu folgenden Themen:

  • Verbesserung des Mindestpersonalschlüssels gem. § 21 Abs. 2 KiFöG LSA unter Einbeziehung der tariflichen Änderungen, der notwendigen mittelbaren Tätigkeiten im Bereich der Fachkräftequalifizierung aber auch für die Bewältigung der wachsenden Herausforderungen im pädagogischen Alltag sowie der realen Krankheitszeiten (siehe z. B. Krankheitsbericht der DAK 2022)
  • Einführung einer generellen Vergütung während der Ausbildung zu pädagogischen Hilfs- und Fachkräften
  • Anpassung und Weiterentwicklung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung angehender pädagogischer Fachkräfte (Verkürzung der Ausbildungszeiten, Steigerung der Ausbildungsqualität)
  • generelle Öffnung für einschlägig Dual-Studierende über das KiFöG, mit entsprechenden Refinanzierungsmöglichkeiten
  • Vereinfachung der Etablierung multiprofessioneller Teams, durch Anpassung § 21 KiFöG LSA
  • Schaffung von Anpassungsqualifizierungsmöglichkeiten für Seiten- und Quereinsteigende

 

Die Sprecherinnen und Sprecher der IG Freie Träger von Kindertageseinrichtungen

Beate Gellert                                               Jan Förster                                          Tobias Heinicke                                  Dr. Gaby Heyne

GF Kinder- und Jugendhaus e.V.          GF Erste Kreativitätsschule              GF DRK Kreisverband                      GF AWO Halle-

Sachsen-Anhalt e.V.                           Halle-Saalkreis                                   Merseburg

Mansfelder Land e.V.

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Petition

 

Interessengemeinschaft „Freie Träger“ Halle (Saale)

Sprecherinnen und Sprecher

i.V. der Mitgliedsträger der Kinder- und Jugendhilfe

 

Landtag von Sachsen-Anhalt
Petitionsausschuss
Domplatz 6–9
39104 Magdeburg                                                                                Halle (Saale) 30.06.2023

 

Auswirkungen der aktuellen Entwicklungen im Bereich der Kindertageseinrichtungen

hier: Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bei immer prekärer werdender Fachkräftesituation und ausbleibendes Handeln der Landesregierung insbesondere zur Erweiterung des Faktors des Mindestpersonalschlüssels gem. § 21 Abs. 2 KiFöG LSA

 

Sehr geehrte Mitglieder des Petitionsausschusses des Landtages Sachsen-Anhalt,

seit vielen Jahren kämpfen die Freien Träger der Jugendhilfe für eine angemessene politische Beachtung der frühkindlichen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangebote (FBBE) in unserem Land. Generell weist Bildungsforschung seit Jahrzehnten regelmäßig nach, dass qualitativ hochwertige FBBE-Angebote in der positiven Auswirkung auf Entwicklungschancen und zukünftige Einkommen NUR durch sehr gute häusliche Lernumgebungen übertroffen werden. Letztere entziehen sich aber weitestgehend direktem politischem Handeln. Dagegen sind FBBE-Angebote einfach auch in qualitativ hochwertiger Form flächendeckend durch politisches Handeln umsetzbar. Unter frühkindlichen Bildungsforschern ist es Konsens, dass jeder Euro, der in qualitativ hochwertige FBBE-Angebote investiert wird, mehr sozialökonomischen Nutzen bringt, als eine gleiche Investition in schulische und nachschulische Bildungsangebote.

Die erschreckenden Ergebnisse des IQB-Bildungstrends für den Primarbereich des letzten Jahres, haben zu einem berechtigten Aufschrei geführt. Im Zuge dieser kurzen Erregung wurde die Weiterentwicklung von FBBE-Angeboten allerding nicht als Teil der Lösung von politischer Seite thematisiert. Stattdessen verengen wir Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt immer wieder auf allgemeinbildende Schulen, ohne dass diese Verengung nachhaltige Erfolge zeigen würden.

Die Verengung des Diskurses zu Bildungsfragen auf allgemeinbildende Schulen, führt nicht nur zu politischer Kurzsichtigkeit, sondern fortgesetzt auch dazu, dass die FBBE-Angebote absehbar qualitativ schlechter werden und auch im Umfang deutlich eingeschränkt werden müssen. Ein einfaches Beispiel sind die zahlreichen, ausgeschriebenen Stellen als pädagogische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die selbstverständlich nur aus dem frühkindlichen Bereich in das Schulsystem eingestellt werden können und diesen damit schwächen. Nachhaltige Bildungspolitik muss aber die Frage stellen, wo die „Engpassressource Erzieher*in“ effektiver eingesetzt werden kann? Die Bildungsforschung gibt hier eine eindeutige Antwort zu Gunsten der FBBE-Angebote. Bildungspolitisch findet dazu aber nicht einmal eine Debatte statt.

Nun gibt es auch hinlänglich bekannte Faktoren, die sich grundsätzlich negativ auswirken. Fachkräftemangel und zunehmende Aufgabenverdichtung bedingen und verstärken sich besonders im Bildungssektor gegenseitig. Trotzdem wird im Bereich der FBBE-Angebote in unserem Land schlicht nichts getan, um im Interesse bildungspolitischer und letztlich gesellschaftlicher Zielstellungen Verbesserungen anzustoßen. Das ist umso erstaunlicher, da es selbst einfach erkennbare „harte Faktoren“ gibt, die eine automatische Befassung mit den geltenden gesetzlichen Regelungen erfordert hätten.

So wurden tariflich Regenerationstage für alle Mitarbeitenden, welche nach dem TVöD SuE vergütet werden – das betrifft überwiegend Mitarbeitende im Bereich der FBBE-Angebote – eingeführt. Der Faktor des Mindestpersonalschlüssels des § 21 Abs. 2 KiFöG LSA wurde aber nicht entsprechend angepasst, obwohl dies pro VZÄ zwischen 15,6 und 31,2 Stunden zusätzliche Abwesenheit pro Jahr bedeutet, welche durch ein überlastetes System zusätzlich kompensiert werden muss.

Auch die gesetzlich festgelegte Bezugsgröße „vergütete Jahresarbeitsstunden“ je VZÄ hat sich verändert, da tariflich bestimmt eine Vollzeitarbeitskraft nur noch 39 statt 40 Wochenstunden zu leisten hat. Dies hat zwar „nur“ einen Einfluss auf die benötigte Anzahl an VZÄ, aber diesen Mehrbedarf gibt es schlicht nicht auf dem Personalmarkt.

Bei ca. 15.800 Fachkräften reden wir hier von fast 400 zusätzlichen fehlenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern! Dieses Defizit muss also wiederum aus dem überlasteten System kompensiert werden.

Eine Folge unter vielen sind ständig steigende Krankheitszeiten der einzelnen Mitarbeitenden, die bei FBBE-Mitarbeitenden sowieso höher ausgeprägt sind, als in anderen Berufsgruppen. Es findet aber nicht einmal der generelle Trend der höheren Krankenstände aller Berufsgruppen Eingang in den Faktor des Mindestpersonalschlüssels. Schon die Diskussion darüber wird schlicht nicht geführt. An dieser Stelle sei als Nebenaspekt darauf gewiesen, dass der Faktor des Mindestpersonalschlüssels gem. § 21 Abs. 2 grundsätzlich jegliche Transparenz vermissen lässt. Bei einem zentralen Element der Finanzierung von FBBE-Leistungen sollte diese Transparenz in einer demokratischen Gesellschaft nicht eingeklagt werden müssen, sondern so zugänglich sein, dass er sich nicht einer politischen Meinungsbildung entzieht.

Weiterhin ist die Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte insbesondere während der Ausbildungsphase mittlerweile nicht mehr ausreichend, um auf die ständig wachsenden Herausforderungen, die sich aus gesellschaftlichen Veränderungsprozessen ergeben, vorzubereiten. Auch diese Entwicklung ist ein Trend in allen Bildungsbereichen und lässt sich durch Multikrisen, Individualisierung, Digitalisierung, verstärkte Zuwanderung und viele weitere Faktoren unproblematisch nachvollziehen. Die Qualifizierung der Berufsanfänger aber im Alltag abzuschließen, bindet so immer mehr Personal, ohne dass es dafür überhaupt eine Beachtung im Faktor des Mindestpersonalschlüssels geben würde. Auch hier fehlt der politische Diskurs und damit gleichzeitig die Anerkennung der gesellschaftlichen Wirklichkeiten.

Wir beschreiben damit keinen kurzfristigen Trend, der „nur“ durch die Verbesserung der fachschulischen Ausbildung zu lösen ist, auch wenn das ein wichtiger Faktor sein muss. Wir beschreiben hier grundsätzlich geänderte Ansprüche an die Ausbildung pädagogischer Fachkräfte und dem Umgang in den Einrichtungen damit. Verstärkt wird diese Entwicklung ebenso durch den im Bereich der Jugendhilfe wachsenden Bedarf an fachfremden „Seiteneinsteigern“ zur Erreichung des Mindestpersonalschlüssels. Das bringt Belastungen für die Teams mit sich, die weit über das Maß einer Einarbeitung hinausgehen. Auch hierfür gibt es keine Position im Faktor des Mindestpersonalschlüssels oder eine diskursive Auseinandersetzung mit dem Thema an sich.

Nun wenden wir uns nicht im ersten Schritt an den Petitionsausschuss. Vielmehr sind wir hier in unserer Ratlosigkeit bezüglich des Desinteresses an diesem wichtigen Zukunftsthema an einem Punkt angekommen, an dem wir keine Möglichkeit mehr sehen, mit normaler Gremienarbeit oder mit Informationen an gewählte Vertreter der Parteien Sensibilität für die aktuellen Entwicklungen im Bereich der FBBE-Angebote zu erreichen. Erst im Januar und Februar haben wir uns an die meisten Fraktionen, das Sozial- sowie das Bildungsministerium und sogar den Ministerpräsidenten schriftlich gewandt. Die Fraktionen der FDP und der Linken haben darauf mit einer Anhörungsmöglichkeit reagiert. Mehr Reaktionen gab es nicht, obwohl wir als Interessengemeinschaft der „Freien Träger“ in Halle (Saale) mehr als 50 Einrichtungen der Jugendhilfe vertreten und damit die Generalität des Problems gut belegen können.

Was möchten wir mit dieser Petition erreichen? Wir möchten ein zeitnahes Eintreten in den politischen Diskurs zu folgenden Themen:

  • Verbesserung des Mindestpersonalschlüssels gem. § 21 Abs. 2 KiFöG LSA unter Einbeziehung der tariflichen Änderungen, der notwendigen mittelbaren Tätigkeiten im Bereich der Fachkräftequalifizierung aber auch für die Bewältigung der wachsenden Herausforderungen im pädagogischen Alltag sowie der realen Krankheitszeiten (siehe z. B. Krankheitsbericht der DAK 2022)
  • Einführung einer generellen Vergütung während der Ausbildung zu pädagogischen Hilfs- und Fachkräften
  • Anpassung und Weiterentwicklung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung angehender pädagogischer Fachkräfte (Verkürzung der Ausbildungszeiten, Steigerung der Ausbildungsqualität)
  • generelle Öffnung für einschlägig Dual-Studierende über das KiFöG, mit entsprechenden Refinanzierungsmöglichkeiten
  • Vereinfachung der Etablierung multiprofessioneller Teams, durch Anpassung § 21 KiFöG LSA
  • Schaffung von Anpassungsqualifizierungsmöglichkeiten für Seiten- und Quereinsteigende

Wir haben uns an dieser Stelle nicht mit den vielen weiteren diskussionswürdigen Aspekten der Jugendhilfe befasst, um realistische und relativ kurzfristig erreichbare Ziele aufzuzeigen. Zusammengefasst möchten wir erreichen, dass FBBE-Angeboten der gebührende Platz entsprechend ihrer gesellschaftlichen Bedeutung im politischen Diskurs eingeräumt wird. Es geht hier nicht um „Wunschträume“, sondern um eine ehrliche Debatte. Da diese bisher nicht zustande kam, obwohl uns klar ist, dass viele weitere Akteure aus unserem Bereich genau die gleichen Themen aufwerfen, sehen wir uns zu dieser Petition im Namen unserer Mitgliedseinrichtungen gezwungen und bitten Sie um eine gebührende Befassung.

 

Petition IG Freie Träger Kita

 

         

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